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Grüner Wasserstoff ist für die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft – also das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 – von zentraler Bedeutung. Die Kommunen sind der Ort, an dem aus der Nationalen Wasserstoffstrategie Wirklichkeit wird. In den Städten und Gemeinden werden bereits heute Elektrolyseure und Wasserstofftankstellen projektiert, neue Anwendungsfelder erforscht, sind Leitungen zu legen und Transportwege zu planen. Städte wie Hamm können Impulsgeber für den Einsatz von Wasserstoff und die Transformation der Wirtschaft werden. Aus den Erfahrungen der kommunalen Praxis können wiederum Rückschlüsse für Initiativen der EU-, Bundes- und Landespolitik gezogen werden.

Treibstoff der industriellen Transformation

Grüner Wasserstoff wird durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Der für die Herstellung von grünem Wasserstoff benötigte Strom wird aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Der Energieträger Wasserstoff lässt sich gut und im Vergleich zu Strom lange speichern und ist in vielen Bereichen einsetzbar. Mit Wasserstoff können Fahrzeuge und Maschinen betrieben oder Werkstoffe wie Stahl fast klimaneutral hergestellt werden (vgl. Rößiger 2022). Für die Stahlerzeugung sind große Mengen Wasserstoff notwendig. Thyssenkrupp in Duisburg ist ein Beispiel für die Neuausrichtung dieser Schlüsselindustrie. Wasserstoff kann überdies, wie die aktuellen Debatten um die kommunale Wärmeplanung zeigen, in der (Fern-)Wärmeversorgung zum Einsatz kommen.

Die Rahmenbedingungen für die Herstellung und den Einsatz von Wasserstoff sind in Westfalen und im Ruhrgebiet nahezu ideal: Im „Wasserstoffranking 2023“ des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wurde das Ruhrgebiert als Spitzenreiter ausgezeichnet (vgl. IW Consult 2023). Laut einem Ranking der Internationalen Energieagentur und des Europäischen Patentamts gehört das Ruhrgebiet zu den weltweit innovativsten Regionen für die Entwicklung von Wasserstoff (vgl. Hauser 2023). Die von IW Consult berechneten Arbeitsplatzeffekte für die Metropole Ruhr zeigen zudem das große Potenzial von grünem Wasserstoff für die Industrie (vgl. IW Consult 2024).

Bausteine der „Wasserstoffwende“ in Hamm

Die Stadt Hamm ist ein historisch gewachsener Energiestandort, an dem viele Jahre lang Steinkohle abgebaut und kohlebefeuerte Kraftwerke betrieben wurden. Die Nähe zum Steinkohleabbau und die Lage am für Kühlwasser benötigten Fluss, der Lippe, bildete die Basis für die spätere Ansiedlung energieintensiver Industrie. Mit der Schließung des Kraftwerks Westfalen zum 31.12.2020 endete die auf Steinkohle basierte Energieproduktion in Hamm. Die Energiewirtschaft stand und steht für gut qualifizierte Arbeits- und Ausbildungsplätze mit einem entsprechenden Lohnniveau. Die Wertschöpfung aus der Energiewirtschaft betrug zuletzt allerdings nicht mal mehr ein Prozent der in Hamm erbrachten Wirtschaftsleistung.

Hamm gehört damit zu den fünf Standorten in Nordrhein-Westfalen, die vom Ausstieg aus der Steinkohleverstromung und dem damit einhergehenden Strukturwandel am stärksten betroffen sind. Die Bundesregierung unterstützt diese ehemaligen Steinkohle-Standorte – neben Hamm sind das Duisburg, Gelsenkirchen, Herne und der Kreis Unna – bis zum Jahr 2038 mit maximal 662 Millionen Euro. Das „5-Standorte-Programm“ fördert Investitionen in innovative Projekte, die zur regionalen Wertschöpfung beitragen, bestehende Arbeitsplätze sichern und neue schaffen.

Hamm bietet, auch aufgrund der energiewirtschaftlichen Tradition, sehr gute Voraussetzungen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Sofort verfügbare, für die energiewirtschaftliche Nutzung gewidmete Flächen sowie die aufgrund der Kraftwerkstandorte gute Einbindung in die Energienetze bilden die Basis. Ein großes Standortplus ist die projektierte Höchstspannungs-Gleichstrom-Verbindung (HGÜ), die voraussichtlich ab Anfang der 2030er Jahre Off-Shore-Windstrom von den Küstenregionen im Norden Niedersachsens nach Hamm transportiert.

