Sollten die massiven Zölle der Trump Administration auf Waren und Dienstleistungen aus der EU tatsächlich kommen, was ist dann die klügste Reaktion? So verständlich der Impuls ist, Stärke zu zeigen – es könnte wirtschafspolitisch klüger sein, nicht mit massiven Gegenzöllen zu reagieren. Andererseits gibt es staatspolitisch vielleicht keine andere Wahl. Dieser Text hier liefert ein paar Gedanken zur optimalen Gegenreaktion auf die Trump’schen Zölle aus wirtschaftspolitischer Sicht.
Unstrittig ist: Höhere Zölle schaden der Weltwirtschaft.
Dafür gibt es nicht nur theoretische, sondern auch historische Evidenz. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist der Smoot-Hawley Tariff Act von 1929, der ab 1930 in den USA angewandt wurde. Das Gesetz verschärfte die bereits eskalierende Weltwirtschaftskrise dramatisch. Zwischen 1930 und 1933 verzeichnete die US-Wirtschaft die schwersten Einbrüche ihrer Geschichte – das Bruttoinlandsprodukt sank um rund 45 % gegenüber 1929 in den einzelnen Jahren lag der Rückgang bei über 10%. Auch andere Volkswirtschaften litten erheblich unter den protektionistischen Maßnahmen der USA. 1934 ersetzte Präsident Roosevelt das Gesetz – als Teil seines „New Deal“ – und damit als Eingeständnis des Scheiterns der protektionistischen Zollpolitik.
Die Situation heute
Heute lassen sich Parallelen zur damaligen Situation erkennen. Die Zollpolitik der Trump-Administration basiert weniger auf ökonomischer Rationalität als auf einer ideologisch motivierten Ablehnung von Handelsdefiziten. Heute wurde bekannt, dass Trump selbst auf Filme aus Europa Zölle in Höhe von 100% erheben möchte, obgleich es in Europa nichts gibt, was auch nur annähernd wettbewerbsfähig ist mit der Filmindustrie aus Hollywood. Das Ziel von Trump scheint eine wirtschaftliche Autarkie der USA zu sein – auf Kosten der internationalen Arbeitsteilung und der wirtschaftlichen Partner. Dabei ist seit David Ricardo klar: Arbeitsteilige Volkswirtschaften, die sich auf ihre komparativen Vorteile spezialisieren, sind nicht nur effizienter, sondern auch wohlhabender. Freihandel bringt in der Regel allen Beteiligten langfristig Nutzen.
Dennoch will Donald Trump internationale Produktionsketten aufbrechen und möglichst viele Produktionsschritte zurück in die USA holen – notfalls durch Druck mittels Zöllen. Das ist ein Denken aus den 30er Jahren. Ökonomisch ist es unsinnig, aber es reduziert Komplexität, wenn der internationale Handel vermieden wird. Ein Argument, welches den Wählerinnen und Wählern von Trump vielleicht zusagt.
Risiken und Chancen für Europa
Für Europa birgt die amerikanische Abschottung allerdings zwei Risiken:
- Zum einen werden exportstarke Branchen direkt durch die Zölle belastet.
- Zum anderen entsteht ein Anreiz für europäische Unternehmen, Produktionsstandorte in die USA zu verlagern um Zölle zu umgehen – und gleichzeitig von freiem Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu profitieren. Gegenzölle könnten hier als wirtschaftspolitisches Gleichgewicht dienen, indem sie solchen Standortverlagerungen ihren Reiz nehmen.
Gleichzeitig ist aber Unsicherheit das schlimmste Gift für Direktinvestitionen in einem anderen Land. Und die wird durch die erratische Politik der Trump Administration derzeit angefacht. Die EU tut gut daran, auch wirtschaftlich, weiterhin verlässlich und vertragstreu zu agieren. Daraus ergeben sich beträchtliche Chancen, denn mehr als 80% des Welthandels findet ohne Beteiligung der USA statt. Und die EU ist mit den USA und China der größte Wirtschaftsraum der Erde. Ein interessantes Beispiel zum Umgang mit der Trump’schen Politik ist die Schweiz. Sie verzichtet bisher auf Gegenzölle – selbst angesichts besonders harter Maßnahmen. Schweizer Exporte sind sogar stärker betroffen als die der EU: Die USA planen Zölle von 31% auf Schweizer Produktedeutlich mehr als für europäische Waren. Sollte das aktuell laufende Zollmoratorium nicht verlängert werden, würden diese Maßnahmen ab dem 8. Juli 2025 wieder in Kraft treten.
Gegenzölle oder Freihandel mit dem Rest der Welt?
Was ist nun klüger: Gegenzölle oder Festhalten am Ricardo’schen Prinzip der komparativen Vorteile? Ein aktueller Bericht der Welthandelsorganisation (WTO), der „Global Trade Outlook 2025“, analysiert die möglichen Folgen der aktuellen Entwicklung im weltweiten Handel. In vier Szenarien simuliert die WTO die Auswirkungen eines sich ausweitenden globalen Handelskonflikts – vom einseitigen US-Zollregime bis hin zu einem umfassenden Zollkrieg mit Reaktionen aller Handelspartner:
- Einseitige US-Zölle auf Waren aller Handelspartner (+25 %)
- Höhere Zölle gegen China (145 % USA / 125 % China) plus Gegenzölle aus Kanada
- Reziproke Zölle aller Handelspartner
- Zusätzliche Zollmaßnahmen gegen Umgehungseffekte, z. durch China und die EU (inkl. 20 % EU-Zoll auf chinesische Autos von 2025–2029)
Der WTO Global Trade Outlook 2025
Das Ergebnis ist bemerkenswert: Schon im mildesten Szenario (1) rechnet die WTO mit rezessiven Effekten für Nordamerika. In Szenario 4 – bei umfassender Eskalation – drohen den USA BIP-Einbrüche von über 10 % pro Jahr ab 2026, vergleichbar mit der Situation in den 1930er-Jahren.
