Ökologische Nachhaltigkeit als Daseinsvoraussetzung und Testfall wirtschaftlich sowie sozial erfolgreicher Gesellschaften

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Die Natur sichert die Grundlagen unseres Lebens, Wirtschaftens und unserer Gesellschaften. Ihre Kräfte können die Grundlagen unseres Lebens, Wirtschaftens und unserer Gesellschaften aber auch massiv beeinträchtigen oder gar zerstören. Diese grundlegende Einbettung unseres Daseins in die Natur darf angesichts der vielfältigen aktuellen Herausforderungen für Wohlstand und Sicherheit nicht aus den Augen verloren werden.

Auch wenn die Gefährdungen unserer natürlichen Lebensgrundlagen im Grundsatz äußerst vielfältig und zum Teil sehr lokaler Natur sind, haben sich neun globale Herausforderungen als besonders bedeutsam herauskristallisiert, die vor allem unter dem Begriff „Planetare Grenzen“ bekannt geworden sind. Dies sind die globale Erderhitzung, die Gefährdung der Biodiversität, der Eintrag neuartiger Stoffe in die Natur (Mikroplastik and andere synthetische Chemikalien), die Übernutzung der Landressourcen (v.a. durch Entwaldung), die massive Veränderung biogeochemischer Kreisläufe (v.a. durch massive Phosphor- und Stickstoffeinträge), die Belastung der Süßwasserressourcen, die Versauerung der Meere, die massive Luftverschmutzung sowie die Zerstörung der Ozonschicht. Mit Ausnahme von drei dieser Grenzen (Ozonschicht, Luftverschmutzung, Versauerung der Meere) ist die Situation heute in sechs Bereichen bereits kritisch, teilweise sogar in hochkritischen Größenordnungen.

Die entsprechenden Veränderungen sind fast durchgängig durch sehr hohe Geschwindigkeiten gekennzeichnet. Während 2009 nur für drei der neun globalen Problemfelder (Klimaveänderungen, Biodiversität, Stickstoff- und Phosphoreinträge) kritische Belastungen bilanziert wurden, sind es 2015 bereits vier (nun einschließlich Landnutzungsänderungen) und 2023 sechs. Aber auch bei der Versauerung der Meere nähern sich die Belastungen in den letzten Jahren rasch kritischen Werten. Diese rasche Problemzunahme und die teilweise hohe Trägheit der Veränderungsprozesse wie auch der möglichen Gegenmaßnahmen sind besorgniserregend, die verbleibenden zeitlichen Ressourcen sehr begrenzt.

Sowohl die Ursachen als auch die Folgen der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sind häufig und zumindest in den ersten Phasen eher regionaler Natur, global sind hier vor allem die Vermittlungsmechanismen zwischen Ursachen und Folgen. Eine der wenigen Ausnahmen im Bereich des Klimawandels ist China, das heute weltweit der größte Emittent von Treibhausgasen ist, aber auch zu den Staaten gehört, die von den Folgen der Erderwärmung am stärksten betroffen sind bzw. sein werden.

Gerade die Klimaveränderungen sind ein zentraler Kulminationspunkt der planetaren Grenzen. Er wird einerseits durch einige der oben genannten Bereiche vorangetrieben (Entwaldung und andere Landnutzungsänderungen, Stickstoffemissionen), andererseits ist er ein massiver Treiber für andere Prozesse (Versauerung der Meere, Belastung der Süßwasserressourcen, Zerstörung der Biodiversität) oder steht in anderer Weise mit ihnen in Verbindung (Mikroplastik, Abbau der Ozonschicht durch klimawirksame Gase). Eine ungebremste Erhitzung des Weltklimas hat unter anderem gravierende Auswirkungen auf Siedlungsräume, die menschliche Gesundheit, die Nahrungsmittelproduktion, die Süßwasserversorgung, extreme Wetterereignisse und damit direkt oder indirekt auch auf die wirtschaftliche Produktivität, Migrationsbewegungen, den sozialen Zusammenhalt sowie die innergesellschaftliche und internationale Sicherheit. Zur Veranschaulichung: Aktuelle Schätzungen der Wohlstandsverluste durch ungebremsten Klimaveränderungen ergeben eine Bandbreite von 11 bis 29% bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, also Werte, die die Kosten einer deutlichen Begrenzung der Erderhitzung um ein Mehrfaches übersteigen dürften. Nur extrem verantwortungslose Ignoranten können annehmen, dass dies nicht zu gravierenden und teilweise nicht mehr beherrschbaren Dynamiken in unseren Gesellschaften, Wirtschaftssystemen oder im internationalen Kontext führen dürfte.

