Die Aufmerksamkeit für das Thema Circular Economy ist enorm. Gut so! Die Vision einer umfassenden zirkulären Wirtschaft verspricht nicht nur ein wichtiger Lösungsansatz für die globale Klimakrise und den Schutz der Natur zu sein. Sie gilt auch als wichtiges Instrument für die Stärkung der wirtschaftlichen Resilienz Europas und Deutschlands. Dabei soll es ausdrücklich nicht nur um Recycling gehen, das bis heute vielerorts fälschlicherweise als gleichbedeutend mit der Kreislaufwirtschaft betrachtet werden.
Die Kreislaufwirtschaft umfasst insgesamt zehn Strategiebausteine. Sie reichen von „Refuse“ und „Rethink“ also der bewussten Ablehnung und das Überdenken eines Produkts, über „Repair“ bis hin zu „Repurpose“, d. h. Teile eines alten Produktes in einem neuen Produkt mit anderen Funktionen zu nutzen. Erst wenn die Lebensdauer von Produkten oder deren Teilen ausgereizt ist, steht das möglichst „hochwertige“ Recycling, also die materielle Verwertung, im Fokus.
Kreislaufwirtschaft ist Teil der DNA der Automobilindustrie
Die Grundlagen für die Kreislaufwirtschaft sind in der Automobilindustrie gegeben. Die Produkte der deutschen Automobilindustrie gelten als Maßstab in der Kreislaufwirtschaft. Das hängt eng mit dem Produkt „Fahrzeug“ zusammen. Im Gegensatz zu anderen Produkten ist ein Fahrzeug ein äußerst wertvoller Gebrauchsgegenstand, der über 20 Jahre lange genutzt wird und häufig den Besitzer wechselt. Entsprechend hoch sind die Ansprüche der Verbraucherinnen und Verbraucher: exzellente Produktqualität, lange Lebensdauer und nicht zuletzt eine Reparaturfähigkeit über die gesamte Nutzungsphase. Der Erwerb eines Autos ohne Anspruch auf Garantie, ohne Perspektive auf eine Reparierbarkeit und Ersatzteilversorgung – noch weit nach Produktionsende – und ohne entsprechendes Werkstattnetz, ist für niemanden denkbar. Sichergestellt ist auch die für den Letzthalter kostenlose, umweltgerechte Entsorgung am Lebensende eines Fahrzeuges. Schon jetzt wird in Europa mit 85 Prozent eine sehr hohe Recyclingquoten bei Fahrzeugen erreicht.
Das im Circular-Economy-Diskurs viel beschriebene „Design for Recycling“ ist im Designprozess der Automobilindustrie fest integriert. Für die Fahrzeugzulassung muss der Automobilhersteller die Recyclingfähigkeit eines Fahrzeugmodells in Höhe von 85 Prozent anhand der aktuell anerkannten Recyclingtechnologie nachweisen. Ohne diesen Nachweis gibt es keine Typzulassung und kann ein Fahrzeugmodell nicht in Verkehr gebracht werden. Im Durchschnitt besteht schon heute ein Fahrzeug zu einem Drittel aus Sekundärmaterialien
Die Automobilindustrie geht sogar über den „Design for Recycling“-Ansatz hinaus. Die Fahrzeughersteller und deren Zuliefere betrachten alle Wertschöpfungsstufen und ihre Umweltauswirkungen so beispielsweise auch den CO2-Fußabdruck: von Rohstoffen und Produktion über die Reparatur-, Reuse- und Remanufacturing-Konzepte und erst dann zum Recycling. Diese ganzheitliche Betrachtung bezeichnen wir als „Design for Sustainability“. Es deckt die eingangs beschriebenen Strategiebausteine wesentlich besser ab als der reine „Design for Recycling“-Ansatz.
Das Produktdesign allein schafft jedoch noch keine erfolgreiche Kreislaufwirtschaft. Die Versorgung mit Ersatzteilen, ein Werkstattnetz, verfügbare Reparaturleitfäden bedürfen umfangreicher Organisation und Investitionen.
Für das Lebensende eines Fahrzeuges wurde in Europa und Deutschland ein hochwertiges, zertifiziertes Rücknahme- und Verwertungsnetz für Altfahrzeuge von den Automobilherstellern und ihren Geschäftspartnern eingerichtet. Für die Verwertung stellen die Automobilhersteller alle benötigten Informationen über das Portal IDIS (International Dismantling Information System) zur Verfügung. Die Plattform umfasst aktuell Informationen zu 1877 unterschiedlichen Fahrzeugmodellen von 69 Fahrzeugherstellern aus Europa, Japan, Malaysia, Korea und den USA.
Automobile Kreislaufwirtschaft zukunftsfest machen
Die Voraussetzungen für die automobile Kreislaufwirtschaft sind also mehr als günstig. Gleichzeitig sucht die Automobilindustrie, angetrieben von einem äußerst harten internationalen Wettbewerb, täglich nach Verbesserungsmöglichkeiten. Die nationale Debatte um eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie und die Überarbeitung der Altfahrzeug-Richtlinie auf europäischer Ebene bieten hierzu große Chancen. Sie können dazu beitragen, die bestehende und sich selbsttragende, innovative und offene Kreislaufwirtschaft weiterzuentwickeln.
Um die automobile Kreislaufwirtschaft weiter zu verbessern, braucht es jedoch vor allem zwei Dinge: einen passenden regulativen Rahmen sowie die Digitalisierung der Prozesse der Kreislaufwirtschaft.
