Der Autor ist Bruegel Senior Fellow. Der Artikel wurde geschrieben, während er Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) war. Dank geht an Elanur Alsac für die exzellente Forschungsassistenz.
Ein gut funktionierendes System globaler Wirtschaftsgovernance ist von entscheidender Bedeutung für die Stabilität des internationalen Währungssystems und des weltweiten Handels. Gerade für Deutschland und Europa stellt es die Basis unseres wirtschaftlichen Wohlstandes dar. So ist z. B. Deutschland eine sehr offene Volkswirtschaft und ein erheblicher Anteil der Exporte finden außerhalb der EU statt.
Insbesondere die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) nehmen eine Schlüsselposition in dem System der internationalen Wirtschaftsordnung ein. Sowohl die WTO als auch der IWF stehen jedoch vor erheblichen Herausforderungen gerade im Hinblick auf geopolitische Spannungen und protektionistische Tendenzen. Gleichzeitig gibt es erhebliche Unterschiede in der Governance beider Organisationen. Während im IWF Entscheidungen nach Gewicht der Anteilseigner gefällt werden und die USA ein Veto haben, ist die WTO grundsätzlich vom Konsensprinzip getrieben und der Schiedsgerichtshof kann sogar Entscheidungen gegen die größten Mitgliedsländer der WTO fällen. Diese Governance Unterschiede haben zu verschiedenen Reaktionen der USA und Chinas geführt, wie sie mit den scheinbaren Unzulänglichkeiten der jeweiligen Institutionen umgehen wollen.
WTO Governance
Die WTO wurde gegründet mit dem Ziel, den internationalen Handel zu liberalisieren und Handelsstreitigkeiten zwischen Ländern zu schlichten. Sie operiert auf der Grundlage des Konsensprinzips und dem Single Undertaking-Prinzip, die formale Gleichheit unter den Mitgliedern gewährleisten sollen. Jedes Mitgliedsland hat eine Stimme, und Entscheidungen werden ohne Gewichtung nach dem jeweiligen Anteil am Welthandel sowie in der Regel ohne formellen Widerspruch getroffen. Dieses System gibt auch Entwicklungsländern eine stärkere Stimme. Gleichzeitig führt das Konsensprinzip zu langwierigen Verhandlungen und einer Vielzahl von Ausnahmen für Länder- und Produktgruppen, um ein Veto zu vermeiden.[1]
Gleichzeitig gibt es ein Streitbeilegungsverfahren der WTO mit einem Berufungsgremium als zweite Instanz, welches Entscheidungen gegen große wie kleine Länder fällen kann, sollte es zu Verstößen gegen die WTO-Regeln kommen. In der Praxis ist das Verfahren schon ohne Nutzung des Berufungsgremiums von Bedeutung. In der Tat funktioniert die WTO gerade auf dem Prinzip, dass es formale Beschwerden eher selten gibt und Länder sich vorher einigen.[2]
Das Streitbeilegungsverfahren der WTO ist aber gerade bei politisch sensitiven Dossiers von Bedeutung (z. B. im Bereich der Subventionen von Flugzeugkonzernen oder Anti-Dumping Fällen). Infolge der Unzufriedenheit der USA mit dem WTO-Berufungsgremium, vor allem hinsichtlich aus US-Sicht unzureichender Maßnahmen gegen Chinas Verletzungen der Rechte an geistigem Eigentum und anderer nicht-marktwirtschaftlich orientierter Handelspraktiken, haben die USA seit 2017 die Ernennung neuer Mitglieder im Berufungsgremium blockiert.[3]
Dadurch schrumpfte im Dezember 2019 das Berufungsgremium auf ein Mitglied und damit unter die für eine Berufungsentscheidung erforderliche Mindestzahl von drei Mitgliedern, was zu einem Stillstand in der zweiten Instanz des Streitschlichtungssystems geführt hat.[4]
Die differenzierte Behandlung für Entwicklungsländer innerhalb der WTO ist ebenfalls umstritten. China, aber auch viele andere Mitgliedsländer, betrachten sich als Entwicklungsländer, um so von Sonderregelungen zu profitieren, auch wenn westliche Beobachter schon lange argumentieren, dass China inzwischen die Kriterien für des Status eines Entwicklungslandes nicht mehr erfüllt.[5]
Damit werden faire Wettbewerbsbedingungen für westliche Unternehmen zunehmend schwierig. Dies stellt wiederum ein politisches Problem dar, das das Engagement der USA in der WTO behindert. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Frage der Sicherheitsausnahmen. Innerhalb der WTO erlaubt die Anwendung von Artikel XXI[6], der nationalen Sicherheitsausnahme, es den Mitgliedern, ihre WTO-Verpflichtungen aus Gründen der nationalen Sicherheit zu verletzen. Die USA haben diese Ausnahme genutzt, um beispielsweise seit 2018 Zölle auf Stahl- und Aluminiumprodukte zu rechtfertigen, was zu einer Reihe von Streitigkeiten bei der WTO geführt hat.[7]
Gerade die breite Interpretation des Sicherheitsbegriffs der USA gegenüber europäischen Stahlunternehmen hat für Spannungen gesorgt und die Glaubwürdigkeit der WTO geschwächt.
