Die Wohlstandsindikatoren soziale Teilhabe und Klima- und Umweltschutz sind nur zusammen ein Erfolgsrezept

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Eine Perspektive des Sozialverbands VdK

In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte wird der Klimaschutz häufig als unvereinbar mit sozialer Gerechtigkeit dargestellt. Insbesondere wird oft die Frage aufgeworfen, wie ein funktionierender Sozialstaat und ein ambitionierter Klimaschutz gleichzeitig organisiert, kommuniziert und finanziert werden können – insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und eines stagnierenden Wirtschaftswachstums. Vertreterinnen und Vertreter von Umwelt- und Sozialbewegungen werden mit dem Argument konfrontiert, dass beides – Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit – in Zeiten, in denen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) weiterhin als maßgeblicher Wohlstandsindikator gilt, ein echtes Luxusproblem seien. Umso wichtiger ist es, dass in aktuellen Debatten eine größere Bandbreite an Wohlstandsindikatoren beleuchtet werden.

Als Sozialverband VdK, der 2,3 Millionen Mitglieder vertritt, gehen wir in unserer politischen Arbeit davon aus, dass neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch die soziale Teilhabe, eine intakte Umwelt, eine aktive Außen- und Geopolitik, sowie die Qualität der Demokratie essenziell sind, um den Wohlstand einer Gesellschaft zu bewerten.  In diesem Beitrag soll im Besonderen auf die Interdependenz der beiden Dimensionen soziale Teilhabe und intakte Umwelt eingegangen werden. Verfolgen wir heute die öffentlichen Diskussionen, wie sich politisch Verantwortliche und Teile der Wirtschaft überbieten im Rufen nach mehr Förderung und weniger Regulierung für die Unternehmen, so sehen wir, dass der Blick – noch immer – eher eindimensional auf das Wirtschaftswachstum gerichtet wird.

Das Primat des Wirtschaftswachstums als vermeintlich einzigem Indikator für Wohlstand zeigt sich in der oft wiederholten Forderung, dass der Staat in Krisenzeiten bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und sozialer Gerechtigkeit kürzertreten müsse. Dies verkennt jedoch die Relevanz dieser beiden wesentlichen Wohlstandsindikatoren und führt zu einer falschen Dichotomie, in der Umweltschutz und soziale Teilhabe – insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen – als unvereinbare Ziele dargestellt werden. Als Sozialverband VdK, dessen Mitglieder, wie alle anderen Menschen auch, unter den sozialen Folgen des Klimawandels leiden, vertreten wir eine andere Perspektive: Für eine nachhaltige, zukunftsfähige Gesellschaft müssen Klima- und Sozialpolitik als gleichwertige Ziele miteinander verbunden werden und höchste Priorität haben. Nur so kann Wohlstand in seiner wahren Bedeutung gefördert werden –durch wirtschaftliches Wachstum im Einklang mit sozialer Sicherheit auf einem langfristig lebenswerten Planeten.

Der vermeintliche Zielkonflikt zwischen Klima- und Sozialpolitik

Oft wird der Zielkonflikt zwischen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit als unüberwindbar dargestellt, da beide Ziele auf den ersten Blick verschiedene Interessengruppen betreffen und unterschiedliche politische Prioritäten setzen. Klimaschutz erfordert weitreichende Veränderungen in der Gesellschaft, angefangen bei der Reduktion von CO2-Emissionen bis hin zur Umstellung auf nachhaltigere Produktionsweisen und Konsummuster. Diese Maßnahmen kosten Geld und erfordern oft tiefgreifende Eingriffe in bestehende Infrastrukturen und Wirtschaftsstrukturen.

Im Gegensatz dazu zielt die soziale Teilhabe darauf ab, allen Menschen Zugang zu den Ressourcen und Chancen zu verschaffen, die sie benötigen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Dies bedeutet unter anderem, die Lebensbedingungen der sozial benachteiligten Gruppen zu verbessern, Diskriminierung und Ausgrenzung zu bekämpfen und den Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und einer gesicherten Existenz zu gewährleisten. Auf den ersten Blick könnten diese beiden Ziele als miteinander konkurrierend erscheinen – ein Umdenken in der Gesellschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit erscheint zunächst als Wohlstandsverlust, vor allem für die gesellschaftlichen Gruppen, die zu niedrigen Löhnen arbeiten, die Sozialleistungen beziehen, die aufgrund einer Behinderung keinen Zugang in den Arbeitsmarkt finden oder erwerbsgemindert sind. Durch höhere Energiepreise, steigende Kosten für den Umbau von Gebäuden oder den Umstieg auf umweltfreundliche Technologien, werden diese Gruppen finanziell gefordert und haben strukturelle Nachteile.

