Die Aufmerksamkeit des Menschen ist eine begrenzte Ressource. In der Wahrnehmung nehmen deshalb neuere Krisen den Platz von alten Krisen ein. Aber natürlich verschwinden diese nicht, nur weil darüber in Wahlkämpfen weniger gesprochen und in Zeitungen weniger geschrieben wird. In den letzten fünf Jahren haben Corona, der Ukrainekrieg, die Energiepreiskrise, die Spannungen im Mittleren Osten, die Inflation und der Anstieg des globalen Rechtspopulismus leicht vergessen lassen, dass der Klimawandel und unsere Antworten hierauf immer noch die wichtigsten Fragen unserer Zeit sind. Dabei gilt weiterhin, dass die oft und gern herangezogene Dichotomie von klimaorientierter Transformation und Wirtschaftsstärke nicht gegeben ist. Der Wandel hin zu einer nachhaltigen, resilienten und ressourcenschonenden Industrie bietet große Chancen, gerade für unseren Wirtschaftsstandort.
Zunächst: Klimaschutz ist verpflichtend
Auch wenn im politischen Diskurs manchmal ein anderer Eindruck erweckt wird: Klimaschutz ist schon lange keine freiwillige Angelegenheit mehr. Es ist auch kein nice-to-have, wenn man nicht mehr weiß, wohin mit dem ganzen Geld. Ein Blick in die nationalen Gesetze sowie in die von Deutschland eingegangenen europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschland zeigt, dass die Bundesrepublik rechtlich gebunden ist, gegen den Klimawandel zu arbeiten. Den meisten fällt hier der Kampf gegen die Erderwärmung ein, vor allem die diversen Ziele, den Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen zu begrenzen.
Schaut man zunächst auf die internationale Ebene, sieht man schnell, dass sich Deutschland mehrfach zum Einhalten von Klimaziele bekannt hat. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht normalerweise das Übereinkommen von Paris, mit dem sich fast die gesamte Staatengemeinschaft verbindlich darauf einigte, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5-Grad Celsius zu beschränken. Wobei die Verbindlichkeit da beschränkt ist, wenn man einfach einseitig und ohne Konsequenzen das Übereinkommen kündigen kann, wie es die USA nun schon zum zweiten Mal machen.
Verbindlicher sind die Ziele der EU. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent verringern werden. Klimaneutralität soll ab 2050 herrschen. (Und eine kreislauforientierte Wirtschaft wurde als langfristige Wohlstandsstrategie ausgerufen.) Deutschland hat seine Verpflichtungen mit dem Klimaschutzgesetz in das nationale Recht umgesetzt und strebt Treibhausgasneutralität sogar bis 2045 an. Ohne EU-Austritt – den niemand wollen kann, dem unsere Wirtschaft am Herzen liegt – wird es also zumindest bei den EU-Zielen bleiben.
Und der Klimaschutz steht im deutschen Grundgesetz. Nach dem Bundesverfassungsgericht enthält dieses eine staatliche Pflicht, im Sinne der Generationengerechtigkeit eine Lösung der Klimakrise auf überstaatlicher Ebene zu suchen und international vereinbarte Lösungen umzusetzen.
Aber: Klimaschutz birgt auch wirtschaftliche, geopolitische und demokratische Chancen
Klimaschutz nur als (teure und lästige?) Pflicht zu betrachten, greift zu kurz. Er ist auch Chance. Wird er klug angegangen, hat der Klimaschutz das Potential, Synergieeffekte mit der Ökonomie, mit der Außen- und Sicherheitspolitik und mit dem Erhalt der Demokratie zu erzeugen.
Keine Ökologie ohne Ökonomie, keine Ökonomie ohne Ökologie
Deutschland mit seiner Expertise in Forschung und Entwicklung, mit seiner industriellen Basis und dem etablierten Anlagenbau kann vom globalen Trend zum Klimaschutz profitieren. Die Nachfrage nach klimafreundlicher Technik dürfte weltweit erheblich steigen, daraus ergeben sich Exportpotentiale: Die Nachfrage nach Klimaschutztechnologiegütern wie Erneuerbare Energien-Anlagen, Güter der Mess-, Steuer- und Regeltechnik sowie Produkte für die Luftreinhaltung und rationelle Energieverwendung wird im Ausland wachsen, während die nach den konventionellen Technologien und Produkten sinkt. Deutschland nimmt bereits eine Vorreiterrolle bei Patentanmeldungen im Bereich des Klimaschutzes ein. Es wäre fatal, wenn man sich wieder das Ruder aus der Hand nehmen ließe wie bei der PV-Technologie.
Die Transformation der Industriebasis kostet Geld und manche „grüne“ Produkte (wie „grüner Stahl“) sind zunächst teurer. Sobald die Technologien aber Märkte durchdringen und dem Wettbewerb standhalten, können sich Kostenvorteile ergeben. Dieser Prozess wird mit Instrumenten wie den Klimaschutzverträgen unterstützt. Aber Teil der Transformation ist auch mehr Effizienz, die zu erheblichen Kosteneinsparungen für Unternehmen führen können, und mehr Ressourcenbewusstsein, was zu Fortschritten bei der Kreislaufwirtschaft führen wird.