Circular-Car-Verordnung setzt regulativen Rahmen für wirtschaftliches Handeln
Ein wichtiger Schritt wäre eine überarbeitete Circular-Car-Verordnung. Sie sollte allgemeinere, durchaus ambitionierte Zielvorgaben definieren und den Unternehmen ausreichend Raum eröffnen, selbsttragende Geschäftsmodelle zur Erreichung dieser Ziele zu entwickeln. Detailregulierung materialspezifischer Rezyklateinsatzquoten, weitreichende Separationspflichten von Komponenten ohne ökologischen oder ökonomischen Mehrwert oder Closed-Loop-Ansätze unterlaufen die Wirtschaftlichkeit und damit die Etablierung einer sich selbsttragenden Kreislaufwirtschaft. Vielmehr sollte der Gesetzgeber das chemische Recycling, Pre-Consumer-Rezyklate, biobasierte Kunststoffe oder die Rolle des Remanufacturers anerkennen und damit den unternehmerischen Handlungsraum erweitern. Ebenso ist sicherzustellen, dass zukünftig Alt-Elektrofahrzeuge nur mit Traktionsbatterie an Sammelstellen (z. B. zertifizierte Werkstätten oder Demontagebetriebe) kostenfrei abgegeben werden können.
Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, muss der regulative Rahmen Anreize setzen und Wettbewerb zwischen Unternehmen fördern. Dieser Gedanke der Incentivierung fehlt sowohl der aktuellen wie auch der diskutierten Circular-Car-Verordnung. Indem Politik ausschließlich auf das Instrument der Quoten setzt, wird dem Thema Kreislaufwirtschaft der Wettbewerb genommen. Um es deutlich zu machen: Das Erreichen von Quoten wird in den Unternehmen von Compliance Officers überwacht und nicht von Wettbewerbsanalysen angetrieben. Was benötigt wird, ist ein System ähnlich der CO2-Bepreisung. Je nach Ausgestaltung eines solchen Systems, hätten Unternehmen einen unmittelbaren Anreiz, eine lange Produktlebensdauer sicherzustellen, Kreisläufe weiter zu schließen und größere Mengen Sekundärmaterialien einzusetzen. Sie eröffnet aber auch einen ausreichend großen unternehmerischen Handlungsrahmen. Die Förderung von gebrauchten und wiederaufbereiteten Komponenten und Teilen durch eine Reduktion der Mehrwertsteuer, wie sie im aktuellen Entwurf vorgeschlagen wird, kann zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.
Jede funktionierende Wirtschaft benötigt die Möglichkeit der Skalierung. Das gilt auch für die automobile Kreislaufwirtschaft. Dazu gehört eine Erhöhung des Fahrzeuginputs für europäische Demontagebetriebe oder das Unterbinden von staatlich tolerierter Illegalität auf dem Gebrauchtteilemarkt. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über den unbekannten Verbleib von Altfahrzeugen sowie den Export von angeblichen Gebrauchtfahrzeugen sprechen, deren Fahrbereitschaft auch mit größeren Reparaturen nicht mehr hergestellt werden kann.
Digitale Tools fördern den nächsten Schritt der automobilen Kreislaufwirtschaft
Digitalisierung ist ein wichtiger Treiber der automobilen Kreislaufwirtschaft. Mit Catena-X haben Hersteller und Zulieferer der Automobilindustrie zusammen mit Partnern aus der IT- und Verwertungsbranche eine Plattform gegründet, um mit dem Aufbau eines offenen und interoperablen Datenökosystems die Zusammenarbeit entlang der automobilen Wertschöpfungskette vom Rohstoff bis zum Recycling zu fördern. Basis der dort entstehenden digitalen Marktplätze, auf denen perspektivisch u. a. wiederaufbereitete Gebrauchtteile oder Sekundärmaterialien gehandelt werden, ist der digitale Produktzwilling. Eine der ersten konkreten Produktpässe wird aktuell im Rahmen des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projektes „Batteriepass“ zusammen mit Vertretern der Automobilindustrie entwickelt.
Zudem können Schnittstellen zwischen Akteuren der Wirtschaft und Behörden digitalisiert und damit die Basis für mehr Transparenz in der automobilen Kreislaufwirtschaft geschaffen werden. Daher unterstützet die Automobilindustrie die Digitalisierung des Verwertungsnachweises. Aktuell wird er bei der Entsorgung eines Altfahrzeuges von Verwertungsbetrieben ausgestellt und soll von den Letzthaltern bei der Fahrzeugabmeldung durch die Zulassungsbehörde vorgelegt werden. Zumindest ist das in der Theorie vorgesehen. In der Praxis ist dieses analoge System hingegen mehr als fehleranfällig. Die Digitalisierung des Verwertungsnachweises stärkt legale, umweltzertifizierte Betriebe und fördert die Transparenz über den Verbleib von Fahrzeugen. Digitalisierung und Automatisierung können aber auch die Prozesse der Demontage und Verwertung verändern – weg von kleinteiliger Handarbeit hin zu großskaligen Verwertungsfabriken.
Zusammenarbeit ist Erfolgsfaktor!
Die automobile Kreislaufwirtschaft muss nicht erst erfunden werden, sie ist bereits in vollem Gange. Dennoch gibt es viel zu tun – sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Industrie. Die Zusammenarbeit zwischen den Branchen ist dabei ein zentraler Hebel. Sie kann z. B. automatisierte und standardisierte Prozesse sowie die Demontage vorantreiben oder die Recycelfähigkeit von Neufahrzeugen und die dafür einzusetzenden Materialien weiter verbessern. Die Automobilindustrie ist bereit, diesen Weg zu gehen. Packen wir es gemeinsam an!