Energieeffizienz hat Potential. Braucht aber klare Prozesse

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„Mit nie gekannter Geschwindigkeit“, so versprach es Bundeskanzler Scholz Anfang April, werde sich Deutschland unabhängig machen von russischen Energie-Importen. Und tatsächlich reagierte die Bundesregierung auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit einem zügig geschnürten Paket energiepolitischer Maßnahmen: Kurzfristig gilt es, Öl-, Gas- und Kohlelieferungen aus anderen Ländern und Regionen der Welt zu beschaffen, beschleunigt setzt das „Osterpaket“ den Rahmen für den Ausstieg aus der fossilen Energiewelt durch den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien. Das am schnellsten zu nutzende Werkzeug aber heißt: Steigerung der Energieeffizienz.

Dies ist umso drängender, als einerseits die Preise im Strom- und Gasmarkt zu einem drängenden Problem für viele Kunden werden, in Privathaushalten, bei Gewerbe und Industrie. Andererseits jedoch zeigt beispielhaft der aktuelle Gasverbrauch, dass „die Bevölkerung (…) die jetzige Situation nicht mit der angemessenen Ernsthaftigkeit“ betrachte, so vor einigen Tagen der neue Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller. Man sehe die furchtbaren Ereignisse in der Ukraine, man spende, es gebe Solidarität. „Aber im privaten Gasverbrauch sehe ich das nicht abgebildet.“

Alles das stellt Anforderungen an eine dringend benötigte Energieeffizienz-Kampagne. Denn bei einer solchen geht es nicht nur um die richtige Ansprache mit prägenden Begriffen wie Freiheit und Unabhängigkeit, Entschlossenheit, Kreativität, Stärke. Sie muss die aktuelle Situation auch als Chance vermitteln, denn es wird positive wirtschaftliche Effekte geben, wenn wir beschleunigt und entschlossen den Weg gehen, den wir uns unter dem wichtigen Thema Klimaschutz schon lange vorgenommen, aber bislang eher stolpernd zurückgelegt haben.

Vor allem aber gilt: Die dringlich erforderte Effizienzkampagne darf nicht allein eine Kampagne für das Internet werden. Mit pointierten Statements und schönen Bildern. Sie muss die Heizungskeller und Wohnungen erreichen. Die Schulklassen und die Handwerker. Es geht – ganz konkret- darum, Prozesse aufzusetzen, damit die vielfach durchgerechneten Potentiale auch tatsächlich gehoben werden. Wohl wahr, viele Maßnahmen benötigen vor allem auch Verhaltensänderungen bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Hier bedarf es einer breiten, kontinuierlichen und an jeder Ecke sich findenden Ansprache mit klaren Praxisbeispielen und Zahlen. Aber wer zum Beispiel digitale Thermostate in den Haushalten sehen will, muss mit denen reden, die diese produzieren und mit den Handwerkern, die helfen, diese einzubauen. Hier und da bedarf es auch ganz gezielter Förderprogramme, die entsprechend beworben werden. Eine Kampagne für Energieeffizienz ist also harte Arbeit. Ich bin mir nicht sicher, ob das in der Politik auf allen dafür erforderlichen Ebenen schon überall angekommen ist.

Dabei spüren wir schon jetzt: der Wille und der Druck in der Bevölkerung ist da. Nie zuvor gab es mehr Anfragen nach entsprechenden Produkten und Technologien. Die Chance ist da, nun endlich ernst zu machen mit Energieeffizienz. Wir brauchen sie in jedem Fall. Auch für die Erreichbarkeit der äußerst ambitionierten Klimaziele.

Ein Blick in die fünf großen Systemstudien, die vor der Bundestagswahl erstellt wurden, zeigt, dass die Energieeffizienz bis zum Jahr 2030 den größten Beitrag leisten muss, um die Klimaziele zu erreichen. Mehr noch als der Ausbau der erneuerbaren Energien, die nun aber ebenfalls und erst Recht mit Höchstdruck vorangetrieben werden müssen. Viel zu tun. Viel zu organisieren. Klimapolitik ist konkret. Das gleiche gilt für Sicherheitspolitik, wie wir in diesen Wochen feststellen. Anders gesagt: Politik ist Organisation. Manche der Leserinnen und Leser werden sich an den immer noch richtigen Leitspruch von Franz Müntefering sicher noch erinnern.

