Unser Wohlstandsmotor im (Klima-) Wandel
Mit der historischen Einigung des Pariser Klimaabkommens hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf den Weg in die Klimaneutralität gemacht und einen „Strukturwandel per Termin“ angestoßen.[1] Blickt man heute – knapp zehn Jahre nach Paris – auf Wachstumszahlen und die politische Stimmung im Land, muss nüchtern festgestellt werden, dass sich damit verbundene Hoffnungen auf ein zweites Wirtschaftswunder in Deutschland nicht materialisieren konnten. Auch vor diesem Hintergrund wird immer klarer, dass der Weg zur Klimaneutralität nicht ohne Zumutungen und ein großes Maß an Veränderungsbereitschaft zu bewältigen sein wird.
Besonders die Industrie, seit jeher der Motor für den wirtschaftlichen Wohlstand in Deutschland, bekommt bei allen unbestritten großen Chancen, die die Wachstumsbranchen der Zukunftstechnologien bieten, heute auch die schmerzhafte Seite der Transformation zu spüren: Bereits seit 2018 geht die Industrieproduktion in Deutschland zurück.[2] In Deutschland, wo große Industrieunternehmen und ein tief in die Lieferketten reichender, innovativer Mittelstand lange voneinander profitiert haben, schlagen die Krisen der Großen gnadenlos zu den Kleinen durch. Allein in der Grundstoffindustrie hängen an den knapp 750.000 direkt Beschäftigten etwa eine Million weitere Arbeitsplätze, die von Aufträgen der Grundstoffriesen abhängig sind.[3] Gerät also die Grundstoffindustrie ins Straucheln, trifft das auch Anlagenbauer, Logistiker und andere Unternehmen in den vor- und nachgelagerten Lieferketten. Laut Berechnungen der Beratungsgesellschaft McKinsey sind branchenübergreifend etwa 15-20% der Arbeitsplätze in Deutschland vom bevorstehenden Strukturwandel betroffen.[4] Für viele Menschen steht damit nicht nur ihr Arbeitsplatz, sondern auch ihre persönliche Grundlage für Wohlstand und Identität auf dem Spiel.
Obwohl die Nachwehen der Pandemie genauso wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht wegzudiskutierende Faktoren für die aktuelle Wachstumsschwäche sind, dürfen die alarmierenden Wachstumszahlen nicht als Momentaufnahme verstanden werden. Sie legen vielmehr die strukturellen Probleme des deutschen Wirtschaftsmodells schonungslos offen. Kurzum: Das deutsche Geschäftsmodell ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Doch der Klimawandel wartet nicht auf politisch günstige Handlungsfenster oder geopolitisch stabile Zeiten. Ebenso wenig kann daher der nötige strukturelle Wandel warten.
Wohlstand durch Klimaschutz – Deutschland darf den Anschluss nicht verlieren
Wo die Arbeitsplätze der Zukunft liegen, wird längst nicht mehr allein in Deutschland bestimmt. Die globalen Märkte der Zukunftstechnologien werden zu großen Teilen von anderen Playern dominiert. Besonders China enteilt Deutschland und dem Rest der Welt in den Wachstumsmärkten wichtiger Zukunftstechnologien mit großen, zielstrebigen Schritten. Allein im Jahr 2023 investierte China beeindruckende 890 Milliarden US-Dollar in Clean-Energy-Sektoren – eine Summe, die nahezu den gesamten globalen Investitionen in fossile Brennstoffe entspricht.[5]
Auch wenn China trotz aller Fortschritte noch fast 16 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr vom Status eines echten Klimachampion entfernt ist, zeigt die Volksrepublik mit ihrer klaren industriepolitischen Ausrichtung eindrucksvoll, dass Investitionen in den Klimaschutz der Schlüssel zu zukünftigem wirtschaftlichen Erfolg sind.[6] Denn die Investitionen zahlen sich aus: Laut einer Studie des Forschungsinstituts Climate Energy Finance entfallen inzwischen rund ein Drittel der weltweiten E-Auto-Exporte, rund ein Viertel der Exporte von Lithium-Batterien und mehr als drei Viertel der Solarmodul-Exporte auf China.[7] Damit sichert sich das Land nicht nur einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil, sondern auch ein Stück weit die Deutungshoheit darüber, mit welchen Technologien die Zukunft gestaltet wird. Das Beispiel China macht vor allem eines deutlich: Klimapolitik und Standortpolitik sind keine Gegensätze. Sie sind längst zwei Seiten derselben Medaille.
Und in Deutschland? Auch hierzulande haben Unternehmen erkannt, dass nur der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft unternehmerischen Erfolg und gesellschaftlichen Wohlstand nachhaltig sichern kann. Das zeigen nicht zuletzt die vielen mutigen Frontrunner, die sich in der Stiftung KlimaWirtschaft engagieren und den Wandel zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit ihrer Innovationskraft und Lösungskompetenz vorantreiben. Investierte die deutsche Wirtschaft 2021 noch rund 54 Milliarden Euro in saubere Energieversorgung, Effizienzmaßnahmen oder klimafreundliche Mobilität, beliefen sich die Klimaschutzinvestitionen 2023 bereits auf rund 85 Milliarden Euro.[8] Doch gerade im für Deutschland so wichtigen Mittelstand ist ein besorgniserregender Rückgang der Investitionen in die klimaneutrale Zukunft der Unternehmen zu beobachten.[9] Insgesamt bleibt die deutsche Wirtschaft so derzeit deutlich hinter dem 2021 errechnete Ziel von 860 Milliarden Euro zusätzlichen Investitionen bis 2030 zurück.[10]
Planungssicherheit ist das höchste Gut in der Transformation
Damit Investitionen die Zukunftsfähigkeit des Standorts stärken und zukunftsfähige Arbeitsplätze sichern können, muss jeder investierte Euro immer auch betriebswirtschaftlichen Erwägungen standhalten. Und genau hier liegt das Problem. Erwartungen über zukünftige Entwicklungen im Marktumfeld sind derzeit mit großen Unsicherheiten belastet. Solange die Erträge auf Investitionen nicht oder zumindest nicht seriös abschätzbar sind, heißt die Maxime vieler Unternehmen eben: Lieber gar nicht investieren als falsch zu investieren.
Um die aktuelle Zurückhaltung vieler Unternehmen bei wegweisenden Zukunftsinvestitionen zu verstehen, reicht ein Blick in die jüngere Vergangenheit aus. Nach klaren Signalen des Aufbruchs in die erneuerbare Zukunft der Wärmeerzeugung durch GroKo und Ampel, investierten beispielsweise viele Wärmepumpenhersteller mutig in den Standort Deutschland. Nachdem das Heizungsgesetz unter dem Druck der Opposition wieder zusammengestrichen wurde, stehen die Wärmepumpenhersteller heute vor einer unsicheren Zukunft. Getätigte Investitionen verpufften, tausende Beschäftigte mussten in Kurzarbeit geschickt werden.[11] Neben der Heizungsbranche bekommen auch die Automobilhersteller die Folgen einer kurzsichtigen Politik zu spüren. Mit dem abrupten Wegfall der Kaufprämie für E-Autos brachen die Absatzzahlen deutscher E-Autos nach Zahlen des Kraftfahrtbundesamts um mehr als ein Viertel ein.[12] Die Konsequenz: Auch die von mutlosen Managemententscheidungen bereits arg gebeutelten Automobilersteller rutschten immer tiefer in die Krise. Selbst die Schließung ganzer Werke können in der einstigen Vorzeigebranche nicht mehr ausgeschlossen werden.[13]
Wo Unternehmen in Zeiten großer struktureller Umbrüche mehr denn je stabile und belastbare Erwartungen brauchen, verunsichert ein politischer Zick-Zack-Kurs Unternehmen und Verbraucher, entwertet Investitionen in Zukunftstechnologien Made-in-Germany und lähmt ganze Branchen auf dem Weg in die KlimaWirtschaft. Planungssicherheit lautet daher die Maxime, nach der die Politik den vor uns liegenden Strukturwandel begleiten muss. Nur wenn die politischen Rahmenbedingungen eindeutig und belastbar sind, können private Investitionen getätigt werden, die die deutsche Wirtschaft im Wettbewerb um die Zukunftstechnologien voranbringen und zur Sicherung des gesellschaftlichen Wohlstands beitragen.