IWF Governance
Der IWF hat das Ziel der Förderung internationaler Währungsstabilität und finanzieller Unterstützung für Länder in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Das Quotensystem des IWF verteilt Stimmrechte auf Basis finanzieller Beiträge. Die Interessen der Mitgliedsländer mit den größten Quoten, insbesondere der USA, aber auch europäischen Mitgliedern, sind überproportional vertreten im Vergleich zu den weltweiten Größen ihrer Volkswirtschaften. De facto ist der IWF so eine Institution der internationalen Governance, in der der Westen dominiert. Dies hat zu erheblicher Kritik aus China und Kreisen der UN geführt.[8]
Als Reaktion auf dieses System wurde die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) 2015 auf Initiative Chinas gegründet. Die AIIB ist eine multilaterale Bank mit der Mission, Infrastrukturinvestitionen zu finanzieren. Dabei ist China der dominante Player innerhalb der Bank.
Die AIIB wirft damit Fragen bezüglich der Rolle des IWF in der globalen Wirtschaftsführung auf. Sowohl AIIB-Kredite wie auch zahlreiche bilaterale Kredite Chinas im Rahmen der Belt and Road Initiative haben zu einer Aus- weitung internationaler Kreditgeber geführt. Dies ist in der Regel positiv zu werten, kann aber in Zeiten von finanziellem Stress zu Schwierigkeiten führen. Gerade wenn die Kreditvergabe nicht transparent und zugänglich ist, bereitet es dem IWF Schwierigkeiten, Notfallkredite zur Verfügung zu stellen. Denn diese Kredite könnten ja lediglich einen Bailout für chinesische öffentliche Kredite darstellen. Die Dominanz des Westens im IWF und den anderen Bretton Woods Institutionen hat somit indirekt zu einer Verwässerung der internationalen Finanzarchitektur geführt.
Schlussfolgerungen
Protektionistische and nationalistische Tendenzen in den USA, das chinesische staatsgetriebene Wirtschaftsmodell und die geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China stellen die internationale Wirtschaftsordnung vor große Herausforderungen. Die beiden zentralen Institutionen zum Management des Handels und der Finanzbeziehungen, die WTO und der IWF, folgen sehr unterschiedlichen Governance Modellen. Die Gleichbehandlung der Mitgliedsländer und die Möglichkeit, auch gegen große Länder Entscheidungen zu fällen, hat zu einem teilweisen Rückzug der USA aus der WTO geführt. In der Institution, die westlich dominiert ist, dem IWF, hat Chinas geringe Bedeutung zu einer institutionellen Fragmentierung geführt – unter anderem, indem China die Gründung der AIIB initiiert hat. Insgesamt deuten die Ergebnisse dieser kurzen Diskussion darauf hin, dass es schwierig sein wird, fundamentale geopolitische Unterschiede über eine Verbesserung der Governance der Institutionen der Globalisierung zu lösen. Es wird weiterhin politisches Verhandlungsgeschick und mehr Bereitschaft zum Kompromiss benötigt werden, um eine offene Weltwirtschaftsordnung aufrecht zu erhalten. Wahrscheinlich ist allerdings eher, dass es zu weiteren Kanten und Bruchstellen im internationalen Handels- und Finanzsystem kommen wird.
