DIE DEUTSCHE VOLKSWIRTSCHAFT SICHERN – WHATEVER IT TAKES

©
iStock bluejayphoto

 

 

In den letzten Wochen hat das Präsidium des Wirtschaftsforums der SPD in zahlreichen Diskussionen und mit unterschiedlichen ExpertInnen über die Bewältigung der aktuellen Krise gesprochen. Dabei war unsere Diskussion immer wieder davon geprägt, dass wir einerseits bereits in den Abgrund der größten Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg blicken und andererseits erstmals seit 1945 keinen kalten, sondern einen heißen Krieg, der keinen Sezessionskonflikt darstellt, erlebt. Der völkerrechtswidrige Krieg Russlands gegen die Ukraine braucht eine große, unwiderrufliche Antwort. Dabei haben die europäischen Demokratien einen enormen Vorteil gegenüber den Oligarchien wie Russland: Sie leben für die eigene Zukunft und nicht allein für das Jetzt. Darum muss die Antwort auf diesen Krieg auch eine generationenübergreifende Dimension haben. Wir müssen Europa und unsere Werte jetzt und für die kommenden Jahrzehnte verteidigen.

Die Bundesregierung hat insbesondere in der letzten Woche mit der Ankündigung der Ausstattung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) um zusätzliche 200 Milliarden kurzfristig für Stabilität gesorgt. Das war ein richtiger und wichtiger Schritt, für den die Ampel-Regierung gelobt werden muss. Allerdings wird es zu einer langfristigen und nachhaltigen Bewältigung der Krise eine Ergänzung zu den bisherigen Maßnahmen brauchen, denn Knappheiten und Produktionsstrukturen müssen sich im Rahmen der gegenwärtigen Krise verändern. Dies wird nur durch Investitionen möglich sein. Darum haben wir einen Sicherheits- und Transformationsfonds vorgeschlagen, mit dem die Bundesregierung ein weitreichendes volkswirtschaftliches und außenpolitisches Signal gibt: die Bundesregierung, Deutschland und Europa werden alles tun, um Industrie, Mittelstand und KMU zu schützen, Produktion und Beschäftigung zu erhalten und die gegenwärtigen Engpässe langfristig zu beseitigen. Ein solches Signal ist inmitten der derzeitigen Lage der Unsicherheit und Volatilität eine wichtige Gesamtantwort auf die Krise, die über die Entwicklung von Einzelmaßnahmen hinaus geht. Das vorgeschlagene Volumen des Fonds wird auf 800 Milliarden Euro beziffert, sodass wir – zusammen mit den zuletzt verkündeten 200 Milliarden – auf insgesamt 1 Billion Euro kämen, die im Rahmen des „Whatever it takes“ anfallen würden. Damit untermauert die Bundesregierung in Richtung Wirtschaft und Öffentlichkeit die Glaubwürdigkeit des neuen Ansatzes.

Ein solcher Fonds ist mehrerlei: Er stellt eine unmissverständliche Antwort auf Putins Konfrontation dar und macht klar, dass er uns ökonomisch nicht in die Knie zwingen wird. Er ist aber auch ein deutliches Signal an die Märkte, dass es keinen Sinn ergibt, darauf zu spekulieren, dass uns in der Energiebeschaffung die Luft ausgehen wird. Denn schon heute zeigt sich, dass nur ein Teil der Marktpreise wirklich durch Beschaffungsengpässe zu erklären ist. Vielmehr stecken dahinter erwartete Marktengpässe und Spekulationen über Verknappungen, an denen sich zahlreiche Markthändler in den vergangenen Wochen offenbar mehr als nur eine goldene Nase verdient haben. Experten erwarten, dass ein solcher Fonds sofort beruhigende Wirkung auf die Märkte entfalten wird.

Doch was soll mit einem solchen Fonds geschehen? Geld allein löst keine Probleme, es kommt auf einen sinnvollen Einsatz zur Überwindung der akuten Krise an, aber auch zum Aufbau neuer Strukturen und Infrastrukturen für eine mittel- und langfristige Antwort, die auch die Rückkehr zur Klimapolitik erlaubt.

