Die wirtschaftliche Lage ist ernst, und Diskussionen über die Wettbewerbsfähigkeit Europas und Deutschlands sind allgegenwärtig. Das EU-Beihilferecht, das darauf abzielt, einen fairen und unverfälschten Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes zu gewährleisten, indem es staatliche Beihilfen kontrolliert und reguliert, stellt Länder und Unternehmen gleichermaßen vor erhebliche Herausforderungen und hohe bürokratische Hürden.
In der globalen Wirtschaftsentwicklung nehmen andere Länder eine Vorreiterrolle ein, insbesondere bei der Erleichterung staatlicher Beihilfen. Im August 2022 verabschiedete die US-Regierung den Inflation Reduction Act (IRA), ein umfangreiches Wirtschaftsförderungsprogramm mit einem Investitionsvolumen von rund 400 Milliarden Dollar, das darauf abzielt, die Energiewende zu beschleunigen und die amerikanische Industrie auf grüne Technologien umzustellen. Dieses Programm hat in Europa Sorgen über eine mögliche Schwächung der eigenen Industrie ausgelöst, vor allem im Hinblick auf ähnlich massiveFördermaßnahmen in China, Indien, Kanada und Großbritannien.
Während der IRA in den USA den Klimaschutz ernsthaft vorantreibt, stellt er Europa industriepolitisch vor erhebliche Herausforderungen. Um diesen zu begegnen, muss Europa die Gelegenheit nutzen, seine eigene grüne Industriepolitik entschlossen voranzutreiben. Dabei wird es entscheidend sein, dass Beihilfeverfahren in Europa beschleunigt und große Projekte, auch jenseits der europäisch stark im Fokus stehenden Gemeinschaftsprojekte wie der Important Projects of Common European Interest (IPCEI), vereinfacht werden, um mit der internationalen Konkurrenz Schritt zu halten. Europa muss hier dringend seine Anstrengungen intensivieren, um langfristig wirtschaftlich stark zu bleiben und seine Wettbewerbsfähigkeit im globalen Markt zusichern.
Vor diesem Hintergrund hat das Wirtschaftsforum der SPD e.V. in enger Kooperation mit wirtschaftspolitischen Vertreterinnen und Vertretern der SPD auf Landes- und Bundesebene konkrete Vorschläge erarbeitet, die aufzeigen, wie das europäische Beihilferechtvereinfacht werden kann.
Lockerung bei AGVO und De-minimis
Die Abwicklung eines Großteils der Beihilfen erfolgt über die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) oder die De-minimis-Verordnung ohne die Notwendigkeit einer Notifizierung durch die Begünstigten sowie einer Einzelgenehmigung durch die EU-Kommission. Die AGVO wurde zuletzt zum 1. Juli 2023 überarbeitet und gilt bis Ende 2026. Um Verfahren zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen, fordern wir eine weitere Reform, insbesondere der AGVO, durch Vereinfachung der Regelungen, Anhebung der Anmeldeschwellen, Einführung weiterer Freistellungstatbestände zu bestimmten Quoten geclusteter Beihilfekategorien und verbesserte und klarere Erläuterungen. Die Laufzeiten der Freistellungsverordnungen sollten den Laufzeiten der Strukturfondsförderperioden angepasst werden, da somit aus hiesiger Sicht Anpassungen der Beihilfereglungen innerhalb einer Förderperiode vermieden werden könnten, die die Abwicklung von Programmen vereinfachen würden. Zudem plädieren wir für eine Verlängerung der Geltungsdauer der AGVO auf eine Mindestlaufzeit von z.B. drei Jahren, um Planungssicherheit zu schaffen und den administrativen Aufwand zu reduzieren.