Der Text ist ein Auszug aus dem Buch »Geoeconomics – Ökonomie und Politik in der Zeitenwende“, unser vierter Sammelband, erschienen im Mai 2024 im Dietz-Verlag.
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[1] Gnath, K., Mildner, S.-A., Schmucker, C. (2012), G20, IWF und WTO in turbulenten Zeiten: Legitimität und Effektivität auf dem Prüfstand, SWP-Studie (Nr. S 9/2012).
[2] Siehe zum Beispiel Ungphakorn, P. (20. September 2023), How the WTO deals with problem trade measures—it’s not just dispute settlement, Trade β Blog, https://tradebetablog.wordpress.com/2019/12/11/wto-deals-problem-measures/ (abgerufen am: 01.03.2024).
[3] von Daniels, L., Dröge, S., Bögner, A. (2020), WTO-Streitschlichtung: Auswege aus der Krise. Drei Optionen für die EU, mit der US-Blockade umzugehen, SWP-Aktuell (Nr. 1/2020); vbw (Juli 2022), Die WTO – Krise und Reform, https://www.vbw-bayern.de/Redaktion/Frei-zugaengliche-Medien/Abteilungen-GS/Außenwirtschaft/2021/20220704_PP_Die-WTO_Krise-und-Reform.pdf (abgerufen am 01.03.2024).
[4] Klein, M. (2020), WTO-Reform: Formale Regelgleichheit reicht nicht aus, alle Mitgliedsländer brauchen gleiche wirtschaftliche Chancen, Wirtschaftsdienst, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2020/heft/5/beitrag/wto-reform-formale-regelgleichheit-reicht-nicht-aus-alle-mitgliedslaender-brauchen-gleiche-wirtschaftliche-chancen.html (abgerufen am 01.03.2024).
[5] Dollar, D. (14. September 2020), Reluctant player: China’s approach to international economic institutions, Brookings, https://www.brookings.edu/articles/reluctant-player-chinas-approach-to-international-economic-institutions/(abgerufen am 01.03.2024); Torres, H. (13. Oktober 2022), The IMF and the WTO Need Symmetrical Reforms, Centre For International Governance Innovation, https://www.cigionline.org/articles/the-imf-and-the-wto-need-symmetrical-reforms/ (abgerufen am 01.03.2024); Torres, H. R. (2020), International institutional architecture. Could it be saved?, Friedrich-Ebert-Stiftung,https://library.fes.de/pdf-files/iez/16385.pdf (abgerufen am 01.03.2024); Wientzek, O. (2022), Die Welthandelsorganisation (WTO) – reformbedürftig, aber unverzichtbar, Konrad-Adenauer-Stiftung, https://www.kas.de/de/kurzum/detail/-/content/die-welthandelsorganisation-wto-reformbeduerftig-aber-unverzichtbar (abgerufen am 01.03.2024).
[6] WTO (o.J.), Article XXI – Security Exceptions, https://www.wto.org/english/res_e/booksp_e/gatt_ai_e/art21_e.pdf (abgerufen am 01.03.2024).
[7] Reinsch, W. A., Caporal, J. (05. April 2019), The WTO’s First Ruling on National Security: What Does It Mean for the United States?, CSIS, https://www.csis.org/analysis/wtos-first-ruling-national-security-what-does-it-mean-united-states (abgerufen am 01.03.2024), Palmer, D. (12. September 2022), WTO says Trump’s steel tariffs violated global trade rules, Politico, https://www.politico.com/news/2022/12/09/wto-ruling-trump-tariffs-violate-rules-00073282 (abgerufen am 01.03.2024).
[8] Siehe zum Beispiel United Nations (2023), Our Common Agenda Policy Brief 6: Reforms to the International Financial Architecture, https://www.un.org/sites/un2.un.org/files/our-common-agenda-policy-brief-international-finance-architecture-en.pdf(abgerufen am 01.03.2024).