Führt eine globale Mindeststeuer zu einer gerechten Besteuerung der digitalen Wirtschaft?

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Eine Analyse der globalen Mindeststeuer. Die Steuer bietet die Chance auf eine gerechtere Steuerpolitik

Nicht alle Unternehmen haben unter der Covid-19-Pandemie gelitten: Amazon erzielte in den vergangenen vier Quartalen jeweils Rekordgewinne mit seinem weltweiten Geschäft; der Gewinn verdreifachte sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Nicht nur Amazon profitierte: Der Onlinehandel in Deutschland hatte 2020 einen Gesamtumsatz von über 83 Milliarden Euro – viermal so viel wie vor zehn Jahren.

Gleichzeitig zeigt sich, dass manche Onlinehändler – wie auch andere Unternehmen der digitalen Wirtschaft – besonders schwer zu besteuern sind. Vor einigen Tagen machte der Guardian bekannt, dass die Europa-Holding von Amazon in Luxemburg trotz der Rekordumsätze im letzten Jahr keinen steuerbaren Gewinn erzielt und somit keine Gewinnsteuern bezahlt habe. Ob andere europäische Tochtergesellschaften 2020 Gewinnsteuern bezahlt haben, ist nicht bekannt.

Ist das ein Einzelfall, oder ein allgemeines Phänomen? Ökonomische Forschung hat gezeigt, dass multinationale Unternehmen in Hochsteuerländern im Durchschnitt mindestens 30% weniger Steuern zahlen als Unternehmen, die nur im jeweiligen Land aktiv sind. Trotz umfangreicher Gegenmaßnahmen ist das Problem in den letzten Jahren größer geworden – möglicherweise aufgrund der steigenden Bedeutung der digitalen Wirtschaft. Schließlich bieten Patente und immaterielle Wirtschaftsgüter, die in diesem Bereich besonders wichtig sind, auch besonders viele Möglichkeiten, scheinbare Wertschöpfung in Steueroasen stattfinden zu lassen und die darauf entfallenden Gewinne mit 0%-Steuersätzen zu „versteuern“.

Einige Länder haben deswegen sogenannte Digitalsteuern eingeführt. Frankreich erhebt z.B. seit 2019 eine zusätzliche Steuer in Höhe von 3% auf den Umsatz digitaler Aktivitäten großer Unternehmen, wenn französische Nutzer substantiell zur Wertschöpfung beigetragen haben. Gut funktioniert hat diese Steuer nicht: Direkt nach Einführung der Steuer hat Amazon seine Gebühren für Händler, die seine Plattform benutzen, um exakt 3% angehoben – die Steuer auf diese Aktivitäten also vollständig an kleinere, meist französische Unternehmen weitergegeben. So kann die Steuer die Falschen treffen. Hinzu kommt, dass eine Umsatzsteuer immer nur ein sehr indirektes Mittel sein kann, um die Gewinne eines Unternehmens zu besteuern, und möglicherweise auch solche Unternehmen zusätzlich belastet, die bereits angemessene Gewinnsteuern bezahlen. Auch passt eine derartige Steuer nicht in das internationale Steuer- und Handelssystem – die USA verhängten deswegen prompt Strafzölle gegen Frankreich.

Einen besseren Ansatz verfolgt momentan die OECD: eine globale Mindesteuer, die zumindest eine gewisse Besteuerung der Gewinne aller multinationalen Unternehmen sicherstellen soll. Frankreich und andere Länder mit nationalen Digitalsteuern haben bereits angekündigt, dass sie ihre Steuern wieder abschaffen, sobald die OECD-Länder hier eine Einigung gefunden haben. Zuletzt hat sich auch die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen dem Vorschlag einer globalen Mindeststeuer angeschlossen – und so die Wahrscheinlichkeit einer Einigung noch in diesem Jahr deutlich erhöht.

Eine globale Mindeststeuer hätte im Kern zwei Bausteine:

Erstens: Eine „Income Inclusion Rule“, die Staaten das Recht gibt, die Gewinne niedrig besteuerter ausländischer Tochtergesellschaften der inländischen Muttergesellschaft hinzuzurechnen, bis die effektive Steuerbelastung der ausländischen Tochter dem Mindeststeuersatz entspricht.