Akut stehen vor allem drei Punkte im Vordergrund:

Erstens: Zwingend ist eine Gas- und Strompreisbremse, wobei letztere nicht den funktionierenden Teil des Strommarktes außer Kraft setzen soll, sondern bspw. die Herausnahme der Gasverstromung aus dem Market Clearing Price und die gesonderte Vergütung der GasKW beinhalten kann.

Zweitens: Wenn es zu Marktverwerfungen kommt, müssen alle wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Instrumente zur Verfügung stehen, um Fachkräfteverlust und flächendeckende Unternehmensinsolvenzen zu verhindern. Die Bundesagentur für Arbeit hat bspw. mit ihrem Kurzarbeitergeld in der Coronakrise gezeigt, wie wichtig diese Instrumente sind. Allerdings sind die Rücklagen dafür verbraucht und müssen wieder aufgefüllt werden.

Drittens: Gezielt eingesetzt, können auch befristete Steuer- und Abgabenerleichterungen helfen. Sei es, um die Energiekosten zu senken, sei es, um einen Zusammenbruch der Investitionstätigkeiten zu verhindern. Zugleich müssen wir sicherstellen, dass auch die private Kaufkraft nicht zusammenbricht, damit hier keine krisenverstärkenden Faktoren hinzutreten.

Der Fonds bietet zugleich die Basis, um in der Krise umso notwendigere, aber zugleich zukunftsgerichtete Investitionen in die Transformation unseres Energiesystems zu tätigen. Der Ausstieg aus Kohle, Braunkohle und Kernenergie und der Umstieg in die volatile Welt der Erneuerbaren Energien sollte mithilfe einer Gas-basierten Brücke in die postfossile Zukunft gestalten werden. Heute ist unsicher, ob diese preislich und von den CO2-Emissionen her gesehen sehr attraktive Brückentechnologie noch in dem angestrebten Maße zur Verfügung stehen wird, auch wenn bis 2024 verstärkt LNG und neues Pipelinegas nach Deutschland kommen wird. Das bedeutet, dass die Energie- und Klimawende noch stärker forciert werden muss. Selbst der sehr ambitionierte Fahrplan der Koalition kann sich als zu langsam herausstellen. Darum wird der Großteil des Sicherheits- und Transformationsfonds für die Transformation in Deutschland benötigt werden.

Die folgende Aufzählung ist daher nicht abschließender Natur, sondern eher beispielhaft zu verstehen.

Erstens: Ein beschleunigter Ausbau Erneuerbarer Energien, insbesondere in großtechnologischen Dimensionen wie Offshore Windparks oder Großflächen PV, erfordert ggf. Eigenkapital- gleiche Hilfen für mehr Investitionen in kürzerer Zeit.

Zweitens: Dies gilt umso mehr für den beschleunigten Ausbau der entsprechenden Netzinfrastrukturen – auf allen Verteilebenen.

Drittens: Auch die Wärmewende wird enorme Kapitalmengen erfordern.

Viertens: Zulieferketten müssen stabilisiert und ausgebaut werden. Dies erfordert Investitionen und zumindest Sicherheiten und Planbarkeiten für die Zulieferer, die in der Vergangenheit so nicht gegeben waren. Beispielhaft können hier die Investitionen in den Umbau bestehender Werftstandorte für die Offshore-Industrie genannt werden.

Fünftens: Neue Technologien müssen bis zur Marktreife entwickelt und dann in die Marktskalierung hinein anfinanziert werden. Dies gilt insbesondere für Wasserstoff-Technologien und den Umbau der Gasnetze hin zu Wasserstoffnetzen sowie Wasserstoff-Derivate.

Sechstens: Investitionen in eine höhere Energieeffizienz und Zirkularität der Wirtschaft, die sich wiederum günstig auf die Energiepreise auswirken, unsere Abhängigkeiten verringern und zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen würde.

Sowohl gezielte Entlastungen wie auch Investitionen in die Transformation der Wirtschaft wären mithilfe des Sicherheits- und Transformationsfonds abgesichert. Dabei bietet der Fonds die nötige Flexibilität, um mit den gegebenen Knappheiten im Markt fertigzuwerden. Die Verfügbarkeit einer Billion Euro heißt nämlich nicht, dass 1 Billionen Euro ohne Zielrichtung und Steuerung verteilt werden. Ein solcher Ansatz wäre bei den derzeitigen Engpässen inflationär. Vielmehr steht diese Summe an Investitionen und Entlastungen bereit, damit der Staat darauf strategisch zurückgreifen kann.

