Die Versorgung mit Energie ist ein seit langem in unserem Rechtssystem verankerter Grundsatz. Die Mutter des Energierechts, das Energiewirtschaftsgesetz, schreibt als Leitbild die „möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche … Versorgung der Allgemeinheit“ (§ 1) fest. Auf „zunehmend erneuerbaren Energien“ soll sie beruhen. Adressiert werden die Versorgung der Allgemeinheit mit den Waren Strom, Gas und Wasserstoff.
Versorgungssicherheit in Gefahr
Niemand musste in den letzten Jahrzehnten an der Versorgungssicherheit zweifeln. Zwar änderte sich die Art der Energieerzeugung und der Weg in die Treibhausgasneutralität fordert uns heraus. Trotz aller Zweifler aber schien der Weg machbar. Die erneuerbaren Energien decken zunehmend den Bedarf an Energie (2021 rd. 42% des verbrauchten Stroms in Deutschlands). Von dem im Osterpaket erwarteten Bruttostrombedarf 750 TWh im Jahr 2030, stehen heute bereits knapp 240 TWh erneuerbare Energien bereit. Atom- und Kohleausstieg wurden beschlossen, begonnen und sind fortgeschritten. Das Erdgas sollte die fossile Brücke in die treibhausgasneutrale Zukunft sein. Die Förderung neuer Gas-KWK (Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen) war bestätigt, die europäische Taxonomie korrespondiert, wenn auch erst nach einigen intensiven Gesprächen in der Sache.
Im dritten Monat der schrecklichen Ereignisse in der Ukraine ist die Garantie der sicheren und preisgünstigen Versorgung der Allgemeinheit mit Strom, Gas und Wasserstoff alles andere als gegeben. Deutschlands Energieversorgung ist in hohem Maße importabhängig. 71% der Importe (2020) entfielen auf Erdöl, Erdgas, Steinkohle und Kernenergie. Die anderen 29% beruhten auf Braunkohle (mit Ausstieg), erneuerbaren Energien und ein bisschen Kernkraft. Rund 55% des importierten Erdgases kam aus Russland, 57% der Steinkohle und 34% der Rohölimporte ebenso. Auch wenn dies mittlerweile teils revidiert wurde, darf uns angesichts dieser Zahlen und auch heute noch bestehenden Lage durchaus bange werden. Bereits Ende letzten Jahres konnten wir sehen, was mit den Gaspreisen passiert, wenn Russland zwar seine Verträge erfüllt, aber darüber hinaus nicht mehr die üblichen Mengen auf den Markt wirft. Damals bot Gazprom rd. 8% weniger als in den Vorjahren an.
Historische Herausforderung
Schnelle Energiesouveränität zu erreichen und zudem die gesteckten Klimaziele umzusetzen, das ist an sich bereits eine historische Herausforderung. Dabei Wirtschaftskraft und Wohlstand zu halten und bewährte Grundsätze der Demokratie und Teilhabe nicht aufzugeben, macht diese Herausforderung zu einer Mammutaufgabe, die noch einmal größer wird, weil das schlichte Verteidigen eines Status nie unser Anspruch war. Bleiben wir bei der verlässlichen und bezahlbaren Energieversorgung, wird man der Ampelkoalition zunächst bestätigen können, dass sie die Ärmel hochgekrempelt hat.
Diverse Gesetzesinitiativen wurden geschnürt, um der Lage kurz- wie mittelfristig Herr zu werden. Das über 600 Seiten starke Osterpaket gehört dazu, das Energiesicherungsgesetz, das LNG-Beschleunigungsgesetz oder das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz. Parallel hierzu arbeitet auch die EU-Kommission mit Hochdruck daran, auf die aktuellen geopolitischen Entwicklungen zu reagieren und hat nach Fit for 55 mit dem „Repower EU“ das nächste große Paket vorgelegt. Dennoch sorgen sich Energieerzeuger, Lieferanten und Abnehmer, ob alle Weichen richtig gestellt sind. Die erheblichen Verwerfungen in Preis und Liquidität sind das eine. Sie gilt es abzufangen. Denn natürlich wollen wir keine Insolvenzen sehen, kein Verlagern der Industrie, kein Schließen von Standorten, keinen Verlust von Arbeitsplätzen und Wohlstand, keine Energiearmut und keine Menschen, die ihre Wohnung nicht heizen können. Das andere aber, worauf geschaut wird, sind die Optionen, die uns zur Verfügung stehen.
Alle Optionen auf den Tisch
Dass wir in einer Lage sind, in der „mögliche Optionen“ und „gewollte Optionen“ nicht mehr weit auseinander liegen (können), hat der Bundesminister Dr. Robert Habeck bereits mehrfach gezeigt. Bürokratien, Denkverbote und Ideologien haben gerade heute keinen Platz. Nachdem uns die Brücke „fossiles Gas“ nicht mehr – wie noch vor wenigen Monaten gedacht – bis zum Jahr 2045 zur Verfügung stehen soll (das Osterpaket zieht die Klimaneutralität der Energieversorgung auf das Jahr 2035 vor) und angesichts der geopolitischen Lage jederzeit wegbrechen kann, brauchen wir schnell verlässliche und tragfähige Alternativen. Die erneuerbaren Energien stehen eben noch nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung und werden es – realistisch betrachtet – allenfalls übermorgen tun, vorausgesetzt die Genehmigungsverfahren werden stark beschleunigt, die Themen Material und Fachkräftemangel gelöst.
