Die neue Bundesregierung steht vor der Aufgabe, die Klimaziele für 2030 und das langfristige Ziel der Klimaneutralität nicht nur zu erreichen, sondern dies in einem Rahmen zu tun, der sowohl wirtschaftlich tragfähig als auch sozial gerecht ist. Die wissenschaftlichen Befunde sind eindeutig: Deutschland verfehlt nach aktuellem Stand die Ziele der europäischen Lastenteilung, wie der Expertenrat für Klimafragen in seinem letzten Gutachten erneut eindrücklich feststellte. Das betrifft insbesondere die Bereiche Wohnen und Mobilität – die nah an der Lebenswirklichkeit der Menschen sind und mit tiefgreifenden Veränderungen einhergehen. Nur wenn die Transformation sozial flankiert und gerecht gestaltet wird, kann sie auch gesellschaftlich gelingen. Dann bietet sie Chancen auf eine bessere Lebensqualität für breite Schichten der Bevölkerung. Der Koalitionsvertrag bietet einige Anknüpfungspunkte, diese müssen nun konkret gestaltet und umgesetzt werden.
Das klare Bekenntnis zum zweiten Europäischen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr (ETS2) im Koalitionsvertrag ist ein wichtiger und richtiger Schritt. Denn dieses Instrument bietet die Möglichkeit, Emissionen effektiv zu reduzieren und schafft zugleich Einnahmen, die für eine soziale Flankierung genutzt werden können.
Allerdings gerät der ETS2 derzeit europaweit unter Druck. Deutschland muss deshalb Verantwortung übernehmen und sich im Europäischen Rat für die Einführung und Umsetzung des Instruments im Jahr 2027 stark machen. Ein Aufweichen oder Verzögern würde nicht nur klimapolitisch Rückschritte bedeuten, sondern auch die notwendige Planungs- und Investitionssicherheit untergraben. Zudem braucht er eine stärkere soziale Absicherung als bisher vorgesehen.
Sozialer Ausgleich bei der CO2-Bepreisung: der EU Klima-Sozialfonds
Klar ist: Ein CO₂-Preis, der auf fossile Energieträger erhoben wird, belastet Haushalte unterschiedlich stark – und zwar vor allem jene mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Diese haben nicht nur einen höheren Anteil energiebezogener Ausgaben am Haushaltseinkommen, sondern verfügen oft auch nicht über die Mittel, um auf emissionsärmere Technologien umzusteigen. Die Folge ist ein fossiler Lock-In, der Ungleichheiten verfestigt. Während einkommensstarke Haushalte von bisherigen Maßnahmen wie dem Umweltbonus für Elektrofahrzeuge oder der ursprünglichen Gebäudeförderung profitieren konnten, blieben untere und mittlere Einkommen weitgehend außen vor. Eine sozial ausgewogene Klimapolitik muss deshalb zwei Ziele gleichzeitig verfolgen: Schutz vor übermäßigen Belastungen und die Ermöglichung, positiv an der Transformation teilzuhaben.
Die EU-Kommission hat das erkannt und die Idee des europäischen Klima-Sozialfonds entwickelt, der 2026 – also ein Jahr vor Start des ETS2 – beginnen soll. Gespeist wird er durch Einnahmen aus dem Emissionshandel, ist allerdings nicht an die Höhe des CO2-Preises geknüpft. Auch wenn die Mittel vor allem für Deutschland allein nicht ausreichen, um die Transformation für alle erschwinglich zu machen, bietet er die Möglichkeit, wichtige Maßnahmen gezielt zu erproben und diese dann mit weiteren Einnahmen aus dem ETS2 bzw. aus dem Klima- und Transformationsfonds auszubauen. Im Koalitionsvertrag wird die Finanzierung eines Social Leasings für Elektroautos, das in Frankreich bereits erfolgreich eingeführt wurde, aus dem Klima-Sozialfonds aufgeführt. Allerdings wäre der Topf schnell leer und kein Geld für weitere Programme vorhanden, wenn ein größeres Social Leasing Programm ausschließlich aus dem Klima-Sozialfonds gezahlt würde. Der Fonds eignet sich daher vor allem als Hebel, um klimasoziale Innovationsprojekte in Deutschland zu verankern und die administrativen Voraussetzungen für die Umsetzung von spezifischer Förderung zu schaffen.
Der Koalitionsvertrag nennt zudem „sozial gestaffelte Entlastungen und Förderungen beim Wohnen und bei der Mobilität“ – ein wichtiger Ansatz. Die Reform der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), die seit 2024 eine einkommensabhängige Staffelung der Zuschüsse vorsieht, war ein erster Schritt in die richtige Richtung – weitere Programme sollten folgen.
