Vom Green zum Clean Industrial Deal – Bedeutung und Gestaltung der Energiewende für die Wettbewerbsfähigkeit der EU

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Der Schwung, mit dem die vorherige Legislaturperiode im Jahr 2019 auf europäischer Ebene energie- und klimapolitisch gestartet ist, ist gesamtwirtschaftlicher Unsicherheit gewichen. Der Green Deal war als ein Programm nicht nur zur Begegnung der Herausforderungen des Klimawandels, sondern explizit auch zur Unterstützung unserer industriellen und wirtschaftlichen Stärken und Gewährleistung unserer Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft implementiert. Corona-Krise sowie der Ukraine-Krieg und die damit verbundene Energiepreiskrise, aber auch die erheblichen Störungen des Welthandels von in der Pandemie unterbrochenen Lieferketten bis hin zur grundsätzlicheren Infragestellung des freien Welthandels unter der Trump-Regierung, haben die Rahmenbedingungen verändert. Aber auch unabhängig davon haben sich tiefergehende Parameter der Wettbewerbsfähigkeit Europas bereits seit etlichen Jahren zunehmend verschoben und wurden infolge der Krisen nur noch deutlicher sichtbar.

Detailliert analysiert werden sie u.a. in dem von der Europäischen Kommission in Auftrag gegebenen sog. Draghi-Bericht. Neben einer veränderten geopolitischen Lage zählen dazu u.a. eine wachsende Innovationslücke im Vergleich zu den USA und ein nach wie vor zu fragmentierter Binnenmarkt, einschließlich des Kapitalmarktes. Damit verbunden sind der zunehmende Verlust an Technologieführerschaft vor allem im Clean Tech Bereich und strategische Abhängigkeiten in Bezug auf Rohstoffe und Teile von Wertschöpfungsketten. Letzteres wird gerade auch bei den Abhängigkeiten im Energiesektor sehr deutlich. Hervorgehoben werden die in der EU gegenüber anderen Weltregionen zum Teil deutlich höheren Energiepreise, die die europäische Industrie unter Druck setzen. Herausforderungen in Bezug auf Infrastrukturen sowie Digitalisierung und demografische Entwicklungen kommen erschwerend hinzu. Auch wenn zur Ursachenanalyse und Abhilfemaßnahmen in Bezug auf den Energiesektor einige Aussagen des Berichts zu hinterfragen sind, so ist die oben beschriebene Lagebeschreibung zutreffend.

Durch alle Krisen hindurch wurde und wird zu Recht konsequent die Dekarbonisierungsagenda als die entscheidende Strategie zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit Europas verfolgt. Die Transformation des Energiesektors steht hier im Zentrum, mit insbesondere dem verstärkten und beschleunigten Ausbau von Erneuerbaren Energien und Netzinfrastruktur.

Aber auch Maßnahmen zu Diversifizierung von Lieferketten und zum Schutz von Industrie und Wertschöpfungsstufen in Europa werden zunehmend verfolgt. Dies kann in der Phase der Transformation zusätzliche Belastungen für Haushalte bedeuten und Kostenstrukturen erhöhen, z.B. bei Schaffung sogenannter Leitmärkte (z.B. Vorgaben von Quoten oder Ausschreibungskriterien wie z.B. im Net-Zero-Industry Act)

Die Herausforderung ist, die bestehenden Zielkonflikte zwischen für die Transformation erforderlichen erheblichen Investitionen, Versorgungssicherheit, Stärkung der heimischen Produktion und möglichst geringen Energiepreisen in Einklang zu bringen.

Clean Industrial Deal und Affordable Energy Action Plan als Balance-Akt

Die Kommission verfolgt hierzu mehrere Ansätze, die wesentlichen sind in der zusammenfassenden Mitteilung zum „Clean Industrial Deal“ vom 26. Februar 2025 aufgeführt, begleitet durch einen Aktionsplan zur Sicherstellung erschwinglicher Energie.

Allem voran betont die Kommission erneut, dass die Verfolgung der Klimaneutralität bis 2050 weiterhin von herausragender Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit Europas und der Welt ist. Dies wird von der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten wie auch im Europäischen Parlament gestützt. Allerdings soll der Fokus auf konkreter Unterstützung in der Umsetzung liegen und die Herausforderungen entlang der Wertschöpfungsstufen angegangen werden. Damit ist der Clean Industrial Deal mit seinem starken Fokus auf Wettbewerbsfähigkeit keine Abkehr von der Dekarbonisierungsagenda, sondern vielmehr eine übergreifende, Klima und Wettbewerbsfähigkeit zusammenfassende Strategie. Ziel ist es, eine zunehmend nachhaltige und resiliente Produktion in Europa zu fördern, insbesondere für die energieintensive Industrie und den Clean-Tech Sektor. Dabei verfolgt die Kommission richtigerweise einen breiten Ansatz wie nachfrageseitige Schaffung von Leitmärkten, Stärkung von globalen Märkten sowie internationale Partnerschaften, Unterstützung von Kreislaufwirtschaft und Zugang zu Rohstoffen, Förderung von Kompetenzen und Qualifikationen sowie Erweiterung von Finanzierungsmöglichkeiten.

Die Senkung der Energiekosten wird ebenso als zentrale Herausforderung und entscheidender Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Weltregionen adressiert. Ein gleichzeitig mit dem Clean Industrial Deal vorgelegter „Aktionsplan für erschwingliche Energie“ führt im Detail die prioritär zu verfolgenden Maßnahmen aus. In vier Säulen und acht Maßnahmen aufgeteilt zielt er darauf ab, Energiekosten direkt zu senken, die Energieunion zu vertiefen, Investitionen anzuziehen und besser auf mögliche Energiekrisen vorbereitet zu sein.

