Rückkehr der Inflation – Mönsterchen in Grautönen

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Carsten Brzeski Chefvolkswirt der ING Bank
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Viele deutsche Experten wussten es schon lange: die Inflation ist nicht tot, sie schläft nur. Und jetzt scheint des Deutschen liebsten Wirtschaftsgespenst wirklich wieder zurück zu sein. Es ist aber mehr Mönsterchen als Monster. Spätestens im nächsten Jahr werden die Inflationsraten wieder sinken. Angst muss man aktuell weniger vor der höheren Inflation haben als vor den atemraubenden und schwindelerregenden verbalen Pirouetten der EZB.

Woher kommt die Inflations-Angst?

Gestiegene Inflationsraten in den USA und Europa haben nicht nur die Kapitalmarktzinsen steigen lassen, sie haben auch die Angst vor einem nachhaltigen Anstieg der Inflation geschürt. Auslöser für diese Ängste sind das 1.9 Billionen Konjunkturpaket in den USA, das sich vor allem auf kurzfristige Konsumeffekte richtet und damit die Gefahr einer wirklichen Überhitzung der Konjunktur schürt, gemäß dem alten Motto „zu viel Geld jagt zu wenig Güter“.

Um die wirkliche Inflationsdynamik aktuell einschätzen zu können, muss man einerseits kurzfristige von langfristigen Entwicklungen und andererseits Entwicklungen in den USA von denen in Europa unterscheiden.

Kurzfristige Entwicklungen

Fangen wir mit den kurzfristigen Entwicklungen an. Hier sind Inflationssorgen berechtigt. Denn gestiegene Produktionskosten, wie z.B. höhere Containerpreise und Probleme bei Lieferketten, und die sogenannten Sonderfaktoren machen Inflationsraten in Deutschland von mehr als 3% wahrscheinlich. Die Sonderfaktoren sind zuerst die höheren Energiepreise im Jahresvergleich, danach werden es höhere Preise vor allem bei Dienstleistungen nach dem Ende der Lockdowns sein und zu guter Letzt wird Deutschland in der zweiten Jahreshälfte die Wiedererhöhung der Mehrwertsteuer spüren. Nur ist dieser Inflationsanstieg nicht nachhaltig. Konkurrenz im Dienstleistungssektor führt dazu, dass mögliche Corona-Aufschläge von der Konkurrenz einkassiert werden. Die Basiseffekte von Mehrwertsteuer und Energiepreisen auf die Inflationsrate verschwinden im nächsten Jahr wieder.

Für die USA kann man durchaus argumentieren, dass ein Konjunkturpaket in den aktuellen Dimensionen durchaus zu einer kurzfristigen Überhitzung der Wirtschaft führen kann. Die 1400 Dollar Checks werden aller Voraussicht nach ihren Weg wieder direkt in den Wirtschaftskreislauf finden. Über Konsum oder wie in den letzten Monaten auch gesehen über die Aktienmärkte.

In Deutschland und Europa hätte man diese Probleme aktuell gerne. Hier ist eine konjunkturelle Überhitzung wohl die kleinste aller Sorgen. Im Gegenteil. Impfchaos und verlängerte Lockdowns verzögern auch den Konjunkturaufschwung. Die Konjunkturpakete haben leider deutlich weniger ‚wumms‘ als in den USA und es wird bis Anfang 2022 dauern, bis die ersten Länder (so wie z.B. Deutschland) wieder auf dem Vorkrisenniveau angelangt sind. Die Eurozone als gesamtes wird das wohl erst Ende 2022 schaffen. Die Realität ist, dass steigende Arbeitslosigkeit und Insolvenzen wenig Spielraum geben für mehr Inflation. Nur wenn Regierungen Mindestlöhne erhöhen bzw. den Raum für weitreichende Lohnerhöhungen bieten, könnte es zu einer Lohn-Preis-Spirale aus dem Lehrbuch kommen.

