Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse als zentraler Baustein einer erfolgreichen Standortpolitik

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Die Energiekrise hat die deutsche Wirtschaft schwer getroffen. Nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie gab es Ende 2021 begründete Hoffnung auf eine kräftige wirtschaftliche Erholung. Stattdessen haben der russische Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Energiepreisschock die deutsche Wirtschaft in eine Rezession gedrückt. Zudem ist derzeit keine Besserung in Sicht und es droht eine längere Phase der Stagnation.

Jede Krise ist auch eine Chance. Die fossile Energiekrise 2022 wird die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität unweigerlich beschleunigen. Das ist gut für den Klimaschutz, aber nicht unbedingt gut für die Wirtschaft und es sind zwei Szenarien denkbar. Im Negativ-Szenario führt die Beschleunigung der Klimatransformation zu Wohlstandsverlusten und der gesellschaftliche Zusammenhalt wird geschwächt. Im Positiv-Szenario entsteht ein neuer Wirtschaftsboom getrieben durch Investitionen in klimaneutrale Technologien, der hochwertige Arbeitsplätze schafft und die soziale Gerechtigkeit stärkt.

Das Positiv-Szenario kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn die Bundesregierung jetzt die wirtschaftspolitischen Weichen stellt. Dazu müssen die wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise abgefedert und die transformativen Investitionen gestärkt werden. Dies erfordert eine öffentliche Investitionsoffensive und die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse, um krisenbedingte Unsicherheiten zu reduzieren und Investitionen in strombasierte Produktionsanlagen attraktiver zu gestalten. Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist ein wichtiger Baustein einer übergreifenden wirtschaftspolitischen Strategie, die den deutschen Wirtschaftsstandort stärkt und eine neue Wachstumsphase einläuten kann.

In einer neuen Studie analysiere ich die Auswirkungen von Strompreisbremse und schlage vor, eine modifizierte Strompreisbremse perspektivisch bis 2030 zu verlängern. Die wesentlichen Elemente der Modifizierung sind:

  • Modifikation I: Garantierter Nettopreis von 10 ct/kWh für Stromkunden mit Jahresverbrauch über 30.000 kWh und ein garantierter Bruttostrompreis von 35 ct/kWh für Stromkunden mit Jahresverbrauch unter 30.000 kWh.
  • Modifikation II: Garantierter Nettopreis von 6 ct/kWh für energieintensive Unternehmen, die eine Transformationsverpflichtung eingehen und eine Standort- und Beschäftigungsgarantie abgeben.
  • Modifikation III: Zusätzliche Reduktion des Nettostrompreises um 1 ct/kWh für Unternehmen mit

Die Finanzierung der Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse sollte aus Mitteln des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) erfolgen, der bereits zur Finanzierung der aktuellen Gas- und Strompreisbremse verwendet wird. Eine Finanzierung aus dem WSF ist gerechtfertigt, denn es handelt sich – wie die vorliegende Studie zeigt – um eine zeitlich befristete Maßnahme zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Energiekrise. Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist also eine Maßnahme zur Bekämpfung von Krisenfolgen, die gleichzeitig eine Brücke zur klimaneutralen Zukunft schlägt. Eine Finanzierung dieser Maßnahme aus dem WSF ist daher auch rechtskonform. Darüber hinaus ist eine Finanzierung dieser Maßnahme aus dem WSF finanzpolitisch und makroökonomisch sinnvoll, denn es erfordert keine weiteren Ausgabenkürzungen im aktuellen Regierungsentwurf für den Bundeshaushalt 2024 und den Finanzplan 2025 – 2027.

Das ökonomische Argument für die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist, dass die Energiekrise zu Turbulenzen im Strommarkt geführt haben, die noch nicht abgeklungen sind und den Marktpreis für Strom in Deutschland über sein langfristiges Gleichgewichtsniveau gehoben haben. In der erwähnten Studie wird dieser langfristige Preis auf Basis der Stromgestehungskosten auf 5 ct/kWh bis 8 ct/kWh geschätzt. In den Vorkrisenjahren lag der durchschnittliche Börsenstrompreis bei rund 4 ct/kWh und aktuell liegt der Marktpreis bei circa 10 ct/kWh. Der aktuelle Strompreis übersteigt also krisenbedingt den langfristigen Strompreis und es wird eventuell noch einige Zeit dauern, bis der Strompreis auf sein langfristiges Niveau von 5 ct/kWh bis 8 ct/kW fällt. Die Verlängerung der Strompreisbremse über das Jahr 2023 hinaus ist daher ökonomisch sinnvoll. Eine solche Maßnahme bekämpft Krisenfolgen und schlägt gleichzeitig die wirtschaftliche Brücke zur klimaneutralen Zukunft. Die fiskalischen Kosten der Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse werden auf 20 bis 60 Milliarden Euro geschätzt, wobei diese Abschätzung mit hoher Unsicherheit behaftet ist.