Kurz- und langfristig bietet so ein Fonds damit eine passende Antwort auf die Dimensionen der Krise. Kurzfristig würde er die Unsicherheiten in der Wirtschaft reduzieren und die bisher ergriffenen Maßnahmen flankieren können, sollte dies denn notwendig sein. Es geht darum, absolut sicherzustellen, dass wir kurzfristig eine Pleitewelle mit potenziellen Kaskadeneffekten vermeiden, denn dies hätte erhebliche langfristige Auswirkungen, da Deindustrialisierung und rapide Verluste der Produktionskapazitäten – historisch betrachtet – nur über einen langen Zeithorizont zu restaurieren sind.

Allerdings ist ebenfalls klar, dass der hohe Preisanstieg gegenwärtig reale Knappheiten widerspiegelt. Oberstes Ziel der Politik muss es deshalb sein, über zielgerichtete Investitionen die Knappheiten zu überwinden und dabei, wenn möglich, privates Kapital mitzunehmen (durch den sogenannten „crowding-in“ Effekt). Eine Überwindung der Knappheiten durch eine Ausweitung des Angebots – infolge getätigter Investitionen und daraus resultierender Innovationen – war und ist die große Stärke einer dynamischen Marktwirtschaft. Darauf müssen wir auch in der derzeitigen Knappheitskrise setzen. Da ein Rückgang der Energiepreise auf das Niveau vor der Krise unwahrscheinlich erscheint, ist dies der einzige Weg, die Probleme langfristig und nachhaltig zu überwinden. Selbst ohne höhere Inflationsraten wäre ansonsten das Preisniveau in den nächsten Jahren erdrückend für Wirtschaft und Gesellschaft.

Zur Finanzierung des Fonds sind unterschiedliche Instrumente vorstellbar. Auf der einen Seite kann in Kooperation mit den Finanzmarktakteuren und europäischen Institutionen auf sogenannte „Consols“ zurückgegriffen werden – Anleihen, die mit einer unendlichen Laufzeit und Null-Prozent Coupon-Zahlungen einhergehen. Technisch wäre dies machbar und wurde bereits im Zuge der Finanzierung des Recovery Funds der Europäischen Union diskutiert. Sollte die Emission jedoch auf politische und rechtliche Widerstände treffen, was absehbar wäre, so können alternativ auch Consols mit niedrigen Zinszahlungen emittiert werden. Wir sehen derzeit, dass die Renditen auf langfristige Anleihen unter denen der kurzfristigen Anleihen liegen, sodass wir von der fallenden Zinsstrukturkurve profitieren könnten, wenn wir schnell handeln.

Nebst der Emission von Consols wäre eine zweite Methode der Refinanzierung das Einsammeln von Steuern. Einen Beitrag könnte beispielsweise eine spezielle Energieertragssteuer liefern, die bereits in der aktuellen Situation für solche Energiegeschäfte erhoben wird, in denen gegenwärtig sehr hohe Windfall Profits erzielt werden. Ein weiterer Baustein kann eine mittel- bis langfristig gestaffelte Umlage darstellen (vergleichbar mit dem Solidaritätszuschlag), die erst erhoben wird, wenn nach Abflauen spekulativer Unruhen in den Märkten und einer erreichten Unabhängigkeit von russischem Pipelinegas die Preise rückläufig sind und damit im Vorgriff auf die zukünftige wirtschaftliche Stärke Deutschlands erfolgt. Eine dritte Komponente sind Erträge der CO2-Bepreisung, die in dem Maße eingebracht werden, wie der Sicherheits- und Transformationsfonds auch in den Ausbau Erneuerbarer Energien und der hierfür erforderlichen Infrastrukturen fließt. Dies erlaubt es, auch spezielle Finanzprodukte zum Fonds zu entwickeln, um so auch private Akteure in die Finanzierung der Energiesicherheit einzubinden. Die Einbeziehung privater Kapitalgeber durch eine gesonderte Form von Bundeswertpapieren oder vergleichbarer Kapitalmarktinstrumente ist demnach die vierte Säule der Finanzierung.