Politische Absicherung der Energiewende: Einführung eines Kapazitätsmarktes

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Das Deutsche Stromsystem braucht einen Kapazitätsmarkt, der den nationalen Gegebenheiten entspricht – inklusive systemstabilisierender Übergangsphase.

Die Geschichte des deutschen Energy-Only-Marktes (EOM) ist eine Erfolgsgeschichte auf dem Feld der Energiemärkte und der Versorgungssicherheit vor der Transformation. Im Zeitalter der Energiewende offenbart er Schwächen – die wir korrigieren müssen, um unsere Zukunft nicht zu gefährden.

Der EOM bezieht sich auf einen Elektrizitätsmarkt, auf dem der Preis für erzeugte elektrische Energie durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Im Gegensatz zu Kapazitätsmärkten, bei denen Kraftwerksbetreiber für die Bereitstellung von Kapazität bezahlt werden, erfolgt auf einem EOM die Vergütung ausschließlich für die tatsächlich gelieferte Energiemenge.

In einem EOM sind die Anreize für die Betreiber von Kraftwerken darauf ausgerichtet, effizienter und wirtschaftlicher zu produzieren, um im Wettbewerb bestehen zu können. Der Marktmechanismus soll sicherstellen, dass die Elektrizitätswirtschaft kosteneffizient arbeitet und Anreize für Investitionen in neue und effizientere Technologien bietet.

Auf die Vergangenheit, gerade die graduelle Liberalisierung des Energiesektors der letzten Jahrzehnte gesehen, gibt der Erfolg dem EOM recht. Ein Markt, der das gesamte europäische Energiesystem mit seiner Liquidität absichert und (gepaart mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG) einen wertvollen Erneuerbare Energien (EE) Hochlauf ermöglicht hat.

Leider wird das Stromsystem durch den Siegeszug von Wind und Solar Opfer seines eigenen Erfolgs.

Die grünen Erzeuger bieten aufgrund der sehr geringen OPEX-Kosten am Markt unschlagbare Preise und drängen so konventionelle Kraftwerke aus dem Markt. Ein gutes Zeichen für die Transformation aber auch eine Herausforderung für die Versorgungssicherheit.

Wind- und Solaranlagen sind in ihrer klimaneutralen Produktion preislich nicht schlagbar. Ihre zeitliche Abhängigkeit von Wetter und Tageszeit muss mit anderen Technologien ausgeglichen werden. Das heißt, Flexibilisierung auf der Verbrauchsseite, Stromspeichertechologien und vor allem: sogenannte gesicherte Leistung, Anlagen die aus zeitlich unabhängigeren Energieträgern (Erdgas, Wasserstoff) ‚auf Knopfdruck‘ Strom erzeugen können.

Aber, das Zusammenspiel von Marktentwicklung, steigenden CO2-Preisen und geopolitischer Unsicherheit verhindert notwendige Investitionen in die nächste Generation gesicherter Leistung. Der beginnende Wasserstoffmarkt verändert diesen Sachstand aktuell nicht.

Um das Stromsystem zu erhalten und den Ausbau der Erneuerbaren nicht zu bremsen braucht es also zusätzliche Maßnahmen, die gesicherte Leistung anreizen. Diese gesicherte Leistung der nächsten Generation muss gleichzeitig die Versorgung absichern, wenn der Verbrauch von Wind und Solar alleine nicht gedeckt werden kann und weitere Systemdienstleistungen erbringen. Sie muss aber auch mit der Klimaambition des Gesamtsystems Schritt halten.

Die kurzfristige Konsequenz ist eine durchschlagende Kraftwerkstrategie. Eine notwendige Maßnahme mit deren Geschwindigkeit und Effizienz der Kohleausstieg 2030 steht und fällt.

Mittel- und langfristig ist eine strukturierte Antwort auf die Frage nach gesicherter Kapazität die richtige Lösung. Diese Erkenntnis steht eigentlich bereits seit 2015 fest. Die Einrichtung einer der beiden gängigen Lösungen, (wahlweise ein zentraler oder dezentraler Kapazitätsmarkt) ist allerdings (bis jetzt) nur auf anderen Märkten vorgenommen worden. So zum Beispiel in Frankreich, Großbritannien oder Belgien. Die Herausforderung bei der Einführung eines solchen Marktes ist vor allem die Komplexität die jeweils national einzigartigen Faktoren im Kapazitätsmodell zu berücksichtigen.

