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Deutschland hat sich im Pariser Klimaabkommen zusammen mit 194 Ländern dazu verpflichtet, einen angemessenen Beitrag zum internationalen Klimaschutz zu leisten, um die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Die im Bundes-Klimaschutzgesetz verankerten Ziele (Klimaneutralität bis 2045) und Zwischenziele erfordern eine sehr hohe Transformationsgeschwindigkeit in allen Sektoren. Ein Großteil der zukünftigen Energieinfrastruktur muss erst noch gebaut bzw. umgebaut werden.

Die Energiekrise 2022/2023, verursacht durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, hat deutlich gezeigt, wie vulnerabel das aktuelle Energiesystem ist. Die Transformation, also der Umbau des gesamten Energiesystems, bringt viele Chancen mit sich, Abhängigkeiten aufzulösen, das Angebot zu diversifizieren, das System resilienter und fairer auszugestalten und lokale Wertschöpfungsketten zu stärken. Gleichzeitig wird die Transformation immer komplexer. Für deren Gelingen müssen wir viel stärker systemübergreifend und integrativ denken bzw. agieren. Die Etablierung neuer Partnerschaften unter Einbeziehung der verschiedenen Sektoren und Interessengruppen sowohl auf lokaler, nationaler, europäischer als auch auf globaler Ebene ist dabei unabdingbar.

Aufgrund langer Investitionszyklen von teilweise bis zu 70 Jahren (bspw. Wärmenetze, Chemieindustrie) müssen heute Technologieentscheidungen getroffen werden, obgleich diverse unbekannte Parameter bestehen. Hierfür ist insbesondere im Hinblick auf die notwendigen Infrastrukturplanungen eine übergreifende, langfristige Vision unerlässlich. Mit der Systementwicklungsstrategie (SES) entwickelt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstützt durch die Deutsche Energie-Agentur (dena) ein robustes, sektorübergreifendes Leitbild für die Transformation des Energiesystems, an dem sich zahlreiche Folgeprozesse (z. B. Netzentwicklungspläne, Nationale Wasserstoffstrategie, Nationale Biomassestrategie, Roadmap Systemstabilität usw.) orientieren. Die SES wird in einem partizipativen Prozess erstellt, in den Energiewirtschaft, Industrie, Zivilgesellschaft und Politik eingebunden sind. Die Gewährleistung einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung mit einer ausreichenden Verfügbarkeit aller benötigten Energiequellen steht dabei im Vordergrund.

Im Rahmen der Energiewende nehmen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Bereichen des Energiesystems und den Sektoren erheblich zu. Ursächlich hierfür ist unter anderem die zunehmende Nutzung von Strom und strombasierten Energieträgern wie grünem Wasserstoff in den nachfragenden Sektoren Industrie, Gebäude und Verkehr. Strom kann entweder direkt genutzt werden (z. B. Elektromobilität, Wärmepumpen) oder zunächst in Wasserstoff umgewandelt werden, der gegebenenfalls noch in Wasserstoffderivate wie synthetische Kohlenwasserstoffe (z. B. synthetische Flüssigkraftstoffe) weiter transformiert wird. Die direkte Nutzung von Strom ist mit deutlich geringeren Umwandlungsverlusten verbunden und somit erheblich effizienter. Darüber hinaus haben Effizienzsteigerungen vor allem in industriellen Prozessen und durch Sanierungsmaßnahmen im Gebäudebestand einen enormen Einfluss auf die zukünftige Energienachfrage. Folglich kann durch Effizienz der ohnehin hohe Bedarf an erneuerbaren Energien und Speicherkapazitäten auf ein Mindestmaß reduziert werden. Für die Transformation des Energiesystems sind umfangreiche Investitionen maßgeblich. Stakeholder benötigen hierfür Investitionssicherheit. Beispielsweise benötigen Betreiber von Wasserstoffkraftwerken oder Unternehmen, die Produktionsprozesse auf Wasserstoff umstellen, eine verlässliche Perspektive, dass sie künftig an eine Wasserstoffinfrastruktur angeschlossen werden und Wasserstoff in ausreichenden Mengen sowie zu wirtschaftlichen Preisen verfügbar sein wird. Gleichzeitig erfordert die Planung der Wasserstoffinfrastruktur das Wissen über zukünftige Standorte genau dieser zuvor genannten Kraftwerke und Industrieanlagen sowie über die Erzeugungsstandorte und mögliche Importkorridore von Wasserstoff. Hinsichtlich der Erzeugung von Wasserstoff sind zudem die Wechselwirkungen mit dem Stromsystem zu beachten (z. B. verfügbare Strommengen und Netzstabilität).

Daraus folgt, dass die geographische Verteilung von Energieerzeugung und -speicherung sowie von Nachfragezentren und Transportinfrastrukturen von großer Relevanz ist. Es handelt sich dabei um stark interdependente Entscheidungen, die eine grundlegende sektorübergreifende Koordinierung und neue Abstimmungsprozesse erfordern. Hinter den einzelnen Verfahren steht eine Vielzahl von Stakeholdern mit teils stark divergierenden Interessen, welche es auszugleichen gilt.

