Stahl als Schlüssel der grünen Transformation

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Stahl ist als Werkstoff einfach nicht aus unserem Leben wegzudenken. Dieser wird bei der Salzgitter AG zukünftig nahezu CO2-frei hergestellt. Um zu verdeutlichen, wie wichtig Stahl für uns ist, nenne ich gerne folgendes Beispiel: Jeder Mensch in Deutschland benötigt im Schnitt pro Jahr 240 kg Stahl. Ich mache mir manchmal den Spaß, bewusst wahrzunehmen, wo ich im Alltag überall mit Stahl in Berührung komme. Mein Brillengestell natürlich, die Waschmaschine, das Auto, der Türgriff in meinem Büro. Stahl ist überall – selbst wenn es oft nicht sofort sichtbar ist: So kommen auch Lebensmittel nicht ohne Stahl aus, wenn man Herstellung, Lagerung, Verpackung und Transport mitdenkt. Eine ganze Menge – eben 240 kg – werden da pro Jahr und Mensch verbraucht, so das Ergebnis einer Studie der Fraunhofer-Gesellschaft. Dreiviertel davon für den privaten Konsum, ein Viertel für den Bedarf der öffentlichen Hand beispielsweise für Schulen, Sicherheit und Infrastruktur.

Und auch die Energiewende funktioniert nicht ohne Stahl – kein Windrad steht und dreht sich ohne diesen universellen Werkstoff, keine Elektrolyse erzeugt Wasserstoff ohne Stahl, und keine Stromleitung versorgt Haushalte und Industriezentren ohne Trassen, die mit Stahlkomponenten gebaut werden. Das zeigt deutlich, ohne Stahl geht’s nicht – auch, wenn die Stahlherstellung und -verarbeitung noch für einen erheblichen Anteil des globalen CO2-Ausstoßes stehen.

Wir bei der Salzgitter AG befinden uns mittendrin, dies zu ändern. Unser Motto: Ein neues Denken für eine neue Industrie.

Die Salzgitter AG steht im größten Umbau ihrer Unternehmensgeschichte, denn wir wissen um unsere gesellschaftliche Verantwortung, CO2 einzusparen. Die konsequente Dekarbonisierung der Stahlherstellung ist ein wesentlicher Kern unserer Strategie. Bis 2033 wollen wir unseren CO2-Ausstoß um mindestens 95 % senken und gleichzeitig den Anteil an recyceltem Stahl deutlich erhöhen. Denn die gute Nachricht ist: Stahl ist unendlich recyclebar. Bereits jetzt besteht rund ein Drittel des deutschen Stahls aus recyceltem Stahlschrott. Durch eine konsequente Kreislaufführung kann dieser Anteil weiter erhöht werden, um den Einsatz endlicher Ressourcen zu minimieren. Anspruch unseres Konzerns ist es, die Salzgitter AG als führendes Unternehmen der Circular Economy zu etablieren, das Produkt- und Dienstleistungskreisläufe ganzheitlich betrachtet.

Bereits 2015 hat sich die Salzgitter AG gemeinsam mit Partnern auf den Weg gemacht, ihre bei der Stahlproduktion jedes Jahr anfallenden acht Millionen Tonnen CO2 über neue Verfahrenstechniken drastisch zu reduzieren – dies entspricht rund 1 % der deutschen CO2-Emissionen, vergleichbar laut Umweltbundesamt mit den CO2-Einsparungen in Folge eines bundesweiten Tempolimits 120 auf Autobahnen von knapp sieben Millionen Tonnen. Die Lösung bei uns am Stahlstandort Salzgitter liegt im Einsatz von „grünem“ Strom und „grünem“ Wasserstoff. Unter dem Projektnamen SALCOS® – Salzgitter Low CO2 Steel werden wir grünen Wasserstoff dazu nutzen, unsere Emissionen deutlich zu senken. Dieses vor allem durch die Umstellung der Stahlproduktion von Hochöfen auf die anfangs Erdgas- später Wasserstoff-basierte Direktreduktion. Damit leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaziele und werden unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht.