Europa hingegen könnte – zumindest im Szenario (1) – ungeschoren davonkommen oder sogar leicht profitieren: Über 80 % des Welthandels finden außerhalb der USA statt. Wenn Europa seine Handelsbeziehungen diversifiziert, etwa durch ein Freihandelsabkommen mit Indien, oder sich an der Schweiz orientiert, die seit Jahren ein sehr erfolgreiches Abkommen mit China unterhält, wären die Wachstumseinbußen für Europa gering oder sogar neutral. Hinzu kommen sekundäre Effekte: Eine durch US-Rezession ausgelöste Nachfrageschwäche würde die Ölpreise und die Inflation senken, was niedrigere Leitzinsen nach sich ziehen könnte – mit stimulierender Wirkung.
Auch in der Zinspolitik hat Europa derzeit einen Vorteil
Interessant ist in diesem Zusammenhang übrigens auch der Blick auf die Zinspolitik. Gerade weil bis vor Kurzem ein weiterer Konflikt in den USA zu beobachten war und zwar zwischen dem Chairman der Federal Reserve in den USA Jerome Powell und Donald Trump. Seit Mai 2023 sinken die amerikanischen Leitzinsen – am 18.12.2024 wurden der Notenbankzins in den USA zum bisher letzten Mal auf 4.5% gesenkt. Donald Trump wünscht sich allerdings schneller sinkende Leitzinsen und drohte kürzlich damit, die Unabhängigkeit der US Notenbank zu umgehen und Jerome Powell zu entlassen. Powell allerdings pocht auf die Unabhängigkeit der Zentralbank und möchte die Zinsen vorerst unverändert belassen. Aus gutem Grund. Denn anders als in Europa, steigen in den USA gleichzeitig die kurzfristigen (1Y) und langfristigen (10Y) Renditen, obwohl der Zentralbankzins sinkt. Das kann entweder auf Inflationsgefahren hinweisen, oder auf zunehmende fiskalische Unsicherheit, oder auf eine Mischung aus beidem.
In Europa ist die Zinsstruktur dagegen stabiler – der Zinsspread zu den USA liegt derzeit bei rund 200 Basispunkten. Im Moment „flieht“ das Geld weg von den USA und hin nach Europa, was sich auch an den Aktienmärkten ablesen lässt. Eine Situation, wie sie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr zu beobachten war; bisher waren die USA und der US-Dollar als Welt-Leitwährung immer der so genannte „safe haven“, also der sichere Hafen. Für den US Dollar sind das keine guten Nachrichten, denn er droht seinen Status als Welt-Leitwährung zu verlieren. Mit potenziell gravierenden Effekten für den Welthandel, der sich zunehmend in andere Währungen verlagern könnte. Dabei ist der Euro sicherlich ein alternativer Kandidat. Und er wäre es noch mehr, wenn man in Europa einen einheitlichen Kapitalmarkt schaffen würde anstelle vieler, fragmentierter, nationaler Kapitalmärkte.
Europa kann durch eine kluge Reaktion stärker werden, denn Amerika macht zur Zeit volkswirtschaftliche Fehler
Was die WTO-Szenarien aber auch zeigen: Wenn Europa aktiv mit Gegenzöllen reagiert, steigen die negativen Effekte für Europa spürbar – wenn auch weniger stark als in den USA. Und die Gefahr einer Kaskade gegenseitiger Vergeltungsmaßnahmen wächst: So hat China Indien in diesen Tagen gewarnt, dass es reagieren werde, sollte Indien durch Abkommen mit Europa oder den USA chinesische Interessen unterlaufen. Eine Eskalation, die sich der Kontrolle entzieht, könnte am Ende auch Europa erheblich schaden.
Am Ende steht fest: Das beste Szenario wäre, wenn Donald Trump seine Zölle nicht nur gegenüber Europa, sondern auch gegenüber China zurücknimmt. Und man weiß bei Trump ja nie genau, ob nicht sogar das möglich ist. Bis dahin ist es klug, wenn die EU ihr handelspolitisches Arsenal offenlegt – glaubwürdig droht, aber mit Maß agiert. Denn auch wenn Europa militärisch und geopolitisch derzeit nicht mit den Großmächten gleichzieht, handelspolitisch ist es den USA und China ebenbürtig.
Die Devise muss lauten: Stärke zeigen – ohne den Fehler zu begehen, ebenfalls in protektionistische Kurzschlüsse zu verfallen.
#: Dies ist die Zusammenfassung eines Vortrags des Autors bei der Kühne und Nagel Deutschland AG am 23.4.2025
Prof. Dr. Markus Rudolf ist seit 1998 Ordinarius und Inhaber des Lehrstuhls für Finanzwirtschaft an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Außerdem ist er Leiter des WHU Centers of Asset and Wealth Management. Zuvor promovierte er und habilitierte sich an der Universität St. Gallen. Seine jüngsten Publikationen beschäftigen sich mit der Eurokrise, mit Banking, mit Asset und Risk Management sowie mit der Bewertung von Derivaten. Er ist Mitglied des Redaktionsausschusses der Zeitschrift „Financial Markets and Portfolio Management“ und akademischer Direktor der Campus for Finance – WHU New Year’s Conference. Zudem hat er eine Position als Vorsitzender des Aufsichtsrates bei der Böker & Paul AG inne und er war Mitglied des Aufsichtsrates bei der BlackRock Asset Management Deutschland AG zwischen Juni 2008 und März 2016. Von 2009 bis 2014 war er stellvertretender Rektor sowie von Januar 2015 bis April 2023 Rektor der WHU.