Die Unternehmen in Deutschland benennen überbordende Bürokratie als Standortnachteil No. 1 – wie zuletzt eine repräsentative Civey-Befragung im Auftrag des Wirtschaftsforums der SPD ergab (März 2024). Insbesondere der Mittelstand wird durch die konstant anwachsende Komplexität regulatorischer Vorgaben in der unternehmerischen Tätigkeit beschränkt. Daher ist es gut und richtig, dass die Bundesregierung den Abbau bürokratischer Entlastungen entschieden angeht, etwa durch Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung oder durch das Bürokratieentlastungsgesetz IV („BEG IV“). Es ist zudem zu begrüßen, dass die SPD-Bundestagsfraktion im parlamentarischen Verfahren gerade auch die Anliegen mittelständischer Unternehmen berücksichtigen möchte, um das BEG IV noch besser zu machen.

Eine tatsächliche Entlastung der Unternehmen muss jedoch über Einzelvorhaben hinausgehen. Um spürbare Fortschritte in der Entbürokratisierung zu erreichen, die in die Breite der deutschen Wirtschaft hineinwirken, möchten wir im Folgenden „7 Goldene Regeln“ für echten Bürokratieabbau formulieren. Ergänzend zu den Einzelvorschlägen der Fachverbände möchten wir damit zu einer grundsätzlichen Herangehensweise ermutigen: möglichst schlanke Regulierungen und einfache Verfahren müssen zu einem Handlungsgrundsatz von Politik und Verwaltung werden. Ein fundamentaler Perspektivwechsel, der politisch gewollt und von der Verwaltung eingefordert wird, ist Grundvoraussetzung, um Unternehmen nachhaltig entlasten und somit den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv zu halten.

1) Nur „Netto-Minus“ bedeutet Bürokratieabbau

Regulierung, Auflagen und Vorgaben entstehen einzeln betrachtet jeweils aus sachlich guten, nachvollziehbaren Gründen. Dennoch muss das Ziel sein, die bürokratische Gesamtlast nicht immer konstant zu erhöhen („Netto-Null“). Bundes-, europa- und landespolitische Vorgaben müssen hier gemeinsam betrachtet werden: Wenn einerseits auf Bundesebene Bürokratie reduziert wird, aber gleichzeitig auf europa- oder landespolitischer Ebene neue Belastungen hinzukommen, werden einzelne, gute Schritte konterkariert. Das – richtige – One in, one out-Prinzip muss zu einer grundsätzlichen Bereitschaft weiterentwickelt werden, Vorschriften aus der Vergangenheit zu prüfen und nötigenfalls aufzugeben. Dazu muss es zunächst deutlich verschärft werden (One in, three out“)

2) Regulierungspause für KMU

Als vertrauensbildende Sofortmaßnahme brauchen wir ein „Belastungsmoratorium“ bzw.eine „Regulierungspause“ insbesondere für KMU. Zugleich müssen die  Maßnahmen zum Bürokratieabbau noch engmaschiger auf die tatsächliche Wirkung für die unternehmerische Praxis überprüft werden. Die modellhaft im BMWK durchgeführten „Praxischecks“ (zur Entwicklung des „Solarpakets“) sind hier beispielhaft und sollten ausgeweitet werden. Maßnahmen zur Bürokratieentlastung, die nicht die gewünschte Wirkung haben, werden sofort durch eine neue ersetzt. Auch sollte der in Gesetzesvorhaben anzugebene „Erfüllungsaufwand“ ganzheitlich gerechnet werden und z. B. auch Umstellungsaufwände oder EU-rechtliche Vorgeben beinhalten.

3) Gold Plating vermeiden

Nicht zuletzt bei der nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen („CSRD“) wird die Beschränkung auf eine 1:1-Umsetzung des EU-Rechts gewürdigt. Dennoch muss der Verzicht auf s. g. Gold Plating noch mehr als Normalfall und nicht als besondere Errungenