Was tun nach Karlsruhe? Wie man Investitionen unter dem Regime der Schuldenbremse noch möglich machen kann

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Der SPD Bundesparteitag im Dezember war das erste Mal seit langem ein Parteitag, der um die öffentlichen Haushalte und deren langfristige Ausrichtung gerungen hat.

Es ist müßig, darüber zu sinnieren, wie vorhersehbar die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 zur Schuldenbremse war. Sie ist in ihren Auswirkungen jedenfalls klar:

  • Nettoneuverschuldung oberhalb der engen Grenzen der Schuldenbremse ist nur ausnahmsweise möglich, deshalb kommen Klimafonds, wie sie einige Bundesländer vorgesehen haben, die bis mindestens 2045 jährlich eine Klima-Notlage ausrufen, nicht in Betracht
  • Die Umwidmung von nicht benötigter Nettoneuverschuldung während der Corona-Krise für andere Zwecke wie die Klima-Transformation, ist unzulässig.

Auf der EU-Ebene sprechen die gerade im Dezember 2023 erfolgten Verabredungen im Rahmen eines deutsch-französischen Vorschlags ebenfalls dafür, dass es keinen generellen zusätzliche Netto-Neuverschuldungsspielraum für die Klimatransformation geben wird.

Zwei große Felder für hohen Investitionsbedarf

Die SPD hat sich auf ihrem Bundesparteitag – wie wir finden zu Recht – dafür ausgesprochen, die Schuldenbremse zu ändern und zusätzliche investive (nicht konsumtive) Spielräume zu schaffen. Es besteht aber die Gefahr, dass dieser Ansatz auf der Ebene des Redens stecken bleibt, wenn es nicht gelingt, eine verfassungsändernde 2/3 Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat zu finden. Zudem sollte die SPD sich davon nicht abhängig machen. Als größte Regierungspartei liegt es an ihr, aufzuzeigen, welche Schritte im Sinne von Zwischenlösungen möglich sind, bis die Änderung der Schuldenbremse Erfolg hat.

Wir sehen zwei grundsätzliche Felder mit langfristig hohem Investitionsbedarf. Das erste ist die Klima-Transformation der Industrie und vieler Dienstleistungen. Diesem Feld ordnen wir auch die hohen Investitionen in die Energieerzeugungs- und -verteilinfrastrukturen zu. Das zweite ist die Modernisierung der Daseinsvorsorge in den Feldern Mobilität, Wohnen, Gesundheit und Bildung. Wir konzentrieren uns hier in diesem Kurzpapier auf die beiden ersten Schwerpunkte, Mobilität und Wohnen; zu den beiden anderen werden wir uns zeitnah äußern.

Drei Handlungsansätze

Ein erster Ansatz, der auch in einem der beschlossenen Anträge des Parteitags enthalten ist, zielt auf eine Änderung der Konjunkturkomponente, die stärker auf die Zulassung von Investitionen in konjunkturellen Schwächeperioden und deren positiver Beschäftigungswirkungen ausgerichtet werden kann. Der Bundesfinanzminister von der FDP signalisiert aktuell eine Offenheit für diesen Ansatz.

Ein zweiter Ansatz, der im Rahmen der Schuldenbremse grundsätzlich möglich ist, zielt auf einen Deutschlandfonds. Das ging in der bisherigen Diskussion weitgehend unter. Warum ist das im Rahmen der jetzt gültigen Schuldenbremse möglich? Durch Eigenkapital- Einschüsse in Unternehmen mit einer Ausrichtung auf Innovation steht der Kreditaufnahme im Rahmen der Netto-Neuverschuldung eine Steigerung des Vermögenswerts gegenüber. Unter der – möglichen – Voraussetzung, dass der Fonds wirtschaftlich betrieben wird und deshalb Dividenden erhält und positive Veräußerungserlöse erzielen kann und wird, wird die Kreditfinanzierung eines solchen Fonds nach der Schuldenbremse nicht angerechnet. Der Deutschlandfonds findet sich in zwei der beschlossenen Anträge des Bundesparteitags. Also schlagen wir eine zügige Umsetzung vor.

Im Bereich Mobilität kann das Modernisierungsprogramm in Teilen durch den verbleibenden KTF finanziert werden – und die Darlehensaufnahme dafür wird nicht als Netto-Neuverschuldung angerechnet. Der Rest soll über Verkäufe von Bundesbeteiligungen über Eigenkapitalerhöhungen für die Bahn geleistet werden. Da dies auch eine Finanztransaktion ist, wäre für diese Aktion auch eine höhere Verschuldung zulässig. Da die Renditen aus den Beteiligungen im Schnitt höher sein dürften als die Kreditkosten, wäre der kreditfinanzierte Weg auch der sinnvollere.