Ein Beispiel für diesen Zielkonflikt ist die Mobilität. Der Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Elektrofahrzeuge ist eine wichtige Maßnahme im Klimaschutz. Doch für Menschen mit geringem Einkommen oder eingeschränkter Mobilität – etwa ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen – stellt dieser Wandel eine erhebliche Hürde dar. Sie sind stand heute noch auf einen Individualverkehr angewiesen. Dies gilt auch für Menschen im ländlichen Raum. Während in großen Städten die Infrastruktur für alternative Mobilitätslösungen wie Carsharing oder Fahrräder zunehmend ausgebaut wird, sind diese Lösungen auf dem Land oft nicht verfügbar, und die Umstellung auf Elektromobilität ist für Haushalte ohne finanzielle Rücklagen ohne staatliche Förderung schlichtweg unerschwinglich.

Ein weiteres Beispiel betrifft den Wohnbereich. Die energetische Sanierung von Gebäuden zur Reduzierung von CO2-Emissionen ist ein zentrales Element der Klimapolitik. Doch für viele Menschen bedeutet dies eine zusätzliche finanzielle Belastung. Die Sanierungskosten werden oft den Vermieterinnen und Vermietern auferlegt, die sie dann auf die Miete umlegen – was die Wohnung für finanziell benachteiligte Haushalte noch weniger erschwinglich macht. Aber auch vielen Eigentümerinnen und Eigentümern fehlen die Rücklagen, eigenständig energetische Sanierungen vorzunehmen. In Kombination mit steigenden Energiepreisen durch die Energiewende steigt die Gefahr, dass sozial benachteiligte Menschen von den Vorteilen des Klimaschutzes ausgeschlossen werden. Das Abhängen von größeren Teilen der Bevölkerung birgt hier vor allem die Gefahr eines Akzeptanzverlustes für zwingend notwendige Maßnahmen zum Klimaschutz.

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gehen Hand in Hand

Der Sozialverband VdK stellt sich gegen die Darstellung von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit als unvereinbare Ziele. Beide Ziele ergänzen sich nicht nur, vielmehr bedingen sie sich, wenn Wohlstand, sozialer Frieden und ein gesellschaftliches Einvernehmen funktionieren sollen. Die ökologische Transformation bietet die Chance, nicht nur die Umwelt zu schützen, sondern auch soziale Gerechtigkeit zu fördern. Wenn Klimaschutzmaßnahmen richtig umgesetzt werden, können sie auch den benachteiligten Gruppen zugutekommen und deren Lebensqualität verbessern.

Der VdK fordert eine sozial ausgewogene Klimapolitik, die die Bedürfnisse ärmerer Menschen berücksichtigt. Diese müssen von Anfang an in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen werden. Der Klimaschutz darf nicht nur als technokratische Herausforderung betrachtet werden, sondern muss die Lebensrealitäten der Menschen berücksichtigen. Wenn Klimaschutz als rein wirtschaftliche oder technologische Herausforderung gesehen wird, besteht die Gefahr, dass sozial benachteiligte Gruppen auf der Strecke bleiben.

Konstruktive Lösungen für den Zielkonflikt zwischen sozialer Teilhabe und Klimaschutz

Um den vermeintlichen Zielkonflikt zu überwinden, sind konkrete, sozial gerechte Maßnahmen erforderlich. konkrete Lösungsvorschläge können wie folgt aussehen:

Sozialgerechte Förderprogramme für Klimaschutzmaßnahmen

Um die soziale Teilhabe am Klimaschutz zu gewährleisten, müssen gezielte Förderprogramme für sozial benachteiligte Gruppen aufgelegt werden. Diese sollten den Zugang zu energetischen Sanierungen, dem Kauf von Elektrofahrzeugen oder dem Umstieg auf erneuerbare Energien erleichtern. Ein zentraler Punkt ist, dass diese Förderprogramme unbürokratisch zugänglich sind und keine hohen Eigenanteile erfordern, die für viele Menschen eine Hürde darstellen würden. Eine sozial gestaffelte Förderung ist notwendig, um sicherzustellen, dass auch Menschen mit niedrigen Einkommen von der ökologischen Transformation profitieren. Die BEG-Förderung für effiziente Gebäude, bei der eine grobe soziale Staffelung stattfindet, darf hier nur der erste Schritt sein. Insbesondere in Zeiten, in denen Mittel rar sind, muss die Gießkanne in den Schrank gestellt werden. Stattdessen braucht es spezifische Förderung.