Die Wasserstoffwende in Hamm steht auf drei institutionellen Fundamenten. Mit der „Wasserstoffallianz Westfalen GmbH“ (1) sollen bestehende Wasserstoffprojekte koordiniert oder neue gemeinsam auf den Weg gebracht werden. Die Allianz richtet sich vor allem an kleine und mittlere Unternehmen in der Region, die Wasserstoff herstellen oder nutzen möchten, etwa in der industriellen Produktion oder für den Betrieb von Nutzfahrzeugen. Die regionale Verbundenheit des Vorhabens Wasserstoffallianz Westfalen kommt nicht durch den Namen der Gesellschaft, sondern auch im Beirat zum Ausdruck, in dem alle regionalen Akteur:innen eingebunden sind. Die Städte Hamm, Dortmund sowie der Kreis Unna haben außerdem im November 2022 ein Kooperationsabkommen abgeschlossen, das weitere gemeinsame Wasserstoffprojekte vorsieht. Der Kreis Unna ist sogar gesellschaftsrechtlich an der Wasserstoffallianz Westfalen GmbH beteiligt und wird einen der beiden Geschäftsführer:innen bestellen. Ziel der Vernetzung und Kooperation ist es, eine ganzheitliche Wasserstoffwertschöpfungskette im westfälischen Raum aufzubauen und institutionelle Doppelstrukturen zu vermeiden. All das unterstreicht, dass groß angelegte Wasserstoffprojekte, insbesondere der Aus- und Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur (z.B. der Elektrolyseure oder Transportmöglichkeiten), nur in interkommunaler Zusammenarbeit realisiert werden können. Der Aufbau der Wasserstoffallianz wird mit 1,7 Millionen Euro durch Bund und Land gefördert.

Bereits zur Mitte des Jahrzehnts soll in Hamm zudem grüner Wasserstoff produziert werden. Die neu gegründete „Wasserstoffzentrum Hamm GmbH“ (2) projektiert dafür einen 20 MW-Elektrolyseur am Standort des Gas- und Dampfturbinenkraftwerks in Hamm-Uentrop. Das Joint Venture der Stadtwerke Hamm und der Trianel GmbH ist im Jahr 2023 um die Stadtwerke Bochum und Dortmund erweitert worden. Der von der Wasserstoffzentrum Hamm GmbH produzierte Wasserstoff findet seine Abnehmer zunächst in den kommunalen Verkehrs- und Abfallwirtschaftsbetrieben sowie bei den regionalen Gashändlern. Der für die Elektrolyse benötigte Strom stammt aus erneuerbaren Energien und wird zunächst über Power-Purchase-Agreements (kurz: PPAs) gesichert. Ab dem Jahr 2030 kann die Elektrolyse über die geplante Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) von Wilhelmshaven nach Hamm mit noch größeren Mengen erneuerbaren Stroms aus der Nordsee auch physisch versorgt werden. Das Land NRW fördert den Wasserstoff-Hochlauf in Hamm in der Höhe von 17,5 Millionen Euro.

Die Hochschule Hamm-Lippstadt (HSHL) (3) erhält aus dem 5-StandorteProgramm eine Förderung über vier Jahre in Höhe von gut sechs Millionen Euro für das Projekt „Werkbank Sektorenkopplung“, welches durch einen wechselseitigen Wissens- und Technologietransfer Unternehmen bei der konkreten Umsetzung klimafreundlicher Maßnahmen im Bereich der energetischen Versorgung begleiten soll. Wasserstoff ist für die Sektorenkopplung als Energieträger und Energiespeicher von großer Bedeutung.

Alle drei Projekte sind ineinandergreifende Bausteine der Hammer Wasserstoffstrategie, die einen klaren Fokus auf die regionale Wertschöpfung und wirtschaftliche Entwicklung legt.

Was die Kommunen jetzt brauchen

Das Praxisbeispiel der nordrhein-westfälischen Stadt Hamm zeigt, welche Impulse Kommunen beim Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft geben können und was vor Ort benötigt wird, damit die „Wasserstoffwende“ gelingt.

Der industrielle Bedarf an Wasserstoff ist bekannt und auch der Koalitionsvertrag der Ampel ist gespickt mit Handlungsempfehlungen zur Förderung von grünem Wasserstoff. Die Bundesregierung hat die – bereits im Jahr 2020 unter Bundesumweltministerin Svenja Schulze erarbeitete – Nationale Wasserstoffstrategie kürzlich aktualisiert und fortgeschrieben. Doch der Wasserstoffhochlauf benötigt in einem zweiten Schritt mehr als strategische Leitplanken.

Ein wichtiger Baustein der Versorgung mit Wasserstoff ist die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Die Strategie soll die Refinanzierung von Investitionen in wasserstofffähige Kraftwerke absichern und den Bau von Elektrolyseuren vereinfachen. Der Gesetzesentwurf muss nun zügig umgesetzt werden.

Bundespolitisch ist zudem eine Regulation der Energiemärkte und deren industriepolitische Einbettung entscheidend dafür, ob der beschriebene Umbau der Wirtschaftsstruktur gelingt. Welche Wirkmächtigkeit entschiedenes staatliches Handeln entwickeln kann, haben nicht zuletzt die während der Corona-Pandemie und Energiekrise auf den Weg gebrachten Unterstützungsmaßnahmen des Bundes verdeutlicht. Der von US-Präsident Biden initiierte „Inflation Reduction Act“ (IRA) – ein Mix aus Investitionen, Subventionen und Steuergutschriften für Klimaschutz – weist den Weg darüber hinaus (vgl. Wirtschaftsforum SPD 2023). Ebenso wichtig wie der Staat ist die strategische Kooperation mit Unternehmen, die den Bau von Elektrolyseuren vorantreiben und den hergestellten Wasserstoff für ihre Produktion oder ihre Mobilität nutzen. Die Erfahrungen in Hamm zeigen, dass kleinere und mittlere Unternehmen – und eben nicht nur die großen Industrieunternehmen – in klimafreundliche Technologien investieren wollen. Dazu gehört zentral der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft.