Darüber hinaus ist Deutschland, unter anderem bedingt durch seine zentrale geographische Lage innerhalb Europas, stark in das gesamte europäische Energiesystem eingebunden. Aus diesem Grund braucht es ebenso eine gesamteuropäische Kooperation. Insbesondere bei der Verfügbarkeit von Wasserstoff wird Deutschland auf neue europäische als auch globale Partnerschaften angewiesen sein.

Energiesicherheit durch transeuropäische Wasserstoffinfrastruktur

Wasserstoff ist ein entscheidender Hebel zur Dekarbonisierung der Industrie, bestimmter Verkehrsanwendungen sowie als Speicher- und Flexibilitätsoption im Stromsektor. Die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie mit 10 GW inländischer Elektrolysekapazität in 2030 ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Allerdings werden schätzungsweise 50-70 % des Gesamtbedarfs in 2030 importiert werden müssen. Der Aufbau einer transeuropäischen Wasserstoffinfrastruktur in Form von Pipelines, Speichern und Terminals ist hierfür von größter Bedeutung und erfolgt innerhalb von bi- und multilateralen Kooperationsformaten mit EU- und EFTA-Staaten.

Wasserstoff bietet die Möglichkeit für die EU, die Integration des Energiebinnenmarkts voranzutreiben. Durch den Aufbau einer mit dem Stromnetz verflochtenen Wasserstofftransportinfrastruktur kann ein innereuropäisches Wasserstoffhandelssystem aufgebaut werden. Die maximierte Nutzung der innereuropäischen Erzeugungspotenziale kann dazu dienen, große Energiemengen über diversifizierte Transportkorridore in die Verbrauchszentren zu befördern.

Produktion und Verbrauch werden geographisch voneinander entkoppelt und die europäische Energiesicherheit wird gestärkt. In Zeiten, in denen mehr erneuerbarer Strom erzeugt wird, als das Netz aufnehmen kann, wird Wasserstoff als Speichermedium zur Senkung der systemischen Gesamtkosten beitragen.

Energiepartnerschaften auf Rohstoffpartnerschaften ausdehnen

Die bereits langjährig etablierten Energie- und Klimapartnerschaften auf globaler Ebene können noch stärker dahingehend weiterentwickelt werden, dass sie als Instrument zur Gewährleistung der Energiesicherheit beitragen.

Mit der 2023 vorgelegten Nationalen Sicherheitsstrategie hat die Bundesregierung einen integrierten Sicherheitsbegriff entwickelt, der Rohstoff- und Energiesicherheit maßgeblich mitdenkt und die Diversifizierung von Lieferbeziehungen als wichtige Maßnahme identifiziert. In diesem Sinne könnten Energie-, Klima- und Rohstoffpartnerschaften als politische Brücke für Allianz- und Koalitionsbildungen noch strategischer genutzt werden.

In vielen der bereits etablierten Partnerschaften ist der internationale Markthochlauf von Wasserstoff und seinen Derivaten ein zentrales Thema. Partnerländer sind derzeit vor allem an Erfahrungsaustauschen zu technischen Herausforderungen interessiert und an der deutschen bzw. europäischen Lösung von Regulierungsherausforderungen. Die bereits etablierten Partnerschaften stellen einen guten Raum dar, in dem wechselseitige Interessen austariert und verlässliche Lieferbeziehungen entwickelt werden können. Der Aufbau der klimaneutralen Infrastruktur wie Elektrolyseure, Windkraft- und Photovoltaikanlagen, Stromnetze und Elektromobilität brauchen große Mengen an Rohstoffen. Aus diesem Grund ist der Aufbau diversifizierter Rohstoffpartnerschaften ebenso wichtig. Es ist eine zentrale Botschaft der Nationalen Sicherheitsstrategie, dass Lieferketten vornehmlich von kritischen Rohstoffen weiter diversifiziert werden müssen. Auch im Rahmen der Entwicklungspolitik will die Bundesregierung die Erschließung alternativer, menschenrechtskonformer und nachhaltiger Bezugsquellen für strategische Rohstoffe voranbringen. Insbesondere für Rohstoffe, die für Energiewendetechnologien maßgeblich sind, bietet sich daher die Verzahnung von Energie- und Klimapartnerschaften mit Rohstoffpartnerschaften an.

Innerhalb institutionalisierter Rohstoffpartnerschaften und Länderkooperationen mit rohstoffreichen Ländern könnten neue Projekte entwickelt und die bilaterale Zusammenarbeit in den Bereichen Exploration und Bergbau, Aufbereitung und Weiterverarbeitung sowie Infrastrukturausbau inklusive Wasser- und Energieversorgung gestärkt werden. Durch diese Aktivitäten deutscher Unternehmen können Partnerländer dabei unterstützt werden, eine nachhaltige Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen zu etablieren. Auch die Potenziale der Kreislaufwirtschaft und der Ressourceneffizienz können gestärkt werden.

Wenn wir die Transformation vom Ziel eines klimaneutralen Gesamtsystems her denken, als Chance begreifen und gemeinschaftlich anpacken, wird der gesamtgesellschaftliche Nutzen die Herausforderungen und Kosten übersteigen und unser Wohlstand erhalten bleiben.

 

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch »Geoeconomics – Ökonomie und Politik in der Zeitenwende“, unser vierter Sammelband, erschienen im Mai 2024 im Dietz-Verlag. 

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