Ein dritter Ansatz, der in der öffentlichen Diskussion bisher zu wenig beachtet wird, zielt auf einen sehr großen Darlehensfonds zur Klimatransformation. (West-)Deutschland hat die Erfahrung gemacht, dass größere gesellschaftliche Herausforderungen gut mit Darlehen gelöst werden können. Der wirtschaftliche Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg erfolgte zu wesentlichen Teilen mit den Darlehen des Marshall-Plans. Der soziale Wiederaufbau in den zerstörten Städten bestand in der Bauleistung des sozialen Wohnungsbaus ebenfalls mit Darlehen.

Vielleicht fehlt diesem dritten Ansatz bislang die öffentliche Aufmerksamkeit, weil sich Handelnde im politischen System zu sehr an eine Zeit der Zinsen um 0% gewöhnt haben. Diese Periode markiert aber keine Normalität, gehört mittlerweile der Vergangenheit an und es erscheint extrem unwahrscheinlich, dass die in den für die Klima-Transformation maßgeblichen 20 Jahren wiederkehrt.

Der Typ Darlehen ist zudem besonders gut geeignet, die Klima-Transformation zu finanzieren, weil es dort um den einen ‘Typus der Investition’ geht, der ‘Investitionen vorzieht’. Langlaufende Darlehen können in Zeiten sich normalisierender Zinsen Fördervorteile erzeugen. Wenn statt 30% Zuschuss zu einer Wärmepumpen 60% an 15-jährigem zinslosem Darlehen gegeben werden, entsprechen die Finanzvorteile bei einem ratierlichen Darlehen mit 4% in etwa dem Zuschusswert. Klimaschutz-Investitionen im Wohnungsbau können und werden auch seit vielen Jahren als Darlehen vergeben.

Beim Wohnungsbau sind bislang gemessen an den Erfordernissen nur unzureichende Mittel vorgesehen. Bürokratieabbau allein reicht nicht aus. Hier könnten langfristig ausgelegte, verbilligte Darlehen die Lösung sein.

Investitionen zur Transformation der Industrie mit günstigen Krediten – bei besonders innovativen Ansätzen bis hin zur Freistellung von Zinszahlungen – zu unterstützen, zu beschleunigen und die Produktion der entsprechenden Güter industriell skalieren zu helfen, muss ein weiterer Schwerpunkt eines solchen Darlehensfonds sein.

Bei dieser Konstruktion entsteht kein der Schuldenbremse unterliegender Fall von Neuverschuldung, da die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler ja nicht in der Zukunft die Kredite zurückzahlen müssen, sondern die Investoren, die im Übrigen auch von den Investitionen in Zukunft profitieren. Also entsteht gar kein ‘Fall’ für das BVerfG.

Zusätzliche Klima-Investitionen und Dokumentation

Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Klima- Transformations-Investitionen und nicht mit den Modernisierungs-Investitionen, weil es bei einem Teil noch gesondert auf die Zusätzlichkeit zu den ‚normalen’ Haushaltsinvestitionen ankommt.

Die KfW hat im Herbst 2021 eine Studie zu den erforderlichen Investitionen in Deutschland vorgestellt, um das Land bis 2045 klimaneutral werden zu lassen. Die Investitionen insgesamt werden auf 5000 Milliarden Euro geschätzt, der darin enthaltene zusätzliche Investitionsbedarf wird mit 1900 Milliarden Euro angegeben. Geht man – vereinfacht – davon aus, dass der ‘normale’ Investitionsbedarf sich so auf private Investitionen und Investitionen des öffentlichen Sektors aufteilt, dass er mit der ‘normalen’ Entwicklung der Haushalte gestemmt werden kann, verbleiben zusätzliche Investitionen von 1900 Milliarden, die gesondert erbracht werden müssen. Dabei kann ein Klimafonds eine wichtige Rolle spielen. Um das am Beispiel eines Bundeslandes zu zeigen: wiederum vereinfacht soll angenommen werden, dass für Berlin ein Investitionsbedarf entsprechend des Königsteiner Schlüssels entsteht. Dieser liegt (2019) bei 5,19% der deutschen Investitionen bei einem Bevölkerungsanteil von 4,41% – was etwa 99 Milliarden Euro entspricht, verteilt auf 20 Jahre also etwa 5 Milliarden Euro pro Jahr.