Ein Blick auf europäische Nachbarländer zeigt, wie sozial differenzierte Fördermodelle im Mobilitäts- oder Gebäudebereich erfolgreich umgesetzt werden können. In Frankreich wurde mit dem Programm MaPrimeRénov ein gestaffeltes Fördersystem für Sanierungen etabliert, das Förderquoten zwischen 35 und 80 Prozent vorsieht. Die Höhe der Förderung orientiert sich dabei am Haushaltseinkommen, an der Anzahl der Haushaltsmitglieder, am Wohnort sowie an der Art und Tiefe der Sanierungsmaßnahme. Auch Belgien und Schottland haben für die Wärmewende innovative Förderinstrumente geschaffen, die gezielt Haushalte mit geringem Einkommen und fehlendem Eigenkapital unterstützen – über zinslose Kredite oder solche, die nur im Falle eines Verkaufs oder einer Vermietung zurückgezahlt werden müssen.
Vier Säulen der Ermöglichung und Entlastung
Diese Modelle kombinieren soziale Treffsicherheit mit finanzieller Nachhaltigkeit und können als Vorbild für eine Neuausrichtung deutscher Förderpolitik und einen effizienten und zielgerichteten Einsatz des Sondervermögens dienen. Sie zeigen außerdem, dass eine sozial gerechte Klimapolitik kein Widerspruch ist, sondern eine Frage der politischen Gestaltung. Dabei sollte sich die Bundesregierung auf vier strategische Säulen konzentrieren, um die klimapolitische Wende mit sozialer Gerechtigkeit zu verbinden:
- Ausbau öffentlicher Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Der Zugang zu emissionsarmen Alternativen muss für alle möglich sein – unabhängig vom Wohnort oder Einkommen. Das bedeutet Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, den Ausbau der Fernwärme, bessere Radinfrastruktur und barrierefreie Mobilitätsangebote.
- sozial differenzierte Förderprogramme. Fördermittel dürfen nicht länger primär in die oberen Einkommensgruppen fließen. Förderkriterien müssen stärker auf Einkommen, Vermögen und Wohnsituation ausgerichtet werden. Ideen gibt es viele (siehe oben), es kommt aber darauf an, sie administrativ gut umzusetzen. Dafür braucht es einen sozial differenzierteren Einkommensbegriff, der beispielsweise die Haushaltsgröße berücksichtigt.
- regulatorische Maßnahmen mit sozialem Ausgleich. Verpflichtungen zur Sanierung oder zum Heizungstausch sind notwendig, dürfen aber nicht zu übermäßigen Belastungen für Mieter:innen führen. Das CO₂-Kostenaufteilungsgesetz und Vorschläge für eine Reform der Modernisierungsumlage zeigen, wie Regulierungen sozial verträglich gestaltet werden können.
- direkte finanzielle Kompensation. Auch wenn die Regierung sich nun gegen die Einführung eines Klimageldes ausgesprochen hat, ist es wichtig, den schon lange in Planung befindlichen Aufbau des Direktzahlungskanals weiter voranzutreiben. Die geplante Senkung der Netzentgelte ist kein adäquater Ersatz für ein Klimageld, zumal die Entlastung nicht mit der Höhe des CO2-Preises skaliert. Besser wäre ein Mechanismus, der eine sozial gestaffelte Direktzahlung ermöglicht, sobald der Preis im ETS2 eine gewisse Höhe übersteigt – damit Menschen vor starken Preissprüngen finanziell geschützt werden.
Soziale Klimapolitik bietet Chancen für mehr Lebensqualität
Diese klimapolitischen Prioritäten schaffen nicht nur eine gerechtere Verteilung der Lasten, sondern eröffnen auch neue Chancen: für mehr Lebensqualität, für eine bessere Gesundheit, für ein neues Verständnis von Wohlstand. Eine sozial gerechte Transformation ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft – ökonomisch, ökologisch und sozial.
Die neue Bundesregierung hat die Chance – und die Verantwortung –, die Weichen richtig zu stellen. Es geht nicht nur darum, das Klima zu schützen. Es geht darum, die Transformation so zu gestalten, dass sie von allen getragen und mitgestaltet werden kann. Nur so wird sie zum gesellschaftlichen Fortschrittsprojekt, das die Idee von sozialer Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert neu mit Leben füllt.
Dr. Brigitte Knopf, Gründerin und Direktorin Zukunft KlimaSozial