Die Rezeption der globalen Klimaveränderungen als eines der drängendsten Probleme der Menschheit ist inzwischen weltweit jenseits kleiner, wenn auch lautstarker Kreise von Klimaleugnern ein sehr breiter Konsens. Die Optionen zur Begrenzung des Klimawandels auf gerade noch akzeptable Bandbreiten sind bekannt, zu einem großen Teil bereits heute verfügbar, weitgehend unstrittig (effizientere Energie- und Ressourcennutzung, regenerative Energieerzeugung, Elektrifizierung, Nutzung von Wasserstoff und daraus gewonnenen Stoffen als Energieträger oder Industrierohstoff, unterirdische Speicherung von sonst nicht vermeidbarem Kohlendioxid) und nur in wenigen Bereichen wegen anderweitiger Risiken noch hoch umstritten (Kernenergie, Geoengineering etc.).

Die eigentlichen Herausforderungen ergeben sich jedoch aus den vielfältigen strukturellen Veränderungen, die mit den meisten Klimaschutzoptionen verbunden sind. Ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Dimensionen des Strukturwandels ist daher eine zentrale Voraussetzung für wirksame Strategien zur Begrenzung der Klimaveränderungen:

  • Die anstehenden Veränderungen sind ganz überwiegend durch den Übergang zu sehr kapitalintensiven Technologien geprägt (erneuerbare Energien, Energieeffizienz, elektrische Anwendungen etc.). Damit entsteht auch unter Maßgabe sehr überschaubarer (Zusatz-)Kosten des Klimaschutzes die Notwendigkeit hoher Vorfinanzierungsaufwendungen. Für weniger wirtschaftsstarke Staaten oder Regionen entstehen dadurch erhebliche Herausforderungen, zudem kann der Übergang zu kapitalintensiven Strukturen Herausforderungen im internationalen Wettbewerb entstehen lassen und ist wegen der begrenzten Finanzierungsfähigkeiten ärmerer Bevölkerungsschichten tendenziell sozial regressiv. Der im Übergang entstehende „Investitionsberg“ muss bewältigt werden, entsprechende politische Flankierungen und Verteilungspolitiken sind unabdingbar. Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Investitionsfenster von Bedeutung. Eine kostengünstige Transformation ist nur möglich, wenn sie sich in die vorfindlichen Erneuerungszyklen einfügt. Dadurch können für langlebige Kapitalstöcke (Gebäude, Industrieanlagen, Verkehrsinfrastrukturen etc.) bereits in einer frühen Phase vergleichsweise teure Maßnahmen erforderlich werden. Um die mit dieser Entwicklung einhergehenden Herausforderungen zu meistern, ist ein vorausschauender Politikmix erforderlich, der sich nicht nur auf Finanzierungsaspekte beschränkt. Es bedarf vielmehr einer sorgfältigen Berücksichtigung von Verteilungseffekten, Wettbewerbsfähigkeit, den Möglichkeiten und Grenzen der Bepreisung von Emissionen sowie einer intensiven internationalen Zusammenarbeit.
  • Die Standortbedingungen und damit die regionalen Strukturen der Energieerzeugung werden sich verändern. Dies hat Konsequenzen für die Attraktivität unterschiedlicher Wirtschaftsstandorte, sowohl im nationalen oder europäischen Rahmen als auch im globalen Kontext. Regionale und internationale Wertschöpfungsstrukturen und -ketten werden sich deutlich verändern. Hier entsteht die Notwendigkeit einer aktiven politischen Gestaltung, insbesondere im transnationalen Raum. Gerade hier müssen veränderte Wertschöpfungsstrukturen und -ketten mit Blick auf die wirtschaftliche und politische Resilienz sorgfältig reflektiert werden. Dies ist umso bedeutsamer, als die Gefahr einer weiteren Erosion regelbasierter Beziehungen zwischen Staaten und Wirtschaftsräumen unübersehbar geworden ist. In diesem Zusammenhang wird eine aufgeklärte Industriepolitik eine zentrale Rolle spielen müssen.
  • Wichtige Klimaneutralitätsoptionen durch eine sehr starke Infrastrukturbindung gekennzeichnet. Entsprechende Entscheidungen müssen für das Energiesystem getroffen werden (Ausbau der Strom-, Wasserstoff-, Wärme- und CO2-Netze, Umnutzung und ggf. Stilllegung von Gasnetzen), betreffen Transportinfrastrukturen (Schienenverkehr, Häfen etc.) und nahezu alle Transformationsbereiche sind an die Verfügbarkeit leistungsfähiger digitaler Infrastrukturen gebunden. Zentrale Weichenstellungen bei Infrastrukturen müssen mit langem Vorlauf getroffen werden, Technologieoffenheit findet somit ihre Grenzen auch mit Blick auf die benötigten Infrastrukturen.
  • Der technologische Strukturwandel führt in vielen Bereichen zu einer deutlichen Zunahme an Vielfalt und Dezentralität, was zu einem signifikant erhöhten Koordinationsbedarf in Energie-, Industrie- und Transportsystemen führt. In diesem Zusammenhang werden Preissignale und Märkte eine entscheidende Rolle spielen müssen. Allerdings ist zu beachten, dass Märkte zwar effiziente Instrumente zur kurzfristigen Systemoptimierung sind, jedoch auch notorisch kurzsichtig sind und teilweise erhebliche Verteilungseffekte bewirken. Infolgedessen wird das sorgfältige Design von Märkten und die Konzipierung eines auch diesbezüglich umfassend gedachten und begründeten Politikmixes zunehmend zu einer politischen Gestaltungsaufgabe.
  • Die Notwendigkeit, vielfältige und in kurzer Zeit notwendige Veränderungen zu bewerkstelligen, die die Bürger:innen bzw. Konsument:innen auf sehr unterschiedliche Weise in hohem Maße betreffen, führt zur Herausbildung einer neuen Akzeptanzsensitivität der Veränderungsprozesse, insbesondere, aber keineswegs nur in demokratisch verfassten Gesellschaften. Einerseits kann dies die notwendige Transformation verlangsamen (und in einigen Bereichen auch verteuern), andererseits eröffnet es die Möglichkeit, robustere und nachhaltigere Strukturen zu schaffen. Die Bewältigung der Energiewende bildet in diesem Zusammenhang auch einen Testfall für die Vorteilhaftigkeit und Attraktivität demokratischer Strukturen.

