Raus aus der Selbstblockade – Standort stärken – Transformation gestalten

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Folgende Mitglieder des Beirates unterstützen diesen Text: Prof. Dr. Salvatore Barbaro, Prof. Dr. Christian Bayer, Prof. Dr. Peter Bofinger, Prof. Dr. Gerhard Bosch, Prof. Dr. Sebastian Dullien, Jana Faus, Prof. Dr. Ferdinand Fichtner, Dr. Andrä Gärber, Prof. Dr. Sebastian Gechert, Prof. Dr. Britta Gehrke, Prof. Dr. Anke Hassel, Prof. Dr. Gustav Horn, Prof. Dr. Christian Kellermann, Prof. Tom Krebs, Ph.D., Prof. Dr. Carsten Kühl, Prof. Dr. Fabian Lindner, Matthias Machnig, Dr. Claus Michelsen, Dr. Gero Neugebauer, Prof. Dr. Dennis Ostwald, Prof. Dr. Barbara Praetorius, Prof. Dr. Miriam Rehm, Prof. Dr. Wolfgang Schroeder, Prof. Dr. Mario Stoffels, Prof. Dr. Jens Südekum, Prof. Dr. Alexander Thiele, Prof. Dr. Achim Truger, Prof. Dr. Konstantin Vössing

 

Die deutsche Wirtschaft stagniert. Das Bruttoinlandsprodukt befindet sich auf dem Niveau des Jahres 2019. Das Potenzial- und Produktivitätswachstum stagniert oder sinkt, die Investitionen sowohl im Baugewerbe als auch bei den Anlageinvestitionen sind viel zu schwach. Dies alles zeigt: Deutschland verliert an Wettbewerbsfähigkeit, Investitions- und Innovationskraft mit massiven Konsequenzen für den Standort und seine Zukunft insgesamt.

Natürlich haben die Energiepreisexplosion des Jahres 2022, die hohe Inflation und der Anstieg des Zinsniveaus einen erheblichen Anteil an den aktuell schwachen Wachstumszahlen. Das entscheidende Problem jedoch liegt darin, dass das deutsche „Geschäftsmodell“, das auf Export, Industrie und Automobilen mit Verbrennermotoren basiert, seinen Höhepunkt überschritten hat. Deutschland braucht daher massive Investitionen, um die notwendige Transformation zu bewerkstelligen. Doch die Investitionen in Digitalisierung, Dekarbonisierung und in die Erneuerung der maroden Infrastruktur sind bei Weitem nicht ausreichend, um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in einem hoch kompetitiven globalen Umfeld zu sichern.

Die Wettbewerbsfähigkeit eines Standorts hängt wesentlich von den fünf großen „I“s der wirtschaftlichen Entwicklung ab: Investitionen, Innovationen, Infrastrukturen, Internationalisierung und die Integration aller Qualifikationspotenziale und Reserven in den Arbeitsmarkt. Legt man diese fünf Indikatoren zugrunde, zeigt sich, dass Deutschland entweder auf der Stelle tritt oder gar zurückfällt. Hinzu kommt die massive Unsicherheit in Wirtschaft und Gesellschaft über die wirtschafts- und finanzpolitischen Leitplanken der Ampelregierung für die nächsten Jahre. Wir erleben eine Politik ohne klaren Kurs, ein Hü und Hott bei den ökonomisch-finanziellen Rahmenbedingungen und einen permanenten Streit über Richtung und die notwendigen Instrumente. Eigentlich braucht die Ampel keine Opposition, sie ist ihre eigene.