Bei der De-minimis-Verordnung sprechen wir uns für eine Anpassung der aktuellen Regelung aus, um sie flexibler zu gestalten. Das beinhaltet eine Erhöhung des Volumens der Beihilfe, die ohne Einzelprüfung gewährt werden kann, von 300.000 Euro auf 500.000 Euro oder eine Verkürzung des Zeitraums, für den die bisherige Summe von 300.000 Euro gilt, von drei auf zwei oder einJahr. Da die Europäische Kommission erst kürzlich in der zum 1. Januar 2024 in Kraft getretenen und bis 31. Dezember 2030 geltende Neuregelung den Schwellenwert von 200.000 Euro auf bereits 300.000 Euro erhöht hat, erscheint die Verkürzung des Zeitraums erfolgsversprechender. Dies würde kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) helfen, schneller und einfacher Zugang zu Fördermitteln zu erhalten, die den europäischen Wettbewerb nicht beeinträchtigen. Grundsätzlich muss sichergestellt werden, dass keine Wettbewerbsverzerrung auftritt bzw. eine Neubewertung durch die EU-Kommission erfolgen muss, wenn die Summeerhöht bzw. die Frist verkürzt wird.
Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für operationelle Programme (EFRE, ESF und JTF) am Vorbilddes RRF
Immer wieder wird aus Bundesländern, die Fördermittel aus den EFRE-, ESF- und JTF-Fonds nutzen, vorgetragen, dass die erforderlichen Genehmigungen der Operationellen Programme (OP) und die separate beihilferechtliche Prüfung durch die Europäische Kommission zu Verzögerungen beim Förderstart führen. Eine wesentliche Beschleunigung könnte erzielt werden, wenn die beihilferechtliche Handhabung der Aufbau- und Resilienzfazilität (Recovery and Resilience Facility, RRF) des Programms NextGenerationEU auf die OP als Vorbild genommen wird. Die Mitgliedstaaten kategorisieren selbst frühzeitig die Maßnahmen, die keine Beihilfen darstellen, die freigestellten Maßnahmen und die notifizierungspflichtigen Rahmenprogramme und Förderrichtlinien und leiten für Letztere frühzeitig ein Pränotifizierungsverfahren ein. Seitens der EU-Kommission könnte (wie beim RRF) im Notifizierungssystem SANI2 eine eigene Kategorie für die OP vorgesehen werden, um eine bevorzugte Bearbeitung sicherzustellen. Außerdem könnte (wie beim RRF) eine Selbstverpflichtung der EU-Kommission implementiert werden, ihre Bewertung innerhalb von sechs Wochen ab Erhalt der vollständigen Notifizierung abzuschließen.
Dauer von Genehmigungsverfahren und Möglichkeiten der Beschleunigung (insbesondere KUEBLL)
Größere Einzelmaßnahmen bedürfen einer individuellen Genehmigung (Notifizierung) durch die Europäische Kommission, basierend auf Richtlinien wie den Klima-, Umwelt- und Energiebeihil- feleitlinien (KUEBLL). Die EU-Kommission bevorzugt die Notifizierung von Gruppen von Großprojekten durch die Mitgliedstaaten, anstatt einzelne Projekte zu prüfen. Der Prozess erfordert oft eine Ausschreibung, manchmal eine öffentliche Konsultation, und weitere Schritte, die zusammen einen umfangreichen Vorbereitungsaufwand darstellen. Eine mögliche Beschleunigung der Notifizierungsverfahren könnte durch eine Vereinfachung der Regelungen, wie beispielsweise der KUEBLL, erzielt werden. Allerdings sieht die EU-Kommission derzeit keine Änderungen an den KUEBLL vor, die erst im Februar 2022 eingeführt wurden, da sie zunächst Erfahrungen mit den aktuellen Regelungen sammeln möchte. Eine praktikable Lösung zur Beschleunigung könnte die Einführung von Antragskonferenzen sein, bei denen Unternehmen, Bund, Länder und die Kommission gemeinsam die Förderanträge vorbereiten und diskutieren. Daher empfehlen wir, Antragskonferenzen in das Beihilfeverfahren zu integrieren, um den Genehmigungsprozess effizienter zu gestalten.
