19.12.2023Digitalisierung

Die digitale Zukunftsfähigkeit scheitert auch am Verständnis für Daten und deren Nutzung

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„Daten sind gefährlich.“ Das ist seit Jahren der Kern vieler Debatten in Medien und Politik. Die Realität sieht anders aus. Und dieses Paradoxon stellt nicht nur die Digitale Wirtschaft, sondern die Bundesrepublik Deutschland vor große Herausforderungen. Es geht um nicht weniger als Wettbewerbsfähigkeit, Souveränität und Kompetenz.

Menschen nutzen täglich Daten. Daten helfen uns, unser Leben und Alltag zu verbessern. Ob Verkehrsdaten, Fitnessdaten oder andere. Wir alle erkennen den Mehrwert in der Anwendung. Doch sobald wir diese gedankliche Ebene verlassen, kehrt die hinlänglich bekannte German Angst zurück: „Daten sind gefährlich.“ Im nächsten Satz schwingt meistens etwas mit, das ungefähr so lautet: „Meine Daten sollen ja schließlich mir helfen.“ Und damit stehen wir vor dem größten Problem, das Deutschland bei einer Transformation hin zu einem digital zukunftsfähigen und souveränen Staat hat.

Der Ursprung liegt im Verständnis von Datenschutz

Als Parlament, Rat und Kommission der EU ihre Verhandlungen am 15. Dezember 2015 nach einem fast vierjährigen Marathon abschlossen, waren sie sich einig: Die Datenschutzgrundverordnung ist ein Goldstandard. Doch schon unmittelbar vor und noch mehr bei der Anwendung herrschte schnell keine Goldgräber-, sondern vielmehr Katerstimmung. Verändert hat sich seitdem nicht viel. Noch immer bestimmen in Deutschland die Verbote und nicht die Chancen die Debatten. Dabei herrscht Dissonanz nicht selten zwischen Wirtschaft und Behörden. Oftmals führen 18 (!) unabhängige Aufsichtsbehörden die Debatte und das Ziel ad absurdum. Oder wie würden Sie es nennen, wenn Unternehmen den Standort aufgrund der Auslegung der DSGVO innerhalb Deutschlands wechseln?

Als Bundesverband Digitale Wirtschaft erkennen wir die Fortschritte in der Entwicklung der DSGVO zu vorherigen Regulierungen an. Doch müssen wir auch den Finger in die Wunde legen. Dazu zählt auch die Definition des personenbezogenen Datums. Die Kritik daran war schon zu Beginn groß. Zu weit gefasst. Unklar, unter welchen Bedingungen es vorliegt. Und auch wenn die digitale Welt aus Einsen und Nullen besteht, ist sie eben nicht nur schwarz oder weiß. Es wäre besser gewesen, eine weitere Kategorie einzuführen: die des Pseudonyms. Das hat auch das Gericht der Europäischen Union im Jahr 2023 anerkannt. Das EUG entschied, dass pseudonymisierte Daten, die an einen Datenempfänger übermittelt werden, nicht als personenbezogene Daten gelten, wenn der Datenempfänger nicht über die Mittel verfügt, die betroffenen Personen zu re-identifizieren.

Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag 2021 auch Fortschritt beim Datenschutz gewagt. Von verstärkter Kohärenz, Institutionalisierung der Datenschutzkonferenz und rechtlich, wo möglich, verbindlichen Beschlüssen war die Rede. Doch wie in der gesamten Digitalpolitik stellt sich heute leider Ernüchterung ein. Noch immer fehlt ein erster zu diskutierender Vorschlag. Klar ist, wir müssen in Deutschland eine verbindliche einheitliche Auslegung der DSGVO schaffen, indem wir dezentral beraten und zentral entscheiden. Und auch auf europäischer Ebene ist eine Harmonisierung zwingend notwendig. Das bringt Klarheit, schafft die Grundlage für echten, überzeugenden Datenschutz, einen digitalen Binnenmarkt und gibt so Europas Digitaler Wirtschaft Auftrieb.

Ein weiterer Vorstoß beim Datenschutz kommt aus der Zivilgesellschaft und auch erste Behörden stimmen mit ein. Thomas Fuchs, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, erhielt für seinen Vorschlag bei unserer DATA:matters-Themenwoche viel Zustimmung. Er sprach sich dafür aus, die Rolle des Datenschutzbeauftragten in „Datennutzungsbeauftragten“ umzubenennen und die Funktion entsprechend zu erweitern. Personen, die einen strukturellen Überblick über personenbezogene Daten haben, wären damit auch für deren verantwortungsvolle und sichere Nutzung verantwortlich. Aus unserer Sicht ist dies nicht nur für Unternehmen sinnvoll. Auch die staatlichen Strukturen müssen sich verändern. Das bedeutet weg vom ausschließlichen Schutz hin zur geschützten Nutzung und folgerichtig von Datenschutzbehörden zu Datennutzungsaufsichtsbehörden.

Künstliche Intelligenz ohne Daten ist eine leere Hülle

Doch nicht nur Bestehendes muss sich an eine sinnvolle Datennutzung anpassen. Jede*r hat mittlerweile von ChatGPT gehört. Dass Künstliche Intelligenz (KI) vor denselben Herausforderungen wie alle digitalen Anwendungen steht, davon reden bisher nur Expert*innen. Denn die Wurzeln einer florierenden Künstlichen Intelligenz (KI) liegen in der Datenlandschaft. In Europa und Deutschland stoßen wir schon jetzt auf Hürden, die oftmals hemmen und nicht befähigen. Es herrscht Unklarheit und Unsicherheit. Gerade im KI-Umfeld wird die Bedeutung von Daten deutlich. Die Bundesregierung hat dies erkannt und will mit der Datenstrategie an den richtigen Stellschrauben drehen. Und natürlich ist es nicht nur die Politik, die sich bewegen muss. Auch die Wirtschaft muss eine größere Bereitschaft dafür zeigen, Daten zu teilen. Denn ohne eine Fülle und Vielfalt an Datenquellen bleibt der Traum von KI made in Germany und damit neuen Geschäftsmodellen eine leere Hülle, unfähig, ihre volle Innovationskraft zu entfalten. Mit dem europäischen Data Act ist dafür der Grundstein gelegt. Jetzt braucht es eine praxis- und datennutzungsfreundliche Umsetzung auch in Deutschland.

