Mehr Fortschritt wagen – Progressive ökologische Industriepolitik statt rot-grün-gelbes Lagerdenken

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„Mehr Fortschritt wagen“ – diesen Titel gaben sich die Ampelkoalitionäre als Leitmotiv für ihren Koalitionsvertrag. Was man seither beobachten kann, ist jedoch nicht immer ein zielorientiertes Ringen um die besten Lösungen, sondern eine dogmatische, repetitiv vorgetragene Litanei eigenen Lagerdenkens und die Fokussierung auf die eigene Wählerklientel.

Die Aufgaben und Herausforderungen könnten dabei größer kaum sein. Uns stehen nicht Tagespolitik und konjunkturelle Zyklen bevor, sondern eine gewaltige Transformationsaufgabe der nächsten Jahrzehnte.

Die Dimension der Herausforderungen sollte jedoch keinesfalls zu Lethargie und Resignation verleiten, sondern ist ganz im Gegenteil Aufforderung zum Handeln und Anpacken! Dabei sollte sich die Politik nicht im Klein-Klein und im Mikromanagement verlieren, sondern ein gemeinsames Narrativ einer sozial-ökologischen Transformation entwickeln. Ein Narrativ, das die ökologische und industrielle Transformation gesellschaftspolitisch einbettet, eine politische Klammer, welche den Rahmen für Markt und Unternehmen setzt. Hierzu seien im Folgenden drei zentrale Elemente anhand dreier Leitthesen ausgeführt.

  1. Die ökologische Transformation erfordert ein neues Verhältnis von Markt zu Staat

Die Klimakrise lässt sich nicht allein „im Markt“ lösen – sie lässt sich aber genauso wenig allein durch „kluge Politik“ und einen strengen Ordnungsrahmen lösen. Wichtig ist stattdessen ein neues Zusammenspiel aus Unternehmen, Entrepreneurship und einem aktiven Staat mit industriepolitischen Instrumenten. Dies ist eine wichtige Grundvoraussetzung für das Gelingen der Transformation, die nur über einen Weg geführt werden kann: Investitionen, Investitionen, Investitionen!

Alle einschlägigen Szenarien und Prognosen gehen von einem dreistelligen Milliardenbedarf an Investitionen aus, um die Dekarbonisierung voranzubringen – jährlich. Dies sind Investitionsbedarfe in einem nie vorher gesehenen Ausmaß. Klar ist dabei: der Großteil der Investitionen sind private Investitionen, nur ein Anteil der Gesamtsumme wird über öffentliche Investitionen erbracht.

Private Investitionen in die Fläche bringen

Dies bedeutet: die Investitionsbedingungen für privates Kapital müssen verbessert werden. Schon vor der Energiekrise herrschte in der EU ein weitläufiger und gefährlicher Investitionsattentismus. Die auf rigides Ordnungsrecht basierte EU-Klimapolitik droht die Privatinvestitionen weiter auszubremsen – v.a. vor dem Hintergrund des US Inflation Reduction Acts (IRA), der zu einer Verlagerung der Investitionsentscheidungen führt. Ein zentraler Teil der europäischen Antwort auf den IRA muss ein „Regulation Reduction Act“ sein. Europa hat sich in der jüngeren Vergangenheit einen Dschungel an Regulierungsvorschriften gezüchtet, der kafkaeske Ausmaße annimmt und private Geschäftstätigkeit zu einem beständigen Hürdenlauf macht.

Anstatt das Gespenst von „Deregulierung“ an die Wand zu malen, sollten linke Parteien verstehen, dass eine Incentivierung von privaten Investitionen auch ökologischen und sozialen Zwecken dienen kann, wenn der Staat einen intelligenten Rahmen setzt. Investitionsförderung darf dabei nicht, wie bisher in der EU der Schwerpunkt, auf Kapitalkosten beschränkt sein (Capex), sondern muss auch auf laufende Betriebskosten (Opex) ausweitet werden, damit die Preisdifferenz von grünen Produkten, wie beispielsweise die Stahlherstellung mit grünem Wasserstoff, nivelliert werden kann. Zudem kann eine Opex-Förderung auch an soziale Kriterien gekoppelt werden, so wie die USA es erfolgreich zeigen.

Öffentliche Anschubinvestitionen ermöglichen

Privatinvestitionen sind aber nur ein Teil der Gleichung, die Summe geht nur dann auf, wenn der Staat ebenso einspringt – und eine neue Rolle annimmt. Denn viele der neuen Clean Energy Technologien, insbesondere der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, erfordern öffentliche Anschubinvestitionen in hohem Ausmaß. Der Staat nimmt im Rahmen der ökologischen Transformation mehrere Rollen ein: er ist Investor, er ist Risikoabfederer, er setzt infrastrukturelle Voraussetzungen und er agiert als Market-Maker.

