Wie hängen Bildung, Chancengerechtigkeit und wirtschaftliches Wachstum zusammen? Der Zugang zu finanziellen Ressourcen ist entscheidend für die aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Gleichzeitig sind Investitionen in die Bildung unerlässlich, um soziale Mobilität zu fördern und die Innovationskraft unseres Landes zu stärken.
Zugang zu finanziellen Ressourcen ist Voraussetzung für soziale Teilhabe
Die Caritas definiert Teilhabe als aktive Teilnahme am Leben der Gemeinschaft, die politisches Engagement, kulturelle Aktivitäten sowie bezahlte und unbezahlte Arbeit umfasst.[1] Einkommen und Vermögen sind zwar nicht unmittelbar ausschlaggebend für die Teilhabe, spielen aber indirekt eine zentrale Rolle. Ein Mangel an ausreichenden finanziellen Mitteln lässt oft wenig Zeit und Energie für eine aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, da das Leben in Armut eine erhebliche Belastung darstellt.
Im Bereich der Einkommensungleichheit nimmt Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Ländern eine mittlere Position ein. Im Jahr 2023 betrug der Gini-Index, dessen Werte zwischen 0 und 100 die relative Gleichheit oder Ungleichheit anzeigen, 29,4 in Deutschland und 29,6 in der EU.[2] Im weltweiten Vergleich zählt Deutschland ebenfalls zu den Ländern mit moderater Einkommensungleichheit.[3]
Eine extremere Position nimmt Deutschland in der Vermögensvertei- lung ein. Laut Europäischer Zentralbank besitzen in Deutschland zehn Prozent der Haushalte 56 Prozent des Gesamtvermögens[4] – ein höherer Wert als in vielen anderen europäischen Ländern. Nach dem Sozialbericht 2024[5], den das WZB gemeinsam mit anderen Institutionen erstellt, gibt es zudem kaum Anzeichen für eine Angleichung der Vermögensverteilung zwischen Ost- und Westdeutschland: Im Osten liegt das durchschnittliche Nettovermögen bei rund 150.900 Euro, im Westen bei rund 359.800 Euro. Dieser Abstand hat sich in den letzten zehn Jahren kaum verringert. Anders als Einkommen verändern sich Vermögen als Bestandsgrößen nur langsam und werden zudem über Generationen hinweg vererbt.
Bildung als Motor der intergenerationalen Mobilität
Ein zentraler Ansatz zur Überwindung von Ungleichheit in Einkommen und Vermögen ist der Zugang zu Bildung. Ungleichheit wird von der Gesellschaft eher akzeptiert, wenn allen die gleichen Chancen geboten werden, ihre Talente zu entwickeln und Erfolg im Arbeitsmarkt zu haben. Wünschenswert ist daher eine hohe intergenerationale Mobilität: der Bildungserfolg der Kinder sollte nicht vom Elternhaus abhängen. In Deutschland sind dagegen Einkommen und Bildung der Eltern oft entscheidende Faktoren, zum Beispiel beim Übergang zum Gymnasium.
Deutsche Innovationskraft hängt stark vom Humankapital ab
Bildung spielt aber nicht nur aus Gerechtigkeitsperspektive eine Rolle, sondern ist auch zentral für das Wirtschaftswachstum. Wenn der Bildungserfolg durch soziale Umstände erschwert wird, können nicht alle Kinder ihre Talente voll einsetzen.
Die Bedeutung von Bildung für Innovation und Wachstum ist für ein Land wie Deutschland umso zentraler, da Deutschland als rohstoffarmes Land auf Humankapital angewiesen ist. Die Innovationskraft, die unser Wirtschaftswachstum antreibt, basiert auf einer qualitativ hochwertigen Bildung. Ohne sie gehen Deutschland zukünftige potentielle Entwickler, Tüftler und Selbständige verloren. Kreative unternehmerische Ideen und Potentiale können sich in den Köpfen aller Kinder verbergen, und diese gilt es, zu heben.
Bildung als Investition betrachten
Bildung ist also zentral für intergenerationale Mobilität, Chancengleichheit und Wirtschaftswachstum. Daher sind staatliche Investitionen in Bildung lukrative Investitionen: Jeder Euro, der in die Bildung von Kindern investiert wird, zahlt sich mehrfach aus.
Bildung befindet sich unweigerlich im Spannungsfeld der Finanzpolitik. In dieser Diskussion sollten besonders die Auswirkungen öffentlicher Ausgaben berücksichtigt werden. Die zentrale Frage dabei ist, wie stark die Gesellschaft von gewissen Staatsausgaben profitiert. Eine Analyse von 133 Ausgabenprogrammen in den USA[6] zeigt, dass zusätzliche Ausgaben für die Bildung und Gesundheit von Kindern erhebliche positive Effekte haben, insbesondere, wenn sie Kindern aus einkommensschwachen Familien zugutekommen. Dahinter steht die Tatsache, dass Investitionen in die Bildung von Kindern zu besseren Bildungsergebnissen führen. Diese wiederum sind mit einem höheren späteren Erfolg auf dem Arbeitsmarkt und damit mit höheren Steuereinnahmen verbunden. Die Schüler von heute sind die Arbeitskräfte und Steuerzahler von morgen. Aus diesem Grund sollten Ausgaben für Bildung insgesamt als eine Form der Investition betrachtet werden.
