Keine Angst vor Inflation

Dieses Bild zeigt Lena Dräger - ©Leibniz Universität Hannover
Prof. Dr. Lena Dräger VWL-Professorin an der Leibniz Universität Hannover
©
iStock bluejayphoto

 

 

Die großen staatlichen Konjunkturpakete, die von vielen Ländern zur Unterstützung der Wirtschaft während der COVID-19 Pandemie aufgesetzt wurden, haben eine alte Diskussion aufleben lassen: Welche Größe des staatlichen Stimulus ist nötig, um die negativen wirtschaftlichen Effekte der Pandemie abzufedern? Ab welcher Höhe besteht die Gefahr, dass der Stimulus so hoch ist, dass die Wirtschaft in der Erholungsphase nach der Pandemie überhitzt und es zu erhöhter Inflation kommt?

Die Beantwortung dieser Fragen ist empirisch nur sehr schwer abzuschätzen, da sie von Größen abhängt, die wir nicht messen können und die außerdem über die Zeit variieren. Eine dieser Größen stellt der Output-Gap dar, also die Differenz zwischen der tatsächlichen realen Produktion (dem BIP) und dem Produktionsniveau, das die Wirtschaft mittelfristig realisieren kann (die „natürliche“ Produktion). Da die „natürliche“ Produktion nicht messbar ist und sich zum Beispiel verändert, wenn sich die Langzeitarbeitslosigkeit über einen längeren Zeitraum erhöht oder senkt, kann auch der Output-Gap nur geschätzt werden.

Diese Größe bestimmt aber, ob die Wirtschaft unter oder über Kapazität operiert und ist daher entscheidend dafür, ob die Wirtschaft sich in Richtung Rezession oder in Richtung Boom bewegt. Eine zweite wichtige Größe ist der Fiskalmultiplikator. Dieser misst, wie stark eine staatliche Ausgabe umgesetzt wird in wirtschaftliche Nachfrage. Auch dieser Multiplikator kann nur geschätzt werden. Hinzu kommt, dass Multiplikatoren für verschiedene Arten von Ausgaben oder in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich ausfallen können. So kann man zwar schätzen, wie stark sich ein staatlicher Stimulus in etwa auf die Wirtschaft auswirken wird, jedoch ist diese Schätzung sehr unsicher.

Wie kann es zu Inflation in einem Post-Corona-Boom kommen?

Gehen wir einmal davon aus, dass der staatliche Stimulus unter den gegebenen Fiskalmultiplikatoren tatsächlich dazu führt, dass der negative Output-Gap in einen sehr positiven Output-Gap umschlägt und die Wirtschaft nach der akuten Pandemiephase also einen ausgeprägten Boom erlebt. Dies würde bedeuten, dass die Arbeitslosigkeit stark sinkt und das reale Wirtschaftswachstum deutlich positiv ausfällt. Führt dies automatisch zu höherer Inflation? Dies hängt von zwei entscheidenden Faktoren ab: Dem Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation über die Lohnverhandlungen zwischen Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen und dem Effekt der Inflationserwartungen auf die tatsächliche Inflation.

Jüngere Studien in den USA haben gezeigt, dass sich tatsächlich ein negativer Zusammenhang zwischen Arbeitslosenquote und Inflationsrate zeigen lässt, allerdings ist der Effekt relativ klein. Das bedeutet, dass höhere Lohnabschlüsse in Boomphasen zwar dazu führen können, dass die Inflation ansteigt, aber dass dieser Anstieg wahrscheinlich gering ausfällt. Es scheint also nicht so zu sein, dass ein starker Boom automatisch zu einem starken Anstieg der Inflationsrate führt. Dies deckt sich auch mit den Erfahrungen in Deutschland während des ausgeprägten Booms der vergangenen zehn Jahre nach der Finanzkrise.

Damit fällt den Inflationserwartungen der Haushalte, Firmen und Finanzmarktteilnehmenden eine entscheidende Rolle zu. Da die erwartete Inflation direkt auf den Realzins wirkt, ist sie ein wichtiger Faktor für Konsum- und Investitionsentscheidungen und hat darüber einen starken Effekt auf Preissteigerungen der Unternehmen. Deshalb versuchen Zentralbanken, die längerfristigen Inflationserwartungen konstant nahe des Inflationsziels zu verankern. Ist diese Verankerung stabil, weil die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels und der Zentralbank hoch ist, führt ein realwirtschaftlicher Boom nur zu einem leichten Anstieg der Inflationsrate. Wenn sich aber die Inflationserwartungen erhöhen, kann es zu deutlich höheren Inflationsraten kommen.