In Ergänzung zu diesen Dimensionen des Strukturwandels ergibt sich nicht zuletzt die übergreifende Frage der internationalen Einbettung. Deutschland verursacht unbestritten nur 1,3 % der globalen Treibhausgasemissionen bzw. 1,5 % der fossilen CO2-Emissionen. Es existieren jedoch 197 Staaten auf der Welt, die für (deutlich) geringere Beiträge zum globalen Ausstoß von Treibhausgasen stehen, wobei die meisten von ihnen geringere Anteile hinsichtlich der historischen Verantwortung an den bereits sichtbaren Klimaveränderungen aufweisen. Ohne deutliche Beiträge vieler dieser Staaten wird jedoch globaler Klimaschutz nicht gelingen können. Auch ist Deutschland der größte Mitgliedstaat der Europäischen Union, die an vierter Stelle der globalen Großemittenten steht und auch über erhebliche wirtschaftliche und innovationsseitige Kapazitäten verfügt. Neben dieser Verantwortungsdimension sind auch Eigeninteressen hoch relevant: Klimaschutz und Ressourcenschonung gehören zu den wichtigsten technologischen Wachstumsmärkten. Die entsprechende Positionierung Deutschlands und Europas wird nicht nur für die Sicherung unserer natürlichen Lebensgrundlagen mitentscheidend sein, sondern auch mit Blick auf die Perspektiven für Wohlstand und Sicherheit durch Innovation und wirtschaftliche Zukunftsorientierung, jedoch auch und keineswegs zuletzt für aufgeklärte Resilienz- Industrie- und Standortpolitik sowie gesellschaftlichen Ausgleich und soziale Stabilität.

 

Dr. Felix Christian Matthes ist Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik beim Öko Institut.