Zweitens: Eine „Tax on Base Eroding Payments“, die für inländische Töchter ausländischer Unternehmen greift, die insgesamt Steuern unter dem Mindeststeuersatz zahlen.

Durch die Kombination dieser Elemente würde sichergestellt, dass die gesamten Gewinne eines Unternehmens zumindest mit dem Mindeststeuersatz besteuert werden, sobald das Unternehmen auch nur in einem Land mit Mindeststeuerregel aktiv ist. Da kein größerer Konzern ausschließlich in Steueroasen aktiv ist, könnte so eine effektive, weltweite Besteuerung zum Mindeststeuersatz erreicht werden, wenn sich zumindest die OECD-Länder (und idealerweise noch weitere Länder) einigen.

Beim Vorschlag der OECD sind momentan noch wichtige Fragen offen. Ganz entscheidend wird die Höhe des Mindeststeuersatzes sein. Während Janet Yellen einen Satz von 21% in die Diskussion einbrachte, dürfte eine Einigung auf einen niedrigeren Wert deutlich einfacher sein. Hier darf das Bessere nicht der Feind des Guten sein – ein Mindeststeuersatz von 10% oder 12,5% wäre nicht nur ein großer Schritt zur Bekämpfung von Steuervermeidung, sondern auch ein Schritt in die Richtung, gleiche Bedingungen für internationale Konzerne und national tätige, mittelständische Unternehmen zu schaffen.

Ein häufiger Einwand gegen die Mindeststeuer ist, dass damit kleineren Ländern (wie z.B. einige osteuropäische Länder) die Spielräume genommen würden, durch niedrigere Steuersätze andere Standortnachteile (wie z.B. einen kleinen Binnenmarkt oder nicht so gut ausgebildete Arbeitnehmer) auszugleichen. Bei einem moderaten Mindeststeuersatz dürfte hier aber viel Spielraum im Vergleich zu großen Ländern wie Deutschland oder Frankreich bleiben. Die Mindeststeuer trifft vor allem die „klassischen“ Steueroasen (wie die Cayman Islands oder British Virgin Islands), die nie tatsächliche Produktion angezogen haben, sondern nur Buchgewinne. Eine globale Mindeststeuer würde auch Entwicklungsländern (die von den Gewinnverlagerungsaktivitäten multinationaler Unternehmen besonders betroffen sind) nutzen, denn sie haben im internationalen Vergleich meist hohe Steuersätze.

Ein weiterer, wichtiger Punkt ist die Einigung auf eine geeignete Bemessungsgrundlage, sodass sich der Mindeststeuersatz auf einen weltweit einheitlich definierten Gewinn bezieht. Wird der Gewinn für die Mindeststeuer in jedem Land unterschiedlich ermittelt, würde sich der Wettbewerb nur vom Steuersatz zur Bemessungsgrundlage verschieben. Gleichzeitig sollten die Regelungen für die Unternehmen einfach umzusetzen sein, damit die Befolgungskosten nicht zu hoch werden. Beispielsweise würden sich hier eine enge Anknüpfung an internationale Rechnungslegungsstandards wie IFRS anbieten. Diese Ermittlungsgrundlage würde nur für die Mindeststeuer gelten; für die nationale Unternehmensbesteuerung würde jeder Staat weiterhin seine eigenen Regeln setzen. Es wäre also nach wie vor möglich, beispielsweise Forschung und Entwicklung durch günstige Abschreibungsregeln zu fördern.

Eine gut ausgestaltete globale Mindeststeuer hat also das Potential, zu einer gerechteren Unternehmensbesteuerung beizutragen. Sie hat auch den Charme, dass nicht alle Länder mitziehen müssen, sondern nur eine so große Gruppe, dass es für Unternehmen nicht attraktiv ist, all diese Länder zu meiden. Sie lässt sich auch mit weiteren Regeln verbinden (wie z.B. der ebenfalls von der OECD angedachten Verlagerung eines Teils der Besteuerungsrechte ins Konsumland). Die Verhandlungen in der OECD werden dieses Jahr zu einem Abschluss kommen – und möglicherweise sieht die internationale Unternehmensbesteuerung danach deutlich anders aus als bisher.

 

Prof. Dr. Dominika Langenmayr

 

Lesen Sie hier auch den Text von Prof. Dr. Johannes Becker