Was bedeutet dies für die aktuelle Situation in Deutschland und der Eurozone?

In 2020 fielen die Konsumgüterpreise sowohl in Deutschland, als auch in der Eurozone insgesamt, so dass ab August/September Deflation gemessen wurde. Wie auch schon in den Jahren davor wurde also das Inflationsziel deutlich von unten verfehlt. Es besteht die Sorge, dass dieser Trend dazu führen könnte, dass die Inflationserwartungen ihre Verankerung nach unten hin verlieren. Tatsächlich sinken die langfristigen Inflationserwartungen über die nächsten 10 Jahre der professionellen Prognostiker im „Survey of Professional Forecasters“ der EZB seit 2019 und liegen mittlerweile bei etwa 1,7%, also deutlich unterhalb des Inflationsziels von „unter, aber nahe 2%“.

Diese Erwartungen gelten als wichtiges Maß für die Verankerung der Inflationserwartungen. Fallende langfristige Inflationserwartungen sind daher besorgniserregend und könnten darauf hindeuten, dass die Inflationsraten in der Eurozone weiterhin zu niedrig bleiben. Dies würde bedeuten, dass die Wirtschaft weiterhin in der Niedrigzinsphase verharrt und beispielsweise Investitionen gehemmt werden könnten.

Es gibt jedoch auch einige Faktoren, die in eine andere Richtung deuten. Zunächst gibt es technische Effekte, die dafür sorgen werden, dass die Inflationsraten in 2021 höher ausfallen, als in 2020. Beispielsweise führt der Wegfall der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland dazu, dass die Preise in 2021 automatisch höher liegen als in den Vergleichsmonaten mit der niedrigeren Steuer im Vorjahr. Der Sprung in der Inflationsrate auf 1% im Januar 2021 wurde maßgeblich durch eine erhöhte C02-Bepreisung und eine Erhöhung des Mindestlohns getrieben. All dies sind temporäre Faktoren, die nicht zu einem dauerhaften Anstieg der Inflationsrate führen werden.

Und wie stehen die Chancen, dass es im zu erwartenden Post-Corona-Boom zu einer Überhitzung der Wirtschaft und zu beschleunigter Inflation kommt?

Auch wenn die aktuellen Daten und die professionellen Langfristprognosen nicht darauf hindeuten, kann es dennoch passieren, dass sich die Entwicklung umkehrt. Entscheidender Faktor sind hier wieder die Inflationserwartungen. Wenn der normale Anstieg der Inflation während der Erholungsphase nach Jahren zu niedriger Raten verwechselt wird mit einer galoppierenden Inflationsrate, also immer weiter ansteigenden Preiserhöhungen, kann es passieren, dass sich die Inflationserwartungen erhöhen. Dies würde im Sinne einer selbst erfüllenden Prophezeiung dazu führen, dass die Inflation tatsächlich ansteigt.

Alternativ könnte die Euphorie nach dem Ende der Pandemie dazu führen, dass die private Nachfrage so stark ansteigt, dass es tatsächlich zu einer Überhitzung der Wirtschaft kommt. Wenn die Wirtschaftsakteure dann nicht erwarten, dass die Geldpolitik ausreichend reagiert, könnten sich Inflationserwartungen dauerhaft erhöhen. In solch einer Situation müsste die EZB entschieden gegensteuern und den Zins deutlich anheben. Dies könnte zu negativen Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen und würde die Zinslast der öffentlichen Verschuldung erhöhen.

Wie kann solch ein Szenario verhindert werden? Zunächst ist eine gute Kommunikation und Einordnung der Entwicklung durch die Politik und die Medien entscheidend. Es muss erläutert und begründet werden, warum Inflationsraten mechanisch ansteigen und warum Inflationsraten leicht über dem Inflationsziel, z.B. Raten von 3%, für einen gewissen Zeitraum nach Jahren zu niedriger Raten der Wirtschaft helfen könnten, das Investitionsniveau zu steigern und die extreme Niedrigzinsphase zu beenden.

Dadurch könnten die Inflationserwartungen stabilisiert werden. Gleichzeitig sollte vermieden werden, dass die Zentralbank in eine Situation kommt, wo sie in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt ist, weil ein entschiedener Zinsanstieg die Stabilität der Staatsverschuldung in der Eurozone gefährden könnte. Eine Möglichkeit, hier entgegenzuwirken, ist eine möglichst langfristige staatliche Verschuldung. Wenn Staatsanleihen mit sehr langem Horizont ausgegeben werden, kann dies als Absicherung gegen einen Zinsanstieg in der Zukunft genutzt werden.

 

Prof. Dr. Lena Dräger