Gerade für den deutschen Markt, mit seinen geographisch getrennten Erzeugungs- und Verbrauchsclustern, der einheitlichen Strompreiszone und dem als europäische Marktstütze funktionierenden EOM ist die Einführung besonders schwierig.

Das neue Marktdesign muss Fragen beantworten, die im aktuellen System unbeantwortet bleiben. Als Grundmaxime muss es ‚Ermöglichen statt Einschränken‘. Die Energiewende ist eine technologische Revolution auf allen Ebenen. Der neue Mechanismus muss das respektieren und anreizen. Weitere Faktoren, die in einem Kapazitätsdesign für Deutschland berücksichtigt werden müssen, sind:

  • Erhaltung der Vorteile des aktuellen Marktdesigns. Der EOM bringt effiziente Preissetzung und ist in seinem Wettbewerb im Interesse der Verbraucher. Jenseits davon ist der deutsche Markt aufgrund seiner Terminmarktliquidität eine Stütze für das europäische Stromsystem. Der Übergang in ein System mit zusätzlichem Kapazitätsmarkt muss flüssig und transparent stattfinden.
  • Sicherstellung regional verteilter Versorgung. Sowohl Netzdienlichkeit als auch regional verteilte Versorgung müssen durch die Kapazitätsausschreibungen gestärkt werden. Effizienter und reduzierter Netzausbau können und sollen die Folge des kommenden Marktmodells sein.
  • Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Ein Kapazitätsmarkt reizt die ehemals über Preisspitzen finanzierte gesicherte Leistung an. Diese ‚versichert‘ Versorgung und Markt. Die Kosten hierfür dürfen die Zustimmung zur Energiewende nicht unterwandern.
  • Klimaneutralität auch für gesicherte Leistung. Klimaneutralität und Versorgungssicherheit müssen keine Gegenpole sein. Das Marktdesign muss auch den Kraftwerken, die bei Flaute und Dunkelheit laufen Klimaneutralität finanzieren können.
  • Strommarkt im europäischen Verbund. Der supranationale Stromhandel in Europa ist ein Standort- und Versorgungsvorteil. Ein gutes Marktmodell kann diesen noch verstärken.
  • Unsicherheiten im Laufe der Transformation ausräumen. Das Kapazitätsmodell muss, in Zeiten von reduzierter Planbarkeit, sichere business cases schaffen die die langen Abschreibungsphasen von Kraftwerksblöcken berücksichtigen.

Die Gesamtheit dieser Faktoren lässt sich weder durch ein ausschließlich zentrales noch durch ein dezentrales System vollständig abdecken. Das verkompliziert die Modellentwicklung und fordert einen weiteren Zeithorizont. Glücklicherweise kann die Kraftwerkstrategie die Zeit bis zur notwendigen Implementierung überbrücken.

Es bleibt aber eine notwendige Aufgabe, bis 2028 ein zentral-dezentral symbiotisches Marktmodell auszuarbeiten. Mit transparentem Zertifikatshandel der Flexibilität anreizt, Wettbewerb im Interesse der Verbraucher zulässt und paneuropäische Systemintegration fördert.

Im Rahmen der Plattform Klimaneutrales Stromsystem (PKNS) sind hierzu die ersten Konzepte vorgelegt worden. Wir müssen jetzt das durch die Kraftwerkstrategie eröffnete Zeitfenster nutzen, um von der Konzeptphase zur vollständigen Implementierung eines Kapazitätsmarktes, der die Klimaneutralität unterstützt, zu kommen. Umso schneller und gründlicher wir damit sind, umso eher können wir als Vorbild bei der Transformation anderer nationaler Märkte auch einen Beitrag zur globalen Transformation leisten. Und umso eher wird deutsche Versorgungssicherheit zum kompetitiven Standortvorteil.