Zurück zu den USA. Auch wenn es kurzfristig durchaus zu Überhitzungserscheinungen kommen könnte, die zerstörten Produktionskapazitäten und der niedrige Beschäftigungsgrad am Arbeitsmarkt sprechen gegen eine langfristige Überhitzung. Aktuell haben in den USA noch knapp 6 Millionen Menschen weniger einen Job als Anfang 2020.

Und langfristig?

Es spricht also einiges dagegen, dass wir dieses Jahr den Anfang einer unkontrollierbaren Inflationsspirale sehen werden.

Aber können wir nicht trotzdem am Anfang einer Zeitenwende hin zu strukturell höherer Inflation stehen? Dafür spricht, dass die deflationären Folgen der Globalisierung und vor allem des Aufstiegs Chinas wohl vorbei sind. China exportiert nicht mehr Billigware und Billiglöhne sondern drückt über steigende Industrialisierung die Nachfrage nach Rohstoffen nach oben. Dafür wird es aber andere Regionen in Asien und Afrika geben, deren Arbeitskraft in den kommenden Jahren auf den Weltmarkt treten werden. Wieder mit deflationären Folgen. Was auch gegen eine nachhaltige Lohn-Preis-Spirale in Europa spricht sind Digitalisierung und Automatisierung. Digitalisierung drückt über Transparenz und Wettbewerb die Preise nach unten. Automatisierung wird in einer immer älter werdenden Gesellschaft wohl möglichen Lohndruck durch Fachkräftemangel auffangen.

EZB im Dilemma

Die Inflation ist also zurück, auch wenn nicht für lange. Für die EZB ist das ziemlich unangenehm. Da versucht sie so lange, die Inflation endlich wieder zurückzubringen, und doch ist es nicht gut. Denn eine Inflation, getrieben von höheren Energiepreisen und einmaligen Sondereffekten, ist eher deflationär und nicht, was die EZB will. Es ist auch keine Inflation, die man mit Geldpolitik drosseln kann. Daher steht auch keine Zinserhöhung an. Die Gefahr, dass steigenden Kapitalmarktzinsen oder sogar eine frühzeitige Normalisierung der Geldpolitik den leichten Aufschwung abwürgen, ist einfach zu groß.

Wenn Lockdowns, Corona und Impfstoff nicht mehr den Alltag bestimmen und die Wirtschaft der Eurozone zum Ende des Jahres wieder brummt, sieht die Sache anders aus. Dann könnte man im EuroTower auch so langsam an den Einstieg in den Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik denken. Das zu erklären ist der EZB bei ihrem Treffen letzte Woche nicht gelungen. Stattdessen drehte EZB-Präsidentin Christine Lagarde so viele verbale Pirouetten, dass einem schwindelig werden könnte und es werden Anleihenkäufe vorgezogen. Das alles in der Hoffnung, die Kapitalmarktzinsen nicht weiter steigen zu lassen. Der Anstieg der Kapitalmarktzinsen in den letzten Wochen kam allerdings von sehr niedrigen Niveaus. Die aktuellen Niveaus der Kapitalmarktzinsen bedrohen den Aufschwung nicht. Mögliche Unsicherheit, weil man nicht weiß was die EZB vor hat, schon eher.

Raus aus Schwarz-weiß

Die EZB wäre besser beraten gewesen, den Finanzmärkten eine ganz deutliche, aber einfache Botschaft mitzuteilen: sie wird sich hüten, um auf die höheren Inflationsdaten mit Zinsschritten zu reagieren. Das schließt aber nicht aus, dass die Kapitalmarktzinsen auch wieder steigen können. Alle guten Dinge kommen irgendwann an ein Ende. Das Ende von extrem niedrigen Kapitalmarktzinsen ist aber nicht automatisch der Auftakt für endlose Zinsanstiege. Genauso wenig wie das Ende extrem niedriger Inflationsraten der Auftakt von Hyperinflation ist. Finanzmärkte denken gerne binär, schwarz-weiß. Wie im wahren Leben gibt es auch bei der Inflation viele Schattierungen und Grautöne; und auch keine wirklichen Monster.

 

Carsten Brzeski