Das Jahr 2024 ist dabei ein Schlüsseljahr. Es geht um den Haushalt 2025 und die mittelfristige Finanzplanung, deren Ziel es sein sollte, klare Rahmenbedingungen für Investitionen, Innovationen und Infrastrukturentwicklung zu liefern, denn dies ist wesentlich für die Frage der Investitionsneigung der Unternehmen und deren Zukunftsorientierung. Nach heutigem Stand ist dies jedoch kaum zu erwarten. Stattdessen erleben wir Streit auf offener Bühne: Sozialabgaben versus Investitionen in die Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit, gezielte Wachstumsimpulse oder breite Steuersenkungen, Festhalten an der Schuldenbremse oder deren Reform, neue Sondervermögen oder Sparhaushalte. Regierungsmitglieder überbieten sich wechselseitig in der Analyse der wirtschaftlichen Lage, die als „gefährlich“ oder „peinlich“ skizziert wird. All dies erhöht die Unsicherheit und schafft kein Vertrauen für einen notwendigen, wirtschaftlichen Aufschwung und die Bewältigung der Transformation.

Notwendig ist daher eine Regierung, die regiert, indem sie die Verantwortung für die Zukunftsfähigkeit des Landes übernimmt. Dazu muss die Ampel umschalten von einer Binnenlogik, die sich daran orientiert, wo die angeblichen roten Linien der jeweiligen Koalitionspartner liegen, hin zu einer Problemlogik, die die wirtschafts-, standort- und investitionspolitischen Herausforderungen des Landes in den Mittelpunkt rückt. Dies ist im Übrigen nicht nur ökonomisch geboten, sondern auch politisch-demokratisch, denn die Rechtspopulisten profitieren in erheblichem Maße von der ökonomisch-sozialen Verunsicherung im Land. Notwendig ist eine Politik, die Wohlstand, Chancen, Wachstum und Nachhaltigkeit auch für zukünftige Generationen sichert und ermöglicht.

Deutschland braucht ein Programm für Wachstum, Investitionen und Innovationen. Ein solches Programm muss folgende Elemente beinhalten:

