Transformative Investitionen als Treiber eines neuen Wirtschaftsbooms?

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Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Ampel-Regierung einen neuen Bundeshaushalt 2024 angekündigt, der radikale Ausgabenkürzungen und Einnahmesteigerungen vorsieht. Die Schuldenbremse soll weiterhin gelten. Diese Entscheidung ist die jüngste in einer Reihe von wirtschaftspolitischen Fehltritten der Ampel-Regierung, die der deutschen Wirtschaft schaden und eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation wahrscheinlicher machen.

Warum handelt die Bundesregierung so? In der öffentlichen Debatte wird üblicherweise auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts oder die Schuldenbremse verwiesen, auf „alternativlose“ Sachzwänge also. Doch das ist nur ein vorgeschobener Grund. Die tiefere Ursache ist eine wirtschaftspolitische Fehldiagnose, welche die Ampel-Regierung von marktliberalen Ökonomen übernommen hat.

Marktliberale Traumwelt

Die Fehldiagnose lässt sich am besten an einer Erzählung illustrieren, die unter Ökonomen und Ökonominnen sehr beliebt ist. Sie beginnt mit der Feststellung, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland kaum gesunken sei und es deshalb den Menschen doch gar nicht so schlecht gehen könne. Zudem fordern manche seit Längerem eine „Normalisierung“ der Finanzpolitik, was letztlich nur ein anderes Wort für die aktuelle Sparpolitik ist. Prominente Energieökonomen wiederholen gebetsmühlenartig das marktliberale Paradigma, dass die anstehende Klimatransformation im Wesentlichen mit einem hohen CO2-Preis bewältigt werden könne. Eine Industriepolitik nach US-amerikanischen Vorbild wird von marktliberalen Anhängern grundsätzlich abgelehnt, weil staatliche Eingriffe in den Preismechanismus immer schlecht für die Wirtschaft seien.

Diese Erzählung aber ist falsch und gefährlich. Sie ist falsch, weil sie auf einer realitätsfremden und empirisch widerlegten Theorie der Wirtschaft basiert, dem Marktliberalismus. Die Erzählung ist zudem gefährlich, weil sie, wie 2023 gesehen, zu einer Wirtschafts- und Klimapolitik führt, die der Wirtschaft schadet. Anders gesagt: Wenn auf die marktliberale Fehldiagnose eine marktliberale Therapie folgt, dann werden sich die Zukunftsängste der Menschen bewahrheiten: Klimaschutz wird mit wirtschaftlicher Stagnation erkauft, also mit degrowth.

Ökonomische Realität

Natürlich muss das nicht passieren, ebenso möglich ist ein Positiv-Szenario, in dem die notwendige Klimatransformation mit wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Gerechtigkeit verbunden wird. Dieses Positiv-Szenario wird jedoch nur Wirklichkeit werden, wenn die Bundesregierung entsprechend energisch handelt. Der Weg zu einer besseren Zukunft beginnt mit einer ehrlichen Analyse der Gegenwart.

In der Realität sind die Menschen zu Recht enttäuscht und verunsichert. Nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie hatten sie auf ein halbwegs normales Leben und eine kräftige wirtschaftliche Erholung gehofft. Stattdessen hat die Energiekrise 2022 hohe Inflationsraten und eine Rezession gebracht. Zwar konnte eine Gasmangellage im Winter 2022/23 verhindert werden, doch die Energiekrise hat die Wirtschaft schwer getroffen und zu hoher Verunsicherung geführt. Überdies mussten die Beschäftigten – trotz der Bemühungen der Gewerkschaften – die höchsten Reallohnverluste der Nachkriegsgeschichte hinnehmen. Schließlich hat der Energiepreisschock den Transformationsdruck dramatisch erhöht: Es drohen gut bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie verlorenzugehen. Das ist die Realität, mit der die Menschen in Deutschland tagtäglich konfrontiert werden.

Es braucht jetzt einen neuen Deutschlandpakt

Der krisenbedingte Anstieg der Preise fossiler Energieträger hat die Klimatransformation beschleunigt und damit das Erreichen der Klimaziele wahrscheinlicher gemacht. Die beschleunigte Transformation wird aber nur dann zum wirtschaftlichen Erfolg führen, wenn die Ampel-Regierung jetzt entschieden handelt und eine öffentliche Investitionsoffensive startet. Es braucht einen neuen Deutschlandpakt, der den Fokus auf eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen legt, damit Wirtschaft und Gesellschaft den Weg aus der Krise herausfinden können. Ohne einen solchen staatlichen Impuls besteht die Gefahr, dass die kurzfristigen Produktions- und Reallohnverluste der Energiekrise zu dauerhaften Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft werden.

Eine am Montag veröffentlichte Studie von mir für das Forum New Economy (pdf) zeigt, wie ein solcher Deutschlandpakt aussehen könnte und welche Wachstumseffekte zu erwarten sind. In dieser Studie argumentiere ich, dass die krisenbedingte Beschleunigung der Transformation dazu geführt hat, dass der Bedarf an öffentlichen Investitionen im Klimabereich um jährlich rund 40 Milliarden Euro angestiegen ist. Dabei fällt der größte Teil auf Bundesprogramme zur Förderung privater Klimainvestitionen und Länderprogramme zur Transformation der kommunalen Infrastruktur. Zudem besteht ein Bedarf an zusätzlichen sozialen Investitionen der öffentlichen Hand von jährlich rund 40 Milliarden Euro, die hauptsächlich im Bildungsbereich (Kitas und Schulen) und im geförderten Wohnungsbau anfallen. Insgesamt würde also ein Deutschlandpakt, der seinen Namen verdient, die öffentlichen Investitionsausgaben um jährlich rund 80 Milliarden Euro oder zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben.

Ein Wirtschaftsboom ist möglich

Die Finanzierung eines solchen Deutschlandpakts ist trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der deutschen Schuldenbremse möglich. Eine ökonomisch sinnvolle Neuberechnung der Konjunkturkomponente schafft erhebliche Spielräume für die Haushaltsjahre 2024 und 2025. Zudem kann für das Jahr 2024 nochmals die grundgesetzlich verankerte Ausnahmeregel zum Tragen kommen. Für die Jahre nach 2025 braucht es jedoch langfristigere Finanzierungsinstrumente. Hier bietet sich ein öffentlicher Transformationsfonds mit Kreditermächtigung zur Finanzierung der Klimainvestitionen an. Eine Erhöhung der Einnahmen aus der Erbschaftssteuer könnte Bildungsinvestitionen finanzieren. Das Einzige, was es dafür braucht, ist der politische Wille.

In der Studie argumentiere ich auf Basis einfacher Berechnungen, dass die erfolgreiche Umsetzung eines transformativen Deutschlandpakts das jährliche Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren auf bis zu drei Prozent anheben könnte. Zum Vergleich: Das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum im Zeitraum 2010 bis 2019 betrug rund 1,5 Prozent. Ein kleines „Wirtschaftswunder“ ist also möglich, aber dazu muss die AmpelRegierung ihr marktliberales Gedankenkorsett ablegen und die öffentlichen Investitionsausgaben massiv ausweiten. Sollte sie hingegen weiterhin darauf beharren, Ausgabenkürzungen und CO2-Bepreisung als zentrale Elemente der Klima- und Wirtschaftspolitik zu verstehen, dann wird das Stagnations-Szenario sehr wahrscheinlich eintreten.

Tom Krebs arbeitet als Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim, ist Senior Fellow des Forum New Economy in Berlin und Mitglied der Mindestlohnkommission.

Dieser Text ist zuerst bei ZEIT ONLINE erschienen.