Wir als Salzgitter AG haben sehr früh mit unserer Transformation begonnen, da wir überzeugt sind, dass die sie der richtige Weg ist, den Stahlstandort Salzgitter mit seinen rund 8.000 Mitarbeitenden zukunftssicher aufzustellen – technisch und ökonomisch. Diese Vision, von vielen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bereits jetzt schon bei ihren täglichen Herausforderungen gelebt, hilft uns, den bereits eingeschlagenen Weg der „grünen“ Transformation erfolgreich weiterzugehen. Ein Erfolg, der vor allem auch durch eine engagierte Teamleistung sowie viel Arbeit und Herzblut erst ermöglicht wird. Wir werden auch zukünftig qualitativ hochwertigen Stahl produzieren und damit langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein. Wir sind dankbar dafür, dass unser Programm SALCOS® in der Gesellschaft und in der Politik Anerkennung und Unterstützung findet. Dies sieht man beispielsweise an der öffentlichen Förderung von rund einer Milliarde Euro durch Bund und Land Niedersachsen für SALCOS® Stufe 1. Zusätzlich investieren wir unsererseits allein für diese Stufe mehr als 1,2 Milliarden Euro. Eine Menge Geld für Investitionen in neue Anlagen, die aber richtig was bewirken. Denn sie tragen nicht nur zur Sicherung der deutschen Grundstoffindustrie und damit tausender Arbeitsplätze bei, sondern sind zudem auch ein wichtiger Baustein, das 1,5-Grad-Ziel möglichst schnell und kosteneffizient zu erreichen.

Eine gute Nachricht ist, dass es inzwischen nicht mehr darum geht, ob es die grüne Transformation braucht. Sondern es geht um das „Wie“. Meine Antwort darauf: Wir sollten uns mehr auf die Chancen als auf die Risiken konzentrieren. Und die Transformation ist eine Chance für die deutsche Industrie – auch wenn auf dem Weg noch einige wichtige Weichen zu stellen sind. Eine Weiche ist sicher der kosteneffiziente und schnelle Ausbau von erneuerbaren Energien, denn: Die Mengen an grünem Strom und grünem Wasserstoff, die wir in Zukunft für unsere Grünstahlroute benötigen, existieren noch nicht. Trotzdem haben wir bereits konzernintern milliardenschwere Investitionsentscheidungen getroffen – wir setzen auf einen zügigen Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Unsere Transformation wird oft als mutig beschrieben. Ich finde, sie ist nur konsequent. Ein viel größeres Risiko wäre es, passiv zu bleiben in einer Welt, die sich wandelt. Ich bin überzeugt, dass die grüne Transformation eine riesengroße Chance für unsere Wirtschaft ist. Wir müssen diese Phase des Umbruchs jedoch aktiv gestalten, um gestärkt aus ihr hervorzugehen.

Die Rolle der Politik muss es sein, aktiv die dafür erforderlichen energie- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu setzen. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu beobachten, wie in der Politik über wettbewerbsfähige Strompreise diskutiert wird, die der Industrie gerade in der vulnerablen Anfangsphase der Transformation ein Plus an Stabilität und damit Investitionssicherheit bringen würden. An anderen Stellen, wenn es um Überregulierung und schnelle Genehmigungsprozesse geht, ist auch das „Wie“ noch ausbaufähig. Was es braucht, sind Mut, Schnelligkeit, Stabilität und Konsistenz in den Entscheidungen. Es ist nicht sinnvoll, unsere Transformation öffentlich zu fördern und dann die Absicherung der Übergangsphase mittels gedeckelter Strompreise zu verweigern. Ein solcher Brückenstrompreis hilft im Übrigen auch dem Mittelstand, der von unseren Vorprodukten profitiert.

Neben der ausreichenden Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom und klimaneutralem Wasserstoff sind der Bau und die Inbetriebnahme des H2-Kernnetzes Schlüsselvoraussetzungen für eine klimaneutrale Stahlproduktion. Um das Dekarbonisierungspotenzial unseres Transformationsprogramms SALCOS® auszuschöpfen, ist eine rechtzeitige Anbindung an das H2-Kernnetz möglichst ab 2027 erforderlich. Nur dann kann SALCOS® der angedachten Leuchtturmrolle und Funktion als Nachfrageanker für den Aufbau der deutschen H2-Wirtschaft gerecht werden.