Belastbare Leitplanken für die Zukunft des Standorts
Damit Unternehmen die bevorstehenden Transformationsaufgaben mit der nötigen Planungssicherheit angehen können, braucht das Land dringend einen neuen wirtschaftspolitischen Kompass. Gemeint ist dabei kein Masterplan, der den Takt der Transformation minutiös vorgibt und den Entwicklungspfad der deutschen Wirtschaft bis ins letzte Detail ausdefiniert. Vielmehr geht es um eine Einigung auf politische Grundsätze, die Verlässlichkeit signalisieren und den Unternehmen am Standort Deutschland in Zeiten des Umbruchs die dringend benötigte Planungssicherheit geben. Auch in wirtschafts- und klimapolitischen Fragen kann und muss weiterhin über Detailfragen gestritten werden können. Aber nur mit beständigen Rahmenbedingungen kann sich daraus ein fruchtbarer Wettbewerb der Ideen entwickeln, in dem sich die besten Konzepte und Technologien durchsetzen können.
Investitionen in gute Konzepte und Technologien müssen auch bei politischen Wetterumschwüngen bestehen können. Die Leitplanken für die Zukunft unseres Standorts müssen daher von breiten Schultern getragen werden. Mehr denn je braucht es Brückenbauer, die politische Gräben überwinden und die vielen, wertvollen Ideen für die Zukunft unseres Standorts an einen Tisch bringen. Nur wenn Regierung, Opposition, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu gemeinsamen Leitplanken finden, können sich Unternehmen tatsächlich darauf verlassen, dass bestehende Rahmenbedingungen legislatur- und lagerübergreifend Bestand haben.
Angesichts der wieder aufkommenden Grundsatzdiskussionen muss ein klares Bekenntnis zu den Klimazielen bis zur Mitte des Jahrhunderts selbstverständlicher Bestandteil einer solchen Übereinkunft sein. Nur mit einer belastbaren Zielvorgabe lassen sich die Investitionen seriös kalkulieren, die die deutsche Wirtschaft dringend benötigt, um gute Arbeitsplätze in Deutschland halten zu können. Ein klares Festhalten an der Energiewende als Schlüssel für wettbewerbsfähige Energiepreise, am europäischen Emissionshandel, am Bürokratieabbau und an resilienten Lieferketten sollte ebenfalls Teil dieser Leitplanken sein. Zudem sollten wir uns ehrlich machen: Der CO2-Preis allein kann und wird nicht alles regeln. Er muss vielmehr durch eine aktive, kluge Industriepolitik ergänzt werden. Nicht zuletzt muss eine Verständigung darüber erzielt werden, wie auch der Staat ausreichende finanzielle Spielräume erhalten kann, um in die klimaneutrale Zukunft unseres Standorts investieren zu können. Denn auch in der KlimaWirtschaft können Unternehmen nur mit intakten Brücken, belastbaren Stromnetze und einer funktionierenden Schieneninfrastruktur eine erfolgreiche Zukunft aufbauen.