Klar ist, dass insbesondere unter den Belastungen der Energiekrise, die zwar deutlich gesunkenen, aber immer noch über dem Vorkrisenniveau liegende Energiepreise eine Belastung für Teile der Industrie und Verbraucher darstellen. Die Krise ist zwar weitgehend überwunden, die Bezugswege insbesondere für Erdgas diversifiziert, aber größere preisdämpfende Bezugsmengen vor allem aus den USA sind erst ab etwa 2027 zu erwarten. Die Erhöhung des Angebots an Erneuerbaren Energien und deren effiziente Integration in das Energiesystem stellen weiterhin zu Recht einen zentralen Baustein in der Transformation dar. Gemeinsam mit einem schnelleren Wasserstoffhochlauf sowie einem deutlich beschleunigten Netzausbau und ein Mehr an Flexibilitäten wird das dazu beitragen, Energiepreise langfristig und nachhaltig wettbewerbsfähig zu halten. Eine solche Energieversorgung ist perspektivisch günstiger als ein vornehmlich auf fossilen Energien basierendes System.

Der Energiesektor muss Investitionen stemmen können

So richtig es ist, Energiepreise als wichtiges Wettbewerbselement im Blick zu haben, so sehr muss berücksichtigt werden, dass der Energiesektor selbst vor erheblichen Transformations- und damit Investitionsherausforderungen steht. Allein in Deutschland werden in der Energiewirtschaft bis 2030 etwa 720 Milliarden Euro an Investitionen benötigt. Gleichzeitig ist es dringend erforderlich, die Transformationskosten und damit auch die Belastung für alle Verbraucherinnen und Verbraucher so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist eine differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Belastungen der Abnehmer und mögliche Abhilfemaßnahmen.

Richtigerweise führt der Aktionsplan für erschwingliche Energie als einzige kurzfristige Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise die Senkung der Energiesteuern durch die Mitgliedstaaten auf das EU-zulässige Minimum an sowie direkte Zuschüsse zu Netzentgelten. Die befürchteten stärkeren Eingriffe in die Preisbildung im Energiemarkt sind nicht vorgesehen, auch wenn sie in der politischen Diskussion immer wieder angebracht werden. Markteingriffe wie Preisobergrenzen oder sonstige Maßnahmen im Preisgefüge sind schädlich, weil sie die Kosten für die umsetzenden Unternehmen erhöhen und die Investitionsfähigkeit des Sektors reduzieren. Sie führen damit insgesamt zu höheren Systemkosten. Das Vertrauen in die Märkte und Marktprozesse muss unbedingt aufrechterhalten werden. Der derzeitige Preisbildungsmechanismus am Strommarkt als effiziente Zusammenführung von Angebot und Nachfrage (Merit Order) muss in seiner Funktionsweise unberührt bleiben.

Weitere mögliche stützende Maßnahmen insbesondere für energieintensive Industrien müssen außerhalb des Energiemarktes erfolgen bzw. negative Wechselwirkungen vermieden werden. Zu berücksichtigen ist auch, dass Betroffenheiten auf der Verbraucherseite je nach Energieintensität und Flexibilitätsoptionen sehr unterschiedlich sind. Anreize für die Industrien und Betriebe, die Flexibilitäten heben können, sollten aufrechterhalten werden.

Entscheidend ist, die Systemkosten in Aufbau und Betrieb weitmöglich zu senken, den Zugang zu Kapital zu verbessern und den Binnenmarkt weiter auszubauen. Insbesondere beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Netzinfrastruktur sowie von steuerbaren Leistungen, Flexibilitäten und Speichern werden Kosten- und Systemeffizienz an Bedeutung gewinnen. Eine große Herausforderung ist, die Nachfrageentwicklungen für die einzelnen Energieträger zu prognostizieren, um davon den Netz- bzw. Leitungsbedarf, aber auch den Angebotsbedarf abzuleiten. Es wird verstärkt wichtig, langfristige Planungssicherheit für die erheblichen Investitionen zu geben, andererseits aber in kürzeren Abständen Anpassungen an die realen Entwicklungen zu ermöglichen. Insgesamt gilt es, insbesondere bei der Infrastrukturplanung, kurzfristige Optimierung und langfristige Kosteneffizienz abzuwägen. Hier sind viele Hausaufgaben auf nationaler Ebene zu machen.

Auf europäischer Ebene sollte eine schnelle und pragmatische Implementierung des bisher Beschlossenen im Vordergrund stehen. Insbesondere bei der Ermöglichung des Hochlaufs des Wasserstoffmarktes ist dringend als Grundvoraussetzung eine handhabbare Definition von erneuerbarem und kohlenstoffarmem Wasserstoff erforderlich, der die Erzeugung bzw. den Import nicht übermäßig verteuert oder de facto unmöglich macht.

Es ist ferner unabdingbar, die Bürokratie im Energiebereich spürbar abzubauen. Hier sind erste wichtige Schritte auf europäischer Ebene eingeleitet.

Die ständige Abwägung zwischen verschiedenen Zielkonflikten und der gegensätzlichen Wirkungen einzelner Instrumente bleibt eine Herausforderung. Anpassungen am Kurs bleiben immer wieder erforderlich, die Grundrichtung aber stimmt.

 

 

Viola Rocher, Leiterin/Geschäftsführerin der EU-Vertretung des BDEW in Brüssel