Der Börsenstrompreis wird nur auf das hier berechnete langfristige Gleichgewichtsniveau fallen, wenn der deutsche bzw. europäische Strommarkt einem funktionierenden Strommarkt entspricht. Dazu müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Erstens sollten die Ausbauziele der Bundesregierung für erneuerbaren Energien erreicht werden. Zweitens müssen Marktdesign und Regulierung sicherstellen, dass exzessive Preisvolatilität minimiert und gleichzeitig die notwendigen Investitionen gestärkt werden. Die Frage des Marktdesigns steht im Fokus der aktuellen Debatte zur europäischen Strommarktreform und beinhaltet das Design der Ausschreibungen für Investitionen in erneuerbare Energien. Die vorliegende Studie zeigt, dass staatliche Differenzverträge (contracts for difference) für den Bau neuer Windkraft- und Solaranlagen einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Reformziele leisten können. Solche Differenzverträge stellen eine staatliche Absicherung gegen langfristige Preisrisiken dar, die private Investitionen in erneuerbare Energien stimulieren und die Konvergenz der aktuellen Marktpreise zum langfristigen Gleichgewichtswert beschleunigen.

In der Studie werden zudem die wirtschaftlichen Schäden der Energiekrise 2022 abgeschätzt. Die Analyse zeigt, dass die Energiekrise die deutsche Wirtschaft schwer getroffen hat und bereits zu einem Produktionsverlust von mindestens 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geführt hat. Darüber hinaus sind die Reallöhne in 2022 stärker gefallen sind als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen in 1950. Schließlich droht die Energiekrise 2022 droht im Zusammenspiel mit dem erhöhten Transformationsdruck die deutsche Wirtschaft dauerhaft zu schwächen. Dies könnte fatale Folgen für den Wohlstand in Deutschland haben. Beispielsweise ergeben sich Gesamtkosten von rund 390 Milliarden Euro bis Ende 2024, wenn nicht in der Zwischenzeit die Krisenverluste durch starkes Wachstum kompensiert werden.

Eine Strompreisbremse ist ein direkter Eingriff des Staates in den Preismechanismus und daher ein eher umstrittenes wirtschaftspolitisches Instrument. Es gibt jedoch gute ökonomische Gründe für einen solchen staatlichen Eingriff in Zeiten, in denen Marktpreise krisenbedingt über ihr langfristiges Gleichgewicht hinausgeschossen sind. Eine solche Situation erleben wir derzeit am deutschen bzw. europäischen Strommarkt, und besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen.

Die Bundesregierung hat in der Energiekrise 2022 bereits einmal eine politisch schwierige Entscheidung getroffen, als sie sich gegen ein sofortiges Embargo auf russische Erdgasimporte ausgesprochen hat. Diese zum damaligen Zeitpunkt unpopuläre Entscheidung hat wesentlich dazu beigetragen, dass im letzten Jahr ein Extremszenario mit dramatischen wirtschaftlichen Verlusten vermieden werden konnte. Beispielsweise haben die Bundesbank und die fünf Wirtschaftsinstitute der Gemeinschaftsdiagnose berechnet, dass in einem Risikoszenario im Winter 2022/23 die kurzfristigen BIP- Verluste zwischen 8 Prozent bis über 10 Prozent betragen hätten. Die Bundesregierung muss jetzt nochmals entschieden handeln und eine kraftvolle Antwort auf die Energiekrise und die damit verbundene Transformationsherausforderung geben. Die Verlängerung einer modifizierten Strompreisbremse ist zentraler Bestandteil einer solchen wirtschaftspolitischen Antwort.

 

Prof. Tom Krebs, Ph.D.