Langfristige Neugestaltung des Beihilferechtes nach Auslaufendes TCTF Ende 2025
Die Einbettung von – sehr sinnvollen, aber nur vorübergehenden – Erleichterungen für die Transformation in den zeitlich begrenzten Krisenrahmen Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) anstatt einer Anpassung bestehender Regelwerke ist unzureichend. Mit dem Auslaufen des TCTF Ende 2025 sollte eine dauerhafte Anpassung und Harmonisierung beihilferechtlicher Instrumente vorgenommen werden, um langfristige Klarheit für Beihilfeempfänger und -geber zu schaffen. So schlagen wir eine Verstetigung und gezielte Erweiterung der in der Krise implementierten Fördermöglichkeiten vor, um in Europa eine attraktive, möglichst unbürokratische Förderkulisse zu schaffen, die zugleich gegenüber den Anreizprogrammen anderer Wirtschaftsmächte – wie v.a. den USA mit dem IRA konkurrenzfähig ist. Ziel ist es, dauerhaft wirtschaftliche Anreize für Transformationsregionen und für strukturschwache Gebiete in der EU zu schaffen. Das gilt z.B. für transformationsrelevante Investitionen großer Unternehmen (gU), angelehnt an die Regelung in Ziffer 2.8 des TCTF. Danach können Investitionen in Schlüsselindustrien unabhängig davon, ob sie in einem Fördergebiet stattfinden, mit 15 Prozent gefördert werden, plus einem Zuschlag von fünf Prozent in C-Fördergebieten, und dies ohne Beschränkungen wie bei den Regionalbeihilfen. Die Kriterien an die Definition der »Schlüsselsektoren« sollten einfach gehalten werden. Auch sollten die Programme mit den notwendigen Haushaltsmitteln ausgestattet werden, sodass beihilferechtliche Spielräume genutzt werden können. Eine Erhöhung der Flexibilität bei der Umstrukturierung von Beihilfen soll im Bedarfsfall entwickelt werden. Im Regionalbeihilfenrecht ist etwa die Förderung von Erweiterungen für gU in C-Fördergebieten ausgeschlossen, da Investitionen in eine neue wirtschaftliche Tätigkeit vorliegen müssen. Für eine wirksame Lockerung sollte jedoch der Fördersatz nach Möglichkeit noch erhöht werden, um einen tatsächlichen Anreiz für die notwendigen beschleunigten Investitionen in Schlüsselsektoren zu setzen. Zudem sollte eine Verstetigung der Regelungen insbesondere von Ziffer 2.5 (beschleunigter Ausbau erneuerbarer Energien) sowie von Ziffer 2.6. und 2.7 des TCTF erfolgen. Bislang gelten diese Regelungen einschließlich Ziffer 2.8 bis zum 31. Dezember 2025. Im Mindesten aber sollte auf eine entsprechende Verlängerung der TCTF-Regelungen hingewirkt werden.
Unterstützerinnen und Unterstützer
AUS DEN BUNDESL ÄNDERN:
BADEN-WÜRTTEMBERG
Andreas Stoch, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg
Dr. Boris Weirauch, Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg
BAYERN
Holger Grießhammer, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag des Freistaats Bayern
BRANDENBURG
Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg
Hendrik Fischer, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg
BREMEN
Volker Stahmann, Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft
HAMBURG
Dr. Melanie Leonhard, Senatorin für Wirtschaft und Innovation der Freien und Hansestadt Hamburg
Hansjörg Schmidt, Wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der Bürgschaft der Freien und Hansestadt Hamburg
HESSEN
Tobias Eckert, Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag Hessen
NIEDERSACHSEN
Olaf Lies, Minister für Wirtschaft, Verkehr, Bauen und Digitalisierung des Landes Niedersachsen
NORDRHEIN-WESTFALEN
André Stinka, Sprecher der SPD-Fraktion für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie im Landtag Nordrhein-Westfalen
Nadja Lüders, stellv. Sprecherin der SPD-Fraktion für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie im Landtag Nordrhein-Westfalen
SAARLAND
Dr. Frank Nägele, Beauftragter der Landesregierung Saarland für den Strukturwandel
SACHSEN
Ines Fröhlich, Staatssekretärin im Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr des Freistaats Sachsen
SACHSEN-ANHALT
Prof. Dr. Armin Willingmann, Minister für Wissenschaft, Energie, Klimaschutz und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt THÜRINGEN
Dr. Katja Böhler, Staatssekretärin im Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft des Landes Thüringen
AUF BUNDESEBENE:
Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Vorsitzender des Politischen Beirates des Wirtschaftsforums der SPD e.V.
AUF INITIATIVE UND UNTER KOORDINIERUNG VON
Prof. Dr. Ines Zenke, Präsidentin des Wirtschaftsforums der SPD e.V.
Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg
Hendrik Fischer, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg Dr.
Frank Nägele, Beauftragter der Landesregierung Saarland für den Strukturwandel