Datenverfügbarkeit im Allgemeinen und die spezifische Nutzung in Systemen Künstlicher Intelligenz können nicht nur den Wirtschaftsstandort stärken. Vielmehr sind sie Helfer und Unterstützer globaler Herausforderungen. Klimawandel, alternde Gesellschaft und Ressourcenmangel sind nur drei exemplarische Beispiele. Eines, das den absoluten Mehrwert des Datenteilens im Zeitalter von KI unterstreicht, will ich ausführen. Es geht um das, was uns allen wohl am wichtigsten ist: unsere Gesundheit. Die Bundesregierung und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach haben mit dem Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens einen aus unserer Sicht sehr guten Vorstoß geleistet. Hier werden Datenverfügbarkeit, Datenqualität, Datennutzung und Datenschutz in Einklang gebracht. Und es geht gleichzeitig um den eigenen Nutzen, wie auch den für die Gesellschaft. Dass jetzt wiederum der oberste Datenschützer Deutschlands nur sagt, was alles nach seiner Interpretation nicht geht, verdeutlicht das Grundproblem. Es wird wieder einmal mehr davon ausgegangen, dass Daten gegen den Einzelnen und nicht für die Mehrheit genutzt werden. Dabei könnte eine bessere Datenverfügbarkeit in Zusammenspiel mit einer KI beispielsweise bei der Erkennung von Krankheitsbildern helfen, Fehldiagnosen reduzieren oder auch die Medikation optimieren.

Datenkompetenz war, ist und wird in Zukunft die Schlüsselqualifikation sein

Disruptive Technologien und ihre Entwicklungsstufen basieren alle auf ein und demselben Fundament. Sei es bei Tonträgern von der Schallplatte über Kassette, CD, DVD und MP3 bis zum Streaming oder vom Telefon über das Handy zum Smartphone hin zu Wearables. Bei allen wurden Informationen neu gedacht, interpretiert, sortiert und codiert. Das Fundament sind Daten. Und auch heute sehen wir dieses Fundament im vollen Umfang – bei Künstlicher Intelligenz, Immersiver Technologie oder Web3.

Wir leben in einer Welt, die volatil, ungewiss, komplex und mehrdeutig zu gleich ist. Umso wichtiger ist deshalb in die Datenkompetenz als gesellschaftliche und wirtschaftliche Schlüsselqualifikation zu investieren. Es geht um die Fähigkeit, Daten zu analysieren und zu interpretieren, um fundierte Entscheidungen treffen zu können.

Für den Einzelnen heißt das unter anderem zu verstehen, welche Tools welche Ergebnisse liefern. Und nachvollziehen zu können, weshalb Tools Ergebnisse liefern, die sie liefern. Zu erkennen, welche Technologien zielführend und gewinnbringend eingesetzt werden können und sich der Risiken bewusst zu sein. Für die Wirtschaft bedeutet es, Innovationen hervorzubringen, die Bedürfnisse erfüllen. Es geht um neue Geschäftsfelder, eine bessere Wettbewerbsfähigkeit und auch um Effizienz- und Effektivitätssteigerungen. Andere Staaten werden nicht auf uns warten und nicht jeder Akteur, ob staatlich oder nicht, wird die technologische Entwicklung für Gutes nutzen. Für die Gesellschaft ermöglicht Datenkompetenz globale Herausforderungen besser zu meistern, resilienter und unabhängiger zu werden.

Die Lösung liegt im WIE und nicht im ABER

„Daten sind gefährlich.“ Um diesen Reflex zu ändern, brauchen wir endlich eine gesellschaftliche Debatte über den positiven Einfluss von Daten und deren Nutzen für Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und jeden Einzelnen. Lassen Sie uns über Möglichkeiten – das ‚Wie‘ – sprechen, als nur über Risiken – das ‚ABER‘ – zu diskutieren. Um dies anzustoßen, müssen wir handeln. Dabei nehme ich explizit die Digitale Wirtschaft in die Pflicht, voranzugehen. An unserer Seite braucht es aber auch Zivilgesellschaft, Politik und die öffentliche Hand. Daten können das. Und das ist keine Floskel, sondern Fakt. Was sie können, können wir als Gesellschaft gestalten.

Die Politik fordere ich auf, beim Datenschutz voranzugehen, die Datennutzung weiter voranzutreiben und neben digitalen Leuchtturmprojekten auch endlich in eine Umsetzung in der Breite zu kommen. Dabei kann der Staat auch Vorbild und Vorreiter sein. Das bedeutet nicht, analoge Prozesse zu digitalisieren, um Deutschland zukunftsfähig zu machen. Eine echte Daten- und Digitalpolitik geht weit darüber hinaus. Sie denkt unsere Welt und Herausforderungen in digitalen Lösungen mit verfügbaren Daten, die wir nutzen und sie stellt das Bedürfnis des Menschen in den Mittelpunkt.

Daten waren, sind und werden die Zukunft sein. Packen wir es also an. Denn bleibt es, wie es ist, haben wir weiter das Nachsehen und Europa kein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Zukunft.

 

Dirk Freytag