Angesichts der vor uns liegenden Aufgabe braucht Deutschland die Rückkehr zu einer politischen Kultur, in der das, worauf man sich bereits einigen konnte, nicht wieder und wieder in Frage gestellt wird. Wir sollten über konstruktive Ideen für die Zukunft streiten, statt maximales politisches Kapital aus den Fehlern der Vergangenheit zu schlagen. Das zu gewährleisten ist die Aufgabe aller, die am politischen Prozess beteiligt sind. Denn: Zu wertvoll ist das Vertrauen der Unternehmen in die Beständigkeit des politischen Rahmens. Zu wichtig ist ihre Rolle als Wohlstandsmotor der klimaneutralen Zukunft.
Sabine Nallinger ist Vorständin der Stiftung KlimaWirtschaft (vormals Stiftung 2°), einer klimapolitischen Initiative von Vorstandsvorsitzenden, Geschäftsführer:innen und Familienunternehmer:innen. Von 2008 bis 2020 saß Sabine Nallinger im Münchener Stadtrat für Bündnis 90/Die Grünen, wo sie v.a. energie-, stadtentwicklungs- und verkehrspolitische Themen betreute. 2014 kandidierte sie für das Amt der Oberbürgermeisterin von München. Sie ist in zahlreichen Gremien aktiv, u.a. als Aufsichtsratsmitglied bei der sustainable AG und Mitglied im Fachbeirat beim Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) sowie als Mitglied im Beraterkreis der Fraport AG.
[1] Hüther, M. & Edenhofer, O. (2025): Klimaschutz hilft dem Standort. In: zeit.de, 28.01.2025.
[2] Statistisches Bundesamt (2025): Konjunkturindikatoren, Produktionsindex, verarbeitendes Gewerbe. Abrufbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Produktion/kpi112.html.
[3] BCG, IW & BDI (2024): Transformationspfade für das Industrieland Deutschland, Eckpunkte für eine neue industriepolitische Agenda. Abrufbar unter: https://bdi.eu/themenfelder/energie-und-klima/transformationspfade.
[4] McKinsey & Company (2021): Net-Zero Deutschland, Chancen und Herausforderungen auf dem Weg zur
Klimaneutralität bis 2045. Abrufbar unter: https://www.mckinsey.de/news/presse/studie-net-zero-deutschland-klimaneutralitaet-chancen-herausforderungen.
[5] Myllyvirta, L. & Qin, Q. (2024): Clean energy was top driver of China’s economic growth in 2023. Abrufbar unter: https://www.carbonbrief.org/analysis-clean-energy-was-top-driver-of-chinas-economic-growth-in-2023/.
[6] EDGAR (2024): GHG emissions of all world countries, 2024 Report. Abrufbar unter: https://edgar.jrc.ec.europa.eu/report_2024.
[7] Buckley, T., Dong, X. & Jonson, A. (2024): Green capital tsunami, China’s >$100 billion outbound cleantech investmentsince 2023 turbocharges global energy transition. Abrufbar unter: https://climateenergyfinance.org/wp-content/uploads/2024/10/final-_-CEF-Report-China-Outbound-FDI-2-October-2024-2.pdf.
[8] Brüggemann, A. et al. (2024): KfW-Klimabarometer 2024, Schwache Konjunktur dämpft Klimaschutzinvestitionen des Mittelstands – Großunternehmen sorgen dennoch für realen Zuwachs. Abrufbar unter: https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-Klimabarometer/KfW-Klimabarometer-2024.pdf.
[9] ebd.
[10] BCG, IW & BDI (2024)
[11] Witsch, K. & Müller, A. (2024): Warum Heizungsbauer sich in Kurzarbeit flüchten. In: Handelsblatt, 11.07.2024.
[12] Kraftfahrtbundesamt (2025): Neuzulassungen von Personenkraftwagen (Pkw) im Jahresverlauf 2024 nach Marken und alternativen Antrieben, Pressemitteilung Nr. 03/2025. In: www.kba.de, 16.01.2025.
[13] Tagesschau (2024): Krise bei Autokonzern, VW will laut Betriebsrat mindestens drei Werke schließen. In: tagesschau.de, 28.10.2024.