Damit der Staat jedoch die öffentlichen Investitionen tätigen kann, muss er auch finanziell dazu befähigt werden. Dies geht nur über eine Schuldenaufnahme in signifikantem Ausmaß. Dies ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn Gelder investiv und nicht konsumtiv verwendet werden. Jeder einzelne vom Staat investierte Euro zieht private Investitionen nach sich, der Leverage-Effekt beträgt ein Vielfaches. Die USA, aktuell das Mutterland der modernen Industriepolitik, zeigen dies mit „Bidenomics“ und dem IRA eindrucksvoll. Es wird Zeit, dass liberale Parteien in ganz Europa diese Realität anerkennen.

Staat und Markt zusammenbringen

In der jüngeren Vergangenheit ist die Investitionsquote auf ein sehr niedriges Niveau abgesunken, der Kapitalstock in Deutschland nimmt ab. Das Land lebt von seiner Substanz. Dies hat zwei Ursachen: ausbleibende öffentliche Investitionen aufgrund der Austeritätspolitik und ausbleibende private Investitionen – weil Gewinne in Dividendenausschüttung und Aktienrückkäufe gesteckt wurden.

Damit privates Kapital auch dort allokiert wird, wo es volkswirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvoll ist, nämlich in die ökologische und digitale Transformation, in Forschung und neue Technologien, sollten Dividendenausschüttung und Aktienrückkäufe in vielfach höherem Maß besteuert werden. Unternehmen müssen durch ein sinnvolles Marktdesign dazu gebracht werden, mehr zu investieren, anstatt an wenige Shareholder auszuschütten. Damit würde man gleichzeitig auch der wachsenden Vermögensungleichheit entgegenwirken.

Das neue Verhältnis von Markt zu Staat ähnelt eher dem missionsorientierten Ansatz, wie ihn die Ökonomin Mariana Mazzucato beschrieben hat. Hier greifen Politik und Unternehmen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft sektorübergreifend ineinander, um die besten Lösungen für ein gemeinsames Ziel zu finden. Das Ringen um die besten Lösungen ist in der Klimapolitik noch keinesfalls vorbei.

  1. Die Klimapolitik benötigt eine Neukalibrierung der richtigen Instrumente

Im Kern stehen der Politik drei Instrumente für den Klimaschutz zur Verfügung: erstens, Regulierung und Verbote, also Ordnungsrecht. Zweitens, die CO2-Bepreisung, verbunden mit einer gedeckelten Emissionsmenge (Cap&Trade). Drittens, im weiteren Sinne Industriepolitik, d.h. Fördermaßnahmen und Subventionen, aber auch ein Marktdesign über grüne Leitmärkte zu schaffen.

Die Klimapolitik bedient sich aller drei Instrumentenkategorien. Der vorherrschende dirigistische Zeitgeist und der Regulierungseifer in Brüssel und Berlin führen jedoch zu einer starken Überbetonung des Ordnungsrechts. Bis ins kleinste Detail werden Vorgaben erarbeitet, unternehmerisches Handeln an Bedingungen geknüpft und Verbote erlassen – und das in einem Planungshorizont bis 2050. Das Ergebnis dieser falsch akzentuierten Politik lässt sich schleichend beobachten: Unternehmen schränken ihre Aktivitäten in Europa ein und Investitionen bleiben aus bzw. werden verlagert.

Das zentrale Element der Klimaschutzpolitik ist und bleibt der Emissionshandel. Durch eine Deckelung der Emissionen in den betroffenen Sektoren ließe sich eine Paris-konforme CO2-Reduzierung gewährleisten. Preissignale entfalten eine Wirkung, sowohl bei Unternehmen als auch Privatverbrauchern. Ein Großteil der CO2-Einnahmen lässt sich als „Klimageld“ auszahlen. Damit entsteht sogar nebenbei ein Umverteilungseffekt von Oben nach Unten. Nicht alle, aber viele Härtefälle im Rahmen der CO2-Preis-Progression lassen sich durch ein staatliches Unterstützungssystem abfedern. Die Logik des Emissionshandelssystems ist nicht neu. Allein, es fehlt der politische Mut, mehr Marktwirtschaft zuzulassen und in der Regulierung loszulassen.