Bereits im Bereich der Bildungsinfrastruktur besteht in Deutschland allerdings ein erheblicher Investitionsrückstau. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft[7] gemeinsam mit dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) schätzt den Investitionsbedarf für die Bildungsinfrastruktur auf rund 42 Milliarden Euro, davon sieben Milliarden Euro für den Ausbau von Ganztagsschulen. Auch der Sanierungsbedarf an den Hochschulen ist erheblich.
Höhere Ausgaben in Bildungsinfrastruktur und Lehrkräfte müssen flankiert werden durch Reformen im Bildungsbereich, wie zum Beispiel eine größere Autonomie von Schulen und eine Professionalisierung der Schulleitungen. Unser föderales System kann zudem aktiv genutzt werden, um in der Bildungspolitik voneinander zu lernen.
Gute Bildungsmöglichkeiten stärken die Demokratie
Investitionen in Bildung sind nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern tragen auch zur Stabilität der Demokratie bei. Eine unzulängliche Bildungslandschaft führt zu einer allgemeinen Unzufriedenheit, die sich schließlich in Misstrauen gegenüber demokratischen Institutionen manifestieren kann. Die Bildung ist ein staatliches Gut, mit dem Millionen von Eltern und Kindern täglich in Kontakt kommen. Werden hier erhebliche Defizite wahrgenommen, so geht Vertrauen in den Staat verloren. Daher unterstützt ein gut funktionierendes Bildungssystem auch die demokratische Stabilität.
Zusammenspiel aus sozialer Förderung und individueller Verantwortung berücksichtigen
Will Deutschland den Bildungserfolg erhöhen, so darf man gleichzeitig die Perspektive von Eltern und Kindern nicht aus dem Auge verlieren. Sie werden nur dann Zeit und Energie in Bildung stecken, wenn sie sich einen Nutzen davon erwarten. Daher interagiert das Bildungssystem mit dem Sozialstaat und mit Chancengerechtigkeit im Arbeitsmarkt. Sowohl die Chancen als auch die Anreize müssen so gestaltet sein, dass Kinder und Eltern Bildung und Arbeit als lohnenswert ansehen. Im Sozialstaat muss daher das Zusammenspiel aus sozialer Unterstützung und individueller Verantwortung berücksichtigt werden.
Komplexitäten im Sozialsysteme reduzieren
Der Sozialstaat ist eine wichtige Errungenschaft Deutschlands. Gleichzeitig braucht es gerade angesichts der demographischen Entwicklung Reformen, die die Arbeitsanreize erhöhen und den Übergang in den Arbeitsmarkt erleichtern. Zudem sind Vereinfachungen im Sozialsystem aus zweierlei Perspektive notwendig. Einerseits ist das derzeitige komplexe System mit Zuständigkeiten auf vielen verschiedenen Ebenen allein durch den Verwaltungsaufwand sehr teuer, was durch die fehlende Digitalisierung im Verwaltungsbereich noch mehr zu Buche schlägt. Andererseits sind die bestehenden Strukturen für unterstützungsbedürftige Menschen oft zu kompliziert, so dass die Hilfe nicht ankommt.
Das Prinzip der Holschuld ist nachvollziehbar, doch viele Menschen sind mit den Regelungen überfordert, was sich negativ auf ihre soziale Teilhabe auswirkt. In der Initiative für einen handlungsfähigen Staat empfehlen wir daher, die Systeme zu vereinfachen, insbesondere durch die Reduzierung der Zuständigkeiten und die Beseitigung administrati- ver Zersplitterung. Der Sozialbericht verdeutlicht die Dringlichkeit solcher Reformen.
Bildung als zentrale Aufgabe für Deutschland
Um in der globalen Wettbewerbslandschaft erfolgreich zu sein, sind Innovationen und Wachstum für Deutschland von zentraler Bedeutung, und Bildung ist der Grundstein dafür. Daher braucht es eine klare Strategie, um die Herausforderungen im Bereich der intergenerationalen Mobilität anzugehen und nachhaltige Impulse für unser Bildungssystem zu setzen.
Nicola Fuchs-Schündeln ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und Professorin für Makroökonomie und Entwicklung an der Goethe-Universität Frankfurt. Sie promovierte in Wirtschaftswissenschaften an der Yale University, war Assistant Professor of Economics an der Harvard University und hat die Ehrendoktorwürde der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg inne.
[1] https://www.cbp.caritas.de/themen/soziale-teilhabe/soziale-teilhabe
[2] https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php?title=Living_conditions_in_Europe_-_income_distribution_and_income_inequality
[3] https://www.statista.com/chart/33270/income-inequality-by-country/
[4] Europäische Zentralbank (EZB) 2023, Household Finance and Consumption Survey (HFCS); Link: https://www.ecb.europa.eu/stats/ecb_surveys/hfcs/html/index.en.html
[5] https://www.bpb.de/system/files/dokument_pdf/Sozialbericht_2024_bf_k2.pdf
[6] Hendren, Nathaniel und Ben Sprung-Keyser (2020): Unified Welfare Analysis of Government Policies, The Quarterly Journal of Economics, Volume 135, Issue 3, August 2020, Pages 1209–1318. Link: https://doi.org/10.1093/qje/qjaa006
[7] https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/michael-huether-simon-gerards-iglesias-600-milliarden-euro-fuer-eine-zukunftsfaehige-wirtschaft.html