Die Kommunen können aus naheliegenden Gründen nur einen kleinen investiven Beitrag beim Aufbau einer nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur leisten. Das Beispiel Hamm verdeutlicht, wie wichtig staatliche Investitionsprogramme wie das 5-Standorte-Programm sind.  Notwendig ist darüber hinaus ein finanziell ambitioniertes Investitionsprogram in die Transformation und Wasserstoffinfrastruktur, welches die Ansiedlung und Entwicklung von Ausrüster:innen der unterschiedlichen Wasserstofftechnologien und die vorgelagerte Windkraft- und Solaranlagenproduktion fördert.

Der deutsche Wasserstoffbedarf ist in absehbarer Zukunft größer als die Energiemenge, die Deutschland aus erneuerbaren Energien selbst produzieren kann. Das gilt insbesondere für grünen Wasserstoff, der aufgrund der Bedingungen (mehr Sonnenstunden, kräftigere Windstärken) in anderen Ländern günstiger produziert werden kann (vgl. BMBF 2023). Damit sich Geschichte mit der Abhängigkeit von einzelnen Importländern nicht wiederholt, muss die heimische Produktion von Wasserstoff zügig hochgefahren werden. Diese Entwicklung muss zwingend mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien – vor allem Windkraft– und Photovoltaikanlagen – einhergehen. Für den Aufbau einer nachhaltigen Elektrolyseur-Industrie müssen europäische Technologielieferant:innen gezielt gefördert werden (vgl. Quitzow et al. 2023). Der Ausbau ist die Voraussetzung dafür, die Wasserstoffproduktion bzw. Elektrolyseleistung hochzufahren und die definierten Klimaziele zu erreichen (vgl. IW Consult 2024).

Dazu gehört auf EU-Ebene auch, die Regionen in die Lage zu versetzen, Prozesse nicht nur zu moderieren, sondern diese in einem gesetzten Förderrahmen auch gestalten zu können, was Fragen des Beihilferechts betrifft. Zuletzt gilt es, das Genehmigungsrecht für priorisierte Vorhaben der Energiewende, insbesondere der Wasserstoffwirtschaft, wie jüngst bei den LNG-Terminals zu beschleunigen.

Marc Herter

Dr. Gordian Ezazi

 

Eine frühere Version des Textes ist in der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft spw 254 – 01/23 erschienen.

 

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2023): Nationale Wasserstoffstrategie: Grüner Wasserstoff als Energieträger der Zukunft, 17.01.2023, online abrufbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/nationale-wasserstoffstrategie/nationale-wasserstoffstrategie_node.html (zuletzt abgerufen am 29.01.2024).

Hauser, Schmidt (2023): Neue Studie zur Energiewende : Europa vor Japan auf Platz eins bei Wasserstoffpatenten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.01.2023, online abrufbar unter:  https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/klima-nachhaltigkeit/wasserstoff-patente-europa-fuehrt-mit-anmeldungen-18589847.html (zuletzt abgerufen am 29.01.2024).

IW Consult (2024): Wasserstoffranking 2023. Exkurs: Perspektiven für den Wasserstoffhochlauf in der Metropole Ruhr, Studie für den Regionalverband Ruhr, online abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2024/Wasserstoffranking_Exkurs-2023.pdf (zuletzt abgerufen am 29.01.2024).

IW Consult (2023): Wasserstoffranking 2023, Studie für den Regionalverband Ruhr, online abrufbar unter: https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2023/Wasserstoffranking_2023.pdf (zuletzt abgerufen am 29.01.2024)

Quitzow, Rainer/Mewes, Clara/Thielges, Sonja/Tsoumpa, Marina/Zabanova, Yana (2023): Partnerschaften für eine internationale Wasserstoffwirtschaft Ansatzpunkte für die europäische Politik, Berlin: FESdiskurs, online abrufbar unter: https://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/20035.pdf (zuletzt abgerufen am 29.01.2024).

Rößiger, Monika (2022): Die Wasserstoffwende. So funktioniert die Energie der Zukunft, Hamburg: Edition Körber.

Wirtschaftsforum SPD (2023): Europe First? Ideen für einen europäischen Inflation Reduction Act. Ein Positionspapier des Wirtschaftsforums der SPD e.V, online abrufbar unter: https://www.spd-wirtschaftsforum.de/wp-content/uploads/2023/01/Positionspapier-Europe-First_SPD-Wirtschaftsforum_2023.pdf (zuletzt abgerufen am 29.01.2024).