Dass eine praxisorientierte Energieeffizienz auch mit Blick auf eine angespannte Versorgungslage im kommenden Winter einen wichtigen Beitrag leisten kann, zeigen verschiedene Studien. Auch die dena hat sich auf Grundlage der dena-Leitstudie diese sehr kurzfristigen Einsparpotentiale genauer angeschaut. Immerhin, durch konkrete Maßnahmen können demnach mit Blick auf den kommenden Winter allein rund 130 TWh des Endenergieverbrauchs eingespart werden. Überwiegend in den Bereichen Gebäude und Verkehr. Insbesondere durch die Anpassung des individuellen Verbraucherverhaltens sowie die Optimierung der Energieanwendungen.

Ein konkreter Blick auf den Gebäude-Sektor zum Beispiel zeigt: Werden das Lüften, Heizen und Kühlen optimiert, programmierbare Heizkörperthermostatventile in Wohnungen und Büros eingebaut, dazu der hydraulische Abgleich, lassen sich bereits einige Prozente des Energiebedarfs einsparen. Dazu erhöhte Energieverbrauchs- und -kostentransparenz, automatische Verbrauchssteuerung und -optimierung, mehr Energiemanagement und Digitalisierung. Das bringt kurzfristig bereits eine Reduktion von ca. 80 TWh pro Jahr.

Im Verkehrssektor geht es vor allem darum, Pkw-Fahrten zu reduzieren, etwa durch den Umstieg auf ÖPNV und den öffentlichen Fernverkehr sowie das Fahrrad. Wichtig auch die Vermeidung verzichtbarer Autofahrten und Flüge. Hinzu kommen Maßnahmen, um die Auslastung pro Pkw zu erhöhen, etwa durch Car-Pooling. Insgesamt können dadurch im Verkehrssektor über 30 TWh Endenergie pro Jahr eingespart werden.

Ein etwas niedrigeres kurzfristiges Einsparpotenzial lässt sich im Industriesektor heben. Zumindest dann, wenn das Produktionsniveau dabei nicht eingeschränkt werden soll. Für die stoffliche Nutzung von Rohstoffen gibt es kaum schnell verfügbare Alternativen, der Fokus liegt daher auf der energetischen Nutzung. Werden mit Blick auf den kommenden Winter bei allen Prozessen 3% zusätzliche Energieeffizienzverbesserungen erreicht, z. B. durch Investitionen in effizientere Anlagen, Optimierung der Abläufe oder Abwärmevermeidung, können im Industriesektor rund 16 TWh Endenergie pro Jahr eingespart werden.

Neben dem Denken in Prozessen ist die Grundlage für das Gelingen ein breiter, von vielen getragener Ansatz. Eine Energieeffizienzkampagne darf nicht am Ressortzuschnitt einer Bundesregierung zerbröselt werden. Sie sollte zudem die tragenden Akteure in den Ländern und den Kommunen, vor allem aber die verschiedensten Stakeholder einbeziehen, die mit der Umsetzung von alledem vor Ort betraut sind. Je breiter die Dinge angelegt sind, desto größer der Erfolg. Desto besser entstehen Netzwerkeffekte und die benötigte Dynamik.

Der beste Zeitpunkt für einen guten Aufschlag ist fast schon vorbei. Jede Woche zählt, denn der kommende Winter rückt bald schon in den Fokus. Und auch darüber hinaus sollten wir uns „warm anziehen“. Denn wer die Klimaziele erreichen will, muss viele Dinge gleichzeitig angehen. Und die neue Situation in der Außen- und Sicherheitspolitik tut da ihr Übrigens. Alternativen: Keine.

Andreas Kuhlmann