Verlässt man die deutsche Ebene und betrachtet die globale Volkswirtschaft, liegen die Vorteile ebenfalls auf der Hand. Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen sind derzeit immer noch günstiger als die Folgekosten – ihr Aufschieben würde also erhebliche Mehrkosten verursachen. Diese simplen ökonomischen Erwägungen führen auch vor dem Hintergrund der Generationengerechtigkeit zu einer Handlungspflicht: Es wäre nicht nur unwirtschaftlich, sondern gleichsam ungerecht, heute keine Investitionsmaßnahmen zu ergreifen und die Verantwortung auf unsere (Kindes-)Kinder zu übertragen.
Kluge Klimapolitik als geopolitische Strategie
Klimapolitik hat natürlich eine geo- und sicherheitspolitische Dimension.
Solange Deutschland und die EU in Bezug auf ihre Energieversorgung stark abhängig von externen Lieferanten sind, solange sind sie nicht nur angreifbar, sondern korrelieren in ihren Energiekosten mit globalen Krisen und Konflikten. Im Jahr 2023 z. B. wurden ca. 66 Prozent des deutschen Energieaufkommens durch Importe gedeckt (gegenüber Kohle, Gas und Öl ist dabei Strom nur ein verschwindend kleiner Posten). Der Energiepreisanstieg und die Inflation 2022 beruhte auf unserer Abhängigkeit von russischem Erdgas. Krisen im Mittleren Osten haben genauso Einfluss auf unsere Preise wie die handelspolitischen Kapriolen einer Trump-Regierung. Auf eigenen Beinen zu stehen und Erpressbarkeiten zu minimieren, schafft hingegen Resilienz und Stärke auf der internationalen Bühne.
Aufgrund von tragischen Ereignissen ist das Thema Migration (bzw. ihre Begrenzung) kurz vor der Bundestagswahl im Diskurs ganz nach oben gespült worden. Dass der Klimawandel droht, den globalen Süden unbewohnbarer zu machen, und damit eine zentrale Migrationsursache ist und immer weiter wird, bleibt weitgehend undiskutiert. Langfristig effizienter ist die Klimazusammenarbeit in internationalen Foren wie der UN, G7 und G20, den multilaterale Entwicklungsbanken oder der Internationalen Energieagentur.
Schließlich: Wir sollten uns nicht nur um unsere eigene Treibhausgasneutralität kümmern, sondern international agieren: auf dieser Ebene kann der Klimawandel deutlich effizienter bekämpft werden, etwa durch globale Klimaschutzinstrumente (Stichwort Emissionshandel). Ein glaubwürdiges und ernsthaftes Vorgehen würde zusätzlich auf die soft power der EU und Deutschlands einzahlen.
Sozial gerechte und akzeptierte Klimapolitik?
Klimaschutz hat auch immer eine soziale Dimension.
Die gute Nachricht ist: eine ambitionierte Klimapolitik birgt das Potential, soziale Ungleichheiten zu verringern. Reichere Bevölkerungsschichten können sich leichter an die Veränderungen anpassen als ärmere Teile. Der Allgemeinheit zugutekommende Investitionen, z. B. in Infrastruktur wie dem ÖPNV helfen hier. Und Maßnahmen, die konkret empfundene Verbesserungen in der eigenen Lebenswirklichkeit mit sich bringen, erhöhen die Akzeptanz für Veränderungen.
Die Risiken einer nicht akzeptanzorientierten Politik haben sich längst gezeigt. Die Angst vor der Transformation zu Lasten der Bevölkerung wird von rechten Kräften instrumentalisiert und geschürt – denken wir nur an das sogenannte „Verbrenner-Aus“, das „Heizungsgesetz“ oder den Widerstand gegen Windenergieprojekte. Die Stimmung sei gekippt, so jedenfalls der in Boulevard-Presse und rechten Kreisen gern vermittelte Eindruck. Die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten und vor negativen Veränderungen der Lebenswirklichkeit ist real, weshalb eine kluge Klimapolitik nicht über die Köpfe der betroffenen Menschen hinwegentscheiden darf.
Hier kommen, neben einer guten Kommunikation, z. B. die zuletzt oft diskutierten Bürgerräte und Beteiligungsformen ins Spiel. Die Wissenschaft zeigt, dass die Toleranz für Veränderung steigt, je mehr Personen – und sei es nur jemand im Bekanntenkreis – am Entscheidungsprozess mitgewirkt haben. Zudem können Erneuerbare Energie-Projekte so konzipiert werden, dass die Menschen vor Ort von ihnen profitieren, indem sie am Gewinn beteiligt und/oder mit dem dort produzierten Strom versorgt werden. Solche Modelle müssten noch breiter eingesetzt werden. Demokratie und Teilhabe können dann auch jenseits des Gangs zur Wahlurne hinaus erlebbar sein, was nicht nur den Stillstand der Energiewende verhindern, sondern auch der Demokratiemüdigkeit etwas entgegensetzen würde.
Fazit
Der Klimaschutz hat Auswirkungen auf alle anderen Dimensionen der Wohlstandssicherungen – er birgt in diesen Bereichen Risiken, aber auch Chancen. Wenn wir diese nutzen, kann er zu positiven Effekten in der Wirtschaft, der Geopolitik und der demokratischen Gesellschaft führen. Diese Verknüpfungen steigern wiederum seine Wirksamkeit und Akzeptanz. Klimaschutzmaßnahmen müssen daher nicht nur um ihrer selbst willen getroffen werden, sondern auch aufgrund ihrer Wechselwirkungen. Wir sollten diese Potentiale tunlichst nutzen.