Kurz gesagt: der Staat sollte weniger feinregulieren, weniger technologische Vorgaben machen und stattdessen grüne Leitmärkte schaffen und Investitionen in grüne Technologien und in Dekarbonisierungsprojekte anreizen.

  1. Fortschritt und Technologieoffenheit befördern

Der aktuelle klimapolitische Pfad fußt gewissermaßen auf einer Hybris: große Teile der vorherrschenden Klimapolitiker und Aktivisten glauben, einen detaillierten Plan zu haben, den es nur durchzuexerzieren gilt, damit das Ziel, Klimaneutralität bis 2045, erreicht wird. Dieser Klimaplan setzt sich maßgeblich zusammen aus dem Ausbau der Erneuerbaren Energien (bei angestrebter 100%-Abdeckung), der vorrangigen Elektrifizierung und der Vermeidung oder gar des Verbots von Alternativlösungen.

Doch das, was heute manchen als der intelligenteste Weg erscheinen mag, muss keinesfalls für die nächsten 30 Jahre Bestand haben. Die technische Effizienz und Überlegenheit mancher Lösungen gehen nicht zwingend mit einer ökonomischen Effizienz einher. Die All-Electric-Strategie kann an der notwendigen Infrastruktur, dem Ressourcenbedarf, den geopolitischen Abhängigkeiten, dem Fachkräftemangel etc. ausgebremst werden oder scheitern. Die technologische Pfadabhängigkeit darf nicht zu einer Unmanövrierfähigkeit führen.

Insbesondere gilt es, technologisch offen zu bleiben und weiterhin massiv in die Forschung zu investieren – in alle Richtungen. Dies heißt nicht, dass eine Elektrifizierungsstrategie falsch ist, ganz im Gegenteil. Es heißt lediglich, alle anderen Möglichkeiten für eine Dekarboniserung ernst zu nehmen: dazu gehören insbesondere auch die Skalierung von CO2-Abschneidungs- und Speicherungstechnologien und der Einsatz von Wasserstoff auch in blauer und roter Farbe, bis ein Hochlauf von grünem Wasserstoff in den 2030’er Jahren gewährleistet werden kann.

Ein neues Mindset in der Forschungs- und Innovationspolitik ist auch im Bereich der Gentechnik und allgemeiner in der Biotechnologie notwendig. Auch hier können neue gentechnisch veränderte Pflanzen dafür sorgen, dass sie an Klimaveränderungen besser angepasst sind. Anpassung und Resilienz sind wichtige Aspekte im Klimawandel, auch wenn darüber nicht gerne gesprochen wird.

Klimapolitik global denken und anschlussfähig machen

Wichtig ist schließlich, dass technologische Lösungen gefunden werden, die skalierbar sind und auch den Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung stehen. Denn der Klimawandel lässt sich nur über zwei Wege aufhalten: indem die Großemittenten ihre Emissionen reduzieren und indem wir zweitens dem globalen Süden einen Weg aufzeigen, klimaneutral zu wachsen.

Die eigene Klimapolitik darf daher nicht zu einem abschreckenden Beispiel der Deindustrialisierung werden, bei der dem globalen Klima durch Carbon Leakage noch nicht einmal geholfen ist. Wichtig ist daher, den sach- und zielorientierten Streit um die besten klimapolitischen Instrumente zu führen, beständig neu zu evaluieren und zu kalibrieren, Zielkonflikte klar zu benennen und ein gesundes Maß an Ambiguitätstoleranz aufzuweisen.

Sozial-ökologischen Liberalismus mit Leben erfüllen

Dies erfordert die Aufgabe von ideologisch-aufgeladenen Grabenkämpfen und das Schlachten von „heiligen Kühen“, die wissenschaftlich überholt sind und nur der eigenen Kernklientel als Glaubensdogma dienen. Für die FDP bedeutet das zu lernen, dass die Schuldenbremse ein für nachkommende Generationen ökonomischer und ökologischer Sündenfall ist, der zu zutiefst illiberalen Zuständen führen wird. Die Grünen müssen auf ihre Hybris und ordnungspolitischen Übereifer verzichten und lernen, stärker marktbasiert Klimapolitik zu betreiben. Die SPD sollte ihren historischen Antagonismus gegenüber Unternehmen und Arbeitgebern aufgeben und lernen, dass Staat und Unternehmen in der ökologischen Transformation in enger Partnerschaft stehen. Sowohl Grüne als auch SPD müssen lernen, wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt anzunehmen und zu fördern, anstatt ihn zu verbieten und damit anderen Regionen in der Welt das Feld zu überlassen.