  • Eine umfassende Diagnose der Zukunftspotentiale der deutschen Wirtschaft im globalen Wettbewerb: In welchen Bereichen kann Deutschland in den kommenden Jahren eine internationale Spitzenposition einnehmen? Was muss getan werden, um vorhandene Potentiale zu stärken und um ganz neue Geschäftsfelder zu schaffen?
  • Abbau unnötiger Bürokratie und Regulierung und eine weitere Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Beispielhaft seinen hier ein schnellerer Ausbau von Energienetzen, schnellere Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, unkompliziertere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen von zuwanderungswilligen Fachkräften oder der Abbau von regulativen Friktionen innerhalb des europäischen Kapitalmarkts genannt. Bei einigen dieser Themen konnte die Ampel-Koalition große Fortschritte erzielen. Dieser Prozess muss weitergeführt werden. Aber es ist eine Illusion zu glauben, man könne die Misere des Wirtschaftsstandorts Deutschland allein mit einer Politik auflösen, die kein Geld kostet. So wichtig die angesprochenen Strukturreformen auch sind, sie müssen kombiniert werden mit einer Wende in der Fiskalpolitik. Der Staat muss Geld in die Hand nehmen – für öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und in die Digitalisierung der Verwaltung, zur gezielten Förderung von privaten Investitionen und für eine Bildungs- und Qualifizierungsoffensive. Nur so kann eine Modernisierungsoffensive in Deutschland stattfinden, die diesen Namen verdient und die der Wirtschaftsstandort so dringend braucht.
  • Kurzfristig müssen zusätzliche finanzielle Spielräume für öffentliche Investitionen im Rahmen der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse geschaffen werden. Beispielsweise würde eine ökonomisch vernünftige Neuberechnung der Konjunkturkomponente eine zusätzliche Nettokreditaufnahme von bis zu 30 Milliarden Euro ermöglichen. Zudem erlaubt die Nutzung finanzieller Transaktionen die Finanzierung zusätzlicher öffentlicher Investitionen in Bereichen wie dem sozialen Wohnungsbau oder den Energienetzen, für die keine Änderung der Schuldenbremse notwendig ist. Doch diese Wende in der Finanzpolitik wird vom Bundesfinanzminister und von der FDP nicht mitgetragen. Sie plant einen Sparhaushalt für 2025, mit nominalen Kürzungen der Staatsausgaben gegenüber dem Haushalt 2024. Dieser Plan ist aus konjunktureller und aus struktureller Perspektive falsch. Es ist das Gegenteil dessen, was der Wirtschaftsstandort Deutschland jetzt braucht. Der von Christian Lindner geplante Sparhaushalt darf deshalb nicht zur Realität werden. Bundeskanzler Olaf Scholz hat immer erklärt: „Wer Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen.
  • Mittelfristig wird eine vernünftige Wirtschaftspolitik in Deutschland aber nicht ohne eine Reform der Schuldenbremse möglich sein. Hierzu müssen konstruktive Gespräche mit der Union geführt werden. Es liegen mittlerweile viele Vorschläge auf dem Tisch, wie eine solche Reform aussehen könnte. Eine Wiedereinführung einer (modernisierten) „goldenen Regel“ ist denkbar, die Kreditfinanzierung von Zukunftsausgaben (Investitionen) generell erlaubt. Ebenso ist denkbar, den allgemeinen Verschuldungsspielraum so zu kalibrieren, dass langfristig die Schuldenquote auf einem Niveau von 60% stabilisiert wird, wie es der Maastricht-Vertrag vorgibt. Schließlich ist denkbar, gezielte Sondervermögen für die großen Ausgaben unserer Zeit (vor allem Transformation und Sicherheit) im Grundgesetz festzuschreiben. Diese langfristige Hinterlegung von Politik mit Haushaltsmitteln schafft Planungssicherheit für die privaten Akteure und schafft somit Anreize, privates Kapital am Standort Deutschland zu investieren.
  • Welche dieser konkreten Reformoptionen gewählt wird, oder ob gar eine Kombination aller Elemente sinnvoll erscheint, muss in einem gründlichen Diskussionsprozess aller demokratischen Parteien und im Zusammenspiel mit den Bundesländern erörtert werden. Dieser Prozess muss schnell begonnen werden, aber braucht auch seine Zeit. Damit Deutschland bis dahin aber nicht in einem Stillstand verharrt, während andere Länder weiter mit ihren Investitionen voranschreiten, muss die Ampel auch kurzfristig handeln und darf nicht nur auf die große Reform der Schuldenbremse warten. Wie das geht, haben wir oben dargestellt.
  • Ohne Sicherheit und Frieden ist alles nichts. Deshalb ist es zentral, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg weiterhin entschlossen zu unterstützen, militärisch wie Das gilt für Deutschland und alle NATO-Partner und muss gewährleistet sein. Diese Unterstützung ist im Kern auch eine europäische Aufgabe, denn letztlich steht hier Europas Freiheit auf dem Spiel. Die notwendigen zusätzlichen ökonomischen und militärischen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine sollten deshalb auch gesamteuropäisch organisiert und finanziert werden. Das Vorbild liefert das „Next Generation EU“ Programm, das entsprechend erweitert bzw. für den Aufbau einer europäischen Sicherheitsarchitektur neu aufgelegt werden kann. Die deutsche Bundesregierung sollte die entsprechende Initiative Frankreichs positiv aufnehmen und gemeinsam mit Frankreich die Weichen dafür stellen. Es geht bei dieser Frage um Krieg und Frieden. Sie darf nicht daran scheitern, dass man ideologische Vorbehalte gegen Eurobonds bzw. eine gemeinschaftliche Verschuldung der EU hat. Solch eine destruktive Position wird dem Ernst der Lage in der Zeitenwende nicht gerecht.

Deutschland steht an einer Weggabelung: entweder Aufbruch oder Stagnation. Die Bundesregierung ist gefordert. Eine Politik des kleinsten, gemeinsamen Nenners ergibt keine Zukunft mehr.