Barrierefreie und kostengünstige Mobilität für alle

Die Mobilitätswende muss so gestaltet werden, dass sie für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich ist. Das bedeutet, dass öffentliche Verkehrsmittel in allen Regionen – auch in ländlichen Gebieten – barrierefrei zugänglich und kostengünstig sind. Dringend erforderlich sind ein Ausbau und eine Modernisierung der Infrastruktur, die auch ältere, kranke oder mobilitätseingeschränkte Menschen einbezieht. Hierzu gehört auch die Einführung eines Sozialtarifs für den öffentlichen Nahverkehr, der es einkommensschwachen Haushalten ermöglicht, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Ein praktisches Beispiel wäre hier ein flächendeckender Sozialtarif des Deutschlandtickets.

Energiepreise sozial abfedern

Um der zunehmenden Energiearmut entgegenzuwirken, fordert der VdK ein Sozialtarif-Modell für Energiepreise, das einkommensschwachen Haushalten auch bei steigenden Preisen den Zugang zu bezahlbarer Energie sichert. Zugleich müssen Maßnahmen zur energetischen Sanierung stärker gefördert werden, ohne dass Mieterinnen und Mieter durch hohe Investitionskosten belastet werden. Es muss verhindert werden, dass Modernisierungskosten überwiegend auf die Bewohnerinnen und Bewohner, denen die Wohnkosten ohnehin über den Kopf wachsen, umgelegt werden.

Langfristige Synergien zwischen Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit

Langfristig können Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sogar miteinander synergetisch wirken. Investitionen in erneuerbare Energien und energieeffiziente Gebäude führen langfristig zu niedrigeren Energiekosten, was besonders einkommensschwachen Haushalten zugutekommt. Dies ist insbesondere in Anbetracht der zu erwartenden Preissprünge durch den EU-weiten CO2-Preis ab 2027 dringend geboten. Ein fossiler Lock-In, also aufgrund von fehlender Investitionsmöglichkeiten an die Nutzung fossiler Energieträger gebunden und so steigenden Preisen schutzlos ausgeliefert zu sein, musss zwingend verhindert werden.

Für ältere Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen bietet der Klimaschutz zudem gesundheitliche Vorteile. Gut isolierte und klimatisierte Gebäude schützen vor extremen Wetterbedingungen wie Sommerhitze und Winterkälte, was zu einer besseren Lebensqualität führt und gesundheitliche Probleme reduziert. Auch Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität durch den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wirken sich positiv auf die Gesundheit aller Menschen aus, insbesondere jedoch auf diejenigen, die durch Feinstaub besonders belastet sind und in verdichteten Innenstädten an vielbefahrenen Straßen leben.

Fazit: Klimaschutz und soziale Teilhabe sind kein Widerspruch

Der vermeintliche Zielkonflikt zwischen sozialer Teilhabe und Klimaschutz lässt sich durch gut durchdachte, sozial gerechte Maßnahmen nicht nur überwinden, vielmehr existiert er nicht, wenn die große Frage der Verteilungsgerechtigkeit mitgedacht wird. Dies bedeutet unter anderem, dass die Personengruppen mit viel Besitz einen größeren finanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Es bedeutet, dass Konsummuster aller hinterfragt werden müssen, ohne, dass hierdurch Abstiegsängste erzeugt oder Bevormundung als Argument vorgeschoben wird. Für die Zivilgesellschaft ist der gemeinsame Einsatz für eine Politik dringend geboten, die sowohl den ökologischen als auch den sozialen Wandel vorantreibt. Nur wenn der Klimaschutz sozial gerecht umgesetzt wird, bleibt er langfristig tragfähig und erhält breite gesellschaftliche Zustimmung. Wenn Klimaschutzmaßnahmen nicht die Bedürfnisse der sozial benachteiligten Gruppen berücksichtigen, droht der Verlust der breiten Unterstützung für die Transformation – was sowohl für den Klimaschutz als auch für die soziale Gerechtigkeit schädlich wäre. Es muss unbedingt verhindert werden, dass sich gesellschaftliche und demokratiegefährdende Gräben zwischen einer ökologischen Elite und einem abgehängten und finanziell überforderten Teil der Bevölkerung vertieft.

Die richtige Balance zwischen sozialer Teilhabe und Klimaschutz zu finden, ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart. Sie ist jedoch auch eine der wichtigsten, wenn wir eine gerechte, nachhaltige und lebenswerte Zukunft für alle Menschen schaffen wollen.

Verena Bentele
Präsidentin Sozialverband VdK Deutschland