Die Bruttoanlageinvestitionen des Staates Deutschland betrugen (2022) 101 Milliarden Euro, die der nichtstaatlichen Sektoren 771 Milliarden Euro. Die staatlichen Investitionen betragen also 11,6% der Gesamtinvestitionen. Rundet man das auf 12%, weil vermutlich von der staatlichen Seite Anreize für die Privatinvestitionen notwendig werden, geht es für ein Bundesland wie Berlin um die Größenordnung (und mehr als eine Plausibilisierung kann es hier nicht sein) der zusätzlichen öffentlichen Klimainvestitionen von 590 Millionen Euro pro Jahr. Das wäre durch einen auf Darlehen ausgelegten Fonds leistbar, die Klimatransformation könnte also gelingen. Ein ähnliches Beispiel lässt sich für die Bundesebene aufstellen.

Dokumentation der zusätzlichen Investitionen

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts atmet die Befürchtung, dass der bundesdeutsche Staat sich nicht den erforderlichen Prioritätensetzungen stellt, die er sich selbst durch die jedenfalls heute gültige Schuldenbremse auferlegt hat. Deshalb ist es wichtig, zu dokumentieren, dass es sich bei den Aktivitäten des Darlehensfonds

  • um zusätzliche Investitionen zum Erreichen des Ziels der Klima-Transformation handelt und
  • dass die Investitionsentscheidungen auch unter Klimagesichtspunkten priorisiert werden. Die grundsätzlich dafür zur Verfügung stehenden Methoden sind bei Klimainvestitionen die Maximierung der je investiertem Euro erreichten Klimagas-Vermeidungseffekte und bei Anpassungsinvestitionen die Maximierung der je investiertem Euro erreichten Senkung der Versicherungskosten für Klimaschäden.

Angesichts der Größe und der Bedeutung der Herausforderung des klimaneutralen Deutschlands bietet sich die Bildung eines Fonds für den Zeitraum bis (mindestens) 2045 an. So ist es möglich, die Investitionen zu verfolgen und bei Bedarf nachzusteuern. Dabei ist zu beachten, dass es nicht nur um die Berichterstattung über die zusätzlichen Investitionen geht, sondern auch die mehr als zweieinhalb Mal so hohen ‘normalen’ Investitionen, die getrennt zu erfassen sind. So kann der Gefahr entgegengewirkt werden, dass ‘normale’ Investitionen nicht mit der gebotenen Intensität verfolgt werden – in dem Moment, wenn der Fonds eingerichtet ist. Zudem ist die umfassende Berichterstattung erforderlich, um über etwaiges Nachsteuern sachgerecht entscheiden zu können.

Für die ‘normalen’ Investitionen kann die Berichterstattung über eine (ggf. anzupassende) Darstellung im Haushalt erfolgen. Es ist sowohl möglich, sich eine doppische wie eine kamerale Berichterstattung vorzustellen. Die Berichterstattung im Fonds kann der für den Haushalt entschiedenen Berichterstattung angepasst werden. Das erscheint sachgerecht, weil der Haushaltsanteil deutlich überwiegt.

Bei der Auswahl der Maßnahmen und Projekte, die am besten in einem jährlichen Rhythmus erfolgt, scheint das geeignete Kriterium zu sein, wo pro eingesetztem Euro am meisten Hebeleffekt zur Vermeidung klimaschädlichen Emissionen erreicht wird. Es sollte verbindlich vorgesehen werden, dass nach der Umsetzung der Maßnahmen auch eine Ergebniskontrolle für die Berichterstattung erfolgt. So kann auf Sicht der Konflikt in der öffentlichen Diskussion aufgelöst werden, dass nicht alle Maßnahmen auch den erwarteten Erfolg haben und umgekehrt auch Verhaltensänderungen zu Erfolgen jenseits technischer Lösungen beitragen können.

Fazit

Eine Schuldenbremse verträgliche Lösung für den zweiten und dritten Ansatz könnte so aussehen

  • dass auf zentrale Modernisierungsinvestitionen sowie klimarelevante Investitionen abgezielt wird
  • dass die Zusätzlichkeit der Klima- Transformations-Investitionen dokumentiert werden muss.
  • Förderbanken können auf Bundes- und auf Landesebene die Verwaltungen bei der Umsetzung unterstützen und geeignete Akteure zur Darlehens- oder zur vergütenden Beteiligungs- Ausreichung sein.

Und für kritische Leserinnen und Leser im Bundesfinanzministerium ein Hinweis auf das Kompendium zur Schuldenbremse: „Auch die Vergabe von Darlehen führt zu keiner Beeinflussung der strukturellen NKA (Nettokreditaufnahme, ergänzt durch GWK), da diese gleichzeitig mit einem Aufbau von Forderungen verbunden sind.“ (S. 8, Abschnitt 2.4)

 

Gustav Horn, Matthias Kollatz

 

Dieser Text wurde zuvor von der SPD-Grundwertekommission veröffentlicht.