Welche Möglichkeiten haben wir also? Wenn das Gas nicht mehr in der erwarteten Menge verfügbar ist, müssen Gaskraftwerke möglichst schnell auf Wasserstoff umgerüstet werden. Gleichzeitig geht es um den schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, der noch nicht mit ganzer Kraft auf den Weg gebracht ist (wie z.B. der europäische delegated act zeigt) und sich noch in der Debatte „Champagner oder Sprudelwasser“ verfängt, was schon mit Blick auf den erwähnten § 1 EnWG unverständlich ist, der Gas und Wasserstoff gleichermaßen adressiert. Wir werden zudem die heute noch verfügbaren Kohlekraftwerke länger brauchen als gedacht. Dies bezieht sich im ersten Schritt auf ihren Erhalt in Reserve, denn dann stehen sie für den äußersten Fall noch zur Verfügung. Allerdings hätten sie dort keine Wirkung auf die Energiepreise. Wir brauchen diese Kraftwerke daher noch für eine gewisse Zeit in einer aktiven Rolle, um den Gasmarkt zu entspannen und damit auch den Strompreis zu senken. Dabei wird nicht der Kohleausstieg in Frage gestellt; es geht allein darum, das Potential noch nutzbarer Kraftwerke für einen überschaubaren Zeitraum einzusetzen. Das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (so kritikwürdig an anderer Stelle) widmet sich diesem Thema bereits.
Technisch relativ nahe am Verbrennen von Kohle ist das Verfeuern von Biomasse. Aktuell macht dies einen Anteil von 20% an den Erneuerbaren Energien aus. Die Ampel hat die Relevanz und das Potential der Biomasse als steuerbare Komponente erkannt und eine Biomassestrategie angekündigt. Kontraproduktiv hierzu erscheint die gleichzeitig auf europäischer Ebene stattfindende Diskussion. Natürlich muss bei den verschiedenen Formen von Bioenergie sichergestellt sein, dass der Anbau der Pflanzen nachhaltig erfolgt, dass die Biodiversität geschützt wird und die Landnutzung auch aus dem Blickwinkel von CO2 optimiert erfolgt. Aber wenn das gesichert ist, dann ist es vernünftig, CO2 z. B. in Möbeln oder Holzhäusern zwischenzuspeichern und Alt-, Rest- und Totholz für energetische Zwecke zu nutzen. Perspektivisch bietet das Verbrennen von Biomasse in Kombination mit dem Abscheiden von CO2 eine der heute schon technisch einsetzbaren Möglichkeiten für negative Emissionen.
Und auch jenseits des simplen Brennstoffwechsels gilt es, offen zu denken. Die Kohlekraftstandorte müssen schnell weiterentwickelt werden, vielleicht zuerst zu dekarbonisierten Erzeugungsanlagen (z. B. mit Biogas oder Biomasse als Brennstoffen) und dann am besten zu Energiehubs, in denen Strom, Gas/Wasserstoff und Wärme zusammenkommen. In zahlreichen deutschen Kohlestandorten schlummert Potential für Sektorkopplung, Energiespeicherung, für steuerbare und dekarbonisierte Erzeugung, eingebunden in einer idealen Infrastruktur.
Hierfür brauchen wir ein geeignetes Strommarktdesign, das ein solches Umrüsten sinnvoll ermöglicht und die geeigneten Rahmenbedingungen für entsprechende Investitionen setzt. Ein neues Marktdesign hat die Ampelkoalition bereits in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Wichtig ist hier, ein Design zu entwickeln, das steuerbare Erzeugungskapazitäten als Ergänzung zur volatilen Erzeugung aus PV und Wind ermöglicht, ohne Anreize zur Maximierung der Betriebsstunden zu setzen. Der Einsatz der Energieträger ist kostbar; das Marktdesign muss den Wert der Flexibilität dieses Einsatzes würdigen. Ebenso muss es von europäischer Seite flankiert werden.
Umstieg statt Ausstieg
Wenn wir über Versorgungssicherheit sprechen, müssen wir über das Thema Energienetze reden. Ohne Infrastruktur, die die Energie zum Verbraucher führt, bringen uns die größten Erzeugungskapazitäten nichts. Auch hier gilt: Aus Effizienzgründen sollte man das Bestehende transformieren, anstatt es vollständig zu ersetzen. „Upcycling“ statt „Obsoleszenz“!
So wie sich ehemalige Kohlekraftwerke zu dekarbonisierten Infrastrukturstandorten transformieren lassen, lassen sich Gasnetze zu Wasserstoffnetzen nach und nach umwidmen. Dennoch führen wir aktuell eine Diskussion darüber, ob Gasnetze in Zukunft überhaut gebraucht werden. Ein zu verengter Fokus auf eine vermeintliche „all-electric“-Zukunft birgt Gefahren – insbesondere in der Wärmeversorgung. Realistischer – insbesondere in Anbetracht von Sanierungsstau und Fachkräftemängel – ist es, dass es auch künftig in der Wärmeversorgung gasbasierte Technologien geben wird, die dann auf Wasserstoff oder grünen/ dekarbonisierten Gasen beruhen. Entsprechend ist es volkswirtschaftlich sinnvoll, die Gasnetze, ein Asset immerhin im Werte von 270 Mrd. €, behutsam und im Einklang mit den anderen Klimawendestrategien anzupassen. Gleichzeitig stünde die Expertise der Gasnetzbetreiber zur Verfügung, um den Wasserstoffhochlauf infrastrukturseitig zu stemmen.
Fazit
Um unsere Versorgungssicherheit heute und künftig sicherzustellen, müssen wir alles Potential ausschöpfen, das wir haben. Es ist nicht die Zeit, Technologien oder Infrastrukturen von vornherein auszuschließen. Die Unternehmen wiederum sind bereit, ihren Teil zum Umbau unserer Energieversorgung zu leisten. Dabei dürfen sie erwarten, dass jeder Stein, der ihnen hierbei im Weg liegt, zügig und ideologiefrei beiseite geräumt wird.
Prof. Dr. Ines Zenke