Ebenso gilt es dafür zu sorgen, auch mit der neuen Technologie wieder wettbewerbsfähig zu sein. Der Umstieg von Kohle auf Wasserstoff und erneuerbare Energien ist anfänglich mit höheren Betriebskosten verbunden, die im Wettbewerb mit Herstellern aus Drittstaaten nur bedingt an die Kunden weitergegeben werden können. Es müssen Antworten gefunden werden, wie ein in der Produktion teurerer klimafreundlicher Stahl verlässlich seinen Weg in die Anwendung verarbeitender Branchen findet. Ziel der Bundesregierung sollte sein, mittels regulatorischer Anreize die Nachfrage nach klimafreundlichem Stahl aus Deutschland zu stärken, indem sie Absatzmärkte etabliert, auf denen transformationswillige Stahlhersteller verlässlich ein „Grünstahl-Premium“ erzielen können. Beispielsweise können durch Prämien- und Steuermodelle für bestimmte Abnehmersegmente oder auch Vergabekriterien in der öffentlichen Beschaffung starke Anreize zur Herstellung von „grünem“ Stahl gesetzt werden.

Auch Abnehmerindustrien wie die Automobilbranche eignen sich gut für den Aufbau solcher grüner Leitmärkte, weil sie daran interessiert sind, ihre Vorkettenemissionen zu reduzieren. Grüner Stahl ist dafür ein willkommenes Mittel, denn die Mehrkosten sind im Vergleich zur CO2-Einsparung sehr gering: Ein E-Auto aus Grünstahl spart 16 Prozent der produktionsbedingten CO2-Emissionen ein – und das bei einem rechnerischen Preisanstieg für Endverbraucher von deutlich unter einem Prozent.

Grüne Leitmärkte können sich in Europa allerdings nur dann entwickeln, wenn sie auf klaren Definitionen sowie Standardregeln zur Zertifizierung der klimafreundlichen Prozesse und Produkte basieren. Dafür hat die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit ihren Mitgliedsunternehmen bereits ein Label-System entwickelt. Wichtig ist, dass der Aufbau grüner Leitmärkte jetzt nicht nur bundes- sondern auch europaweit vorankommt, um ein „level playing field“ für umweltfreundliche Produkte zu schaffen.

Denn klar ist: Um das Klimaziel 2030 zu erreichen, ist in Deutschland annähernd eine Halbierung der CO2-Emissionen erforderlich. Dies ist eine erhebliche Herausforderung, zu der gerade die Stahlindustrie einen entscheidenden, volkswirtschaftlich günstigen Beitrag zu leisten vermag.

Eine mögliche Verlagerung der Produktion energieintensiver Industrien in Drittstaaten – wie einzelne Stimmen aus der Opposition bereits fordern – würde hingegen zu noch stärkeren globalen Emissionen zulasten des 1,5-Grad-Ziels führen. Carbon Leakage ist keine Lösungsoption: Wenn andere Staaten folgen sollen, müssen wir in Deutschland unsere Frontrunner-Rolle ernst nehmen. Unsere Transformation steht exemplarisch dafür, wie der grüne Umbau der Wirtschaft funktionieren kann.

Statt zu debattieren, zu diskutieren oder sogar gegen klimapolitisch begründete Maßnahmen zu protestieren, müssen deshalb endlich die Voraussetzungen für schnelle Umsetzungen geschaffen werden. Werden politisch die Weichen richtig gestellt, dann kann die deutsche Wirtschaft gestärkt aus der Transformation hervorgehen. Das sehen übrigens auch viele unserer Partnerunternehmen so, die mit uns Kooperationsvereinbarungen beziehungsweise Absichtserklärungen unterschreiben; sei es für die zukünftige Abnahme von „grünem“ Stahl oder für die Lieferung nachhaltig erzeugten Stroms.

Ist es nicht an der Zeit, dass Bundesregierung und Opposition, Wirtschaft und Wissenschaft mit vereinten Kräften das Ruder herumreißen und sich mit dem Rückhalt der Bürgerinnen und Bürger darauf verständigen, den strukturellen Wandel in eine CO2-neutrale Zukunft zu beschleunigen? Wenn es einen richtigen Zeitpunkt dafür gibt, um Deutschlands Industrie klimaneutral und zugleich wettbewerbsfähig sowie zukunftsfest umzubauen, dann jetzt. Gemeinsam müssen wir die Ärmel hochkrempeln. Packen wir’s (endlich) an!

#hierpassierts