Digitalisierung für die Circular Economy – Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Industrietransformation schaffen

©
iStock bluejayphoto

 

 

Es ist unübersehbar: der weltweite ökologische Problemdruck steigt dramatisch und die Fortschritte bei der Reduktion von Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbräuchen oder bei der Erhaltung der Artenvielfalt sind bislang völlig unzureichend. Bei der Lösung dieser Herausforderungen wird Digitalisierung in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen müssen. Neue digitale Technologien, Geschäftsmodelle und Kommunikationsformen prägen immer stärker unseren Alltag und bestimmen, wie wir uns in Wirtschaft und Gesellschaft organisieren. Das schafft neue Handlungsmöglichkeiten für Klima-, Natur- und Ressourcenschutz, die es zu nutzen gilt.

Aber: Angesichts der oben skizzierten Problemdimensionen wird es uns mit begrenzten und punktuellen technologischen Effizienzgewinnen alleine nicht gelingen, unsere Gesellschaften innerhalb der planetaren Grenzen ökologisch nachhaltig weiterzuentwickeln. Wir brauchen einen beschleunigten und tiefgreifenden Systemwandel wie eine vollständig erneuerbare Energieversorgung, die Klimaneutralität von Wirtschaft, Verkehr und Gesellschaft oder auch die drastische Senkung des weltweiten Ressourcenverbrauchs, was neue Formen von industrieller Wertschöpfung und Geschäftsmodellen erfordert.

Hier liegt die große Chance der Digitalisierung für die erfolgreiche Umsetzung der Circular Economy, die im Rahmen der kommenden Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) der Bundesregierung ergriffen werden muss. Eine umfassende Kreislaufwirtschaft kann ohne digitale Unterstützung nicht erreicht werden. Heute schon prägt die Digitalisierung immer stärker Produktionsprozesse, Wertschöpfungsketten, Wettbewerbspositionen und verändert die Beziehungen von Unternehmen zu Kund*innen und Partnern. Unternehmen werden Teil von Daten-Ökosystemen; industrielle Wettbewerbsfähigkeit und Technologieführerschaft definieren sich zunehmend über die Kompetenz zur Koordination und Gestaltung von Datenbeziehungen.

Wichtig ist dabei: das Zielbild einer Circular Economy geht von einem Paradigmenwechsel der ökonomischen Logik der Ressourcennutzung aus. Aus einer linearen Wertschöpfungskette wird in der Circular Economy ein Wertschöpfungsnetzwerk, in dem sich Entscheidungen auf jeder Prozessstufe auf die Handlungsoptionen der anderen Akteure auswirken. In der Circular Economy geht es also nicht alleine um eine effizientere Produktion sondern vor allem darum, anders zu wirtschaften – es geht um eine nachhaltige Industrietransformation.

Die entscheidende Frage ist damit: wie kann Digitalisierung helfen, die Systemtransformation in der Wirtschaft hin zu zirkulären Geschäftsmodellen und neuen Formen einer ressourcenschonenden Wertschöpfung voranzutreiben? Und was müssen wir dafür tun? Dazu fünf zentrale Ansatzpunkte:

1. Die Basis der digitalen Kreislaufwirtschaft legen: mit digitalem Produktpass und Datenräumen zu mehr Transparenz zu Produkten, Stoffströmen und Ressourcenverbrauch

Die zentrale Voraussetzung für die Circular Economy ist Transparenz über das gesamte Wertschöpfungsnetz – und damit die Verknüpfung von physischen Stoffströmen und kommerziellen Nutzungsmustern mit digitalen Datenströmen. Für diesen Zweck wird aktuell auf EU-Ebene der digitale Produktpass (DPP) als zentraler Informationsträger für die digital-unterstützte Kreislaufwirtschaft entwickelt. Der DPP verbindet Datensätze von Materialien und Produkten bspw. zu Inhaltsstoffen, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und Entsorgungshinweisen, die zwischen den verschiedenen Akteuren geteilt und digital verarbeitet werden können. Gleichzeitig werden heute schon zunehmend Daten in den industriellen Lieferbeziehungen zwischen Zulieferern und Abnehmern ausgetauscht. In Verbindung mit dem DPP werden damit immer mehr Informationen für die Akteure in den Wertschöpfungsnetzen zur Verfügung stehen – in Summe bilden sich gemeinsame Datenräume der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy Data Spaces). Diese dezentralen, vernetzten Wissensspeicher der Circular Economy sind die Voraussetzung für neue, innovative datenbasierte Kooperationen, z.B. wenn es um Reperaturdienstleistungen oder die Lebensdauerverlängerung durch Wiederaufarbeitung (Refurbishment) von Produkten geht.

2. Digitalisierung für Klima- und Ressourcenschutz in Design und Produktion einsetzen

Die Design- und Konstruktionsphase am Beginn des Lebenszyklus ist von zentraler Bedeutung für die Circular Economy, da hier die grundlegenden Entscheidungen für die Kreislauffähigkeit eines Produkts zur Materialwahl, Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit getroffen werden. Digitale Design- und Konstruktionswerkzeuge erleichtern z.B. durch KI-Unterstützung die Lösung von komplexen Konstruktionsaufgaben und sie ermöglichen, ein virtuelles Engineering für die nachgelagerten Strategien von Beginn an mitzudenken (z.B. Demontage und Reparatur, Austausch von Verschleißteilen oder Refurbishment). In der Produktion bietet der digitale Werkzeugkasten der Industrie 4.0 vielfältige Möglichkeiten zur optimierten Steuerung von Maschinen und Anlagen z.B. mit Blick auf Vermeidung von Ausschuss und Abfällen.

3. Wertschöpfung an Kreislaufwirtschaft ausrichten und Daten für zirkuläre Geschäftsmodellen nutzen

Eng verbunden mit Produktdesign und Produktion erleichtert Digitalisierung neue Formen der Wertschöpfung z.B. durch nutzungsdatenbasierte Geschäftsmodelle (bspw. sog. pay-per-use oder product-as-a-service Modelle), bei denen der Anbieter nur für die tatsächliche Nutzung von Produkten vergütet wird und so Anreize für deren Langlebigkeit gesetzt werden. Auch wird durch digitale Plattformen die gemeinsame Nutzung von Produkten im Sinne einer Sharing Economy oder die Weiternutzung als Second Hand-Ware ermöglicht, was den Ressourcenverbrauch reduzieren kann.

4. Mit Digitalisierung nachhaltigen Konsum fördern sowie Reparatur und Wiederverwendung stärken

Für die Circular Economy ist es unverzichtbar, dass Digitalisierung uns im Alltag hilft, unseren Konsum immer besser an Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft auszurichten, Abfälle zu vermeiden und langlebige Produkte auszuwählen. Ein offensichtlicher Ansatzpunkt ist daher, Informationen zur Circular Economy nutzungsfreundlich aufzubereiten und z.B. während der Kaufentscheidung – gerade beim Online-Shopping – bereitzustellen. Digitalisierung kann zudem viele Beiträge leisten, um das Angebot für Verlängerung der Lebensdauer von Produkten, Komponenten und ihrer eingesetzten Ressourcen durch Reparatur und Wiederaufarbeitung auszuweiten und im großen Maßstab zu skalieren, z.B. durch Nutzung des digitalen Produktpasses für den Zugang zu Konstruktionsdaten sowie Reparaturanleitungen oder Informationen zu verbauten Materialien.

5. Mit Daten das Wegwerf- und Entsorgungsverhalten lenken und Märkte für Sekundärrohstoffe stärken, um Ressourcen im Kreislauf zu halten

Am Ende der Nutzungsphase bietet Digitalisierung das Potenzial, die gewerblichen und privaten Nutzer*innen durch bessere Informationen und spezifisches, zeitnahes Feedback dabei zu unterstützen, Abfälle zu vermeiden, richtig zu entsorgen und dem Recycling zuzuführen. Weiterhin sind digitale Handelsplattformen wichtige Kanäle für die Vermarktung von qualitätsgeprüften und zertifizierten Sekundärmaterialien (Rezyklaten) und vernetzen die Recyclingbranche als Anbieter mit den abnehmenden Produzenten.

Dieser kurze Überblick macht deutlich, dass digitale Technologien an vielen Stellen in der Circular Economy zum Schließen von Kreisläufen, zur Steigerung der Ressourceneffizienz und vor allem zu einer zukunftsfähigen – weil nachhaltigen – Wertschöpfung beitragen können.

Sie kombinieren dabei die unterschiedlichsten digitalen Schlüsseltechnologien wie vernetzte Sensoren und das Internet of Things (IoT), Edge und Cloud Computing sowie digitale Plattformen, Distributed Ledger Technologien (DLT) und Analyseverfahren basierend bspw. auf Big Data oder Künstlicher Intelligenz (KI). Neue Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck kommen hinzu. Damit wird die Digitalisierung der Circular Economy als Teil der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) auch zum Wettbewerbsfaktor für den Industriestandort Deutschland, nicht zuletzt mit Blick auf die immer noch führende Rolle deutscher Unternehmen im Bereich digitaler Produktionstechniken in Verbindung mit der traditionell starken Position der deutschen Umwelt-, Abfall- und Entsorgungstechnik im globalen Wettbewerb.

Diese Chance müssen wir nutzen.

Der Beitrag ist der zweite Teil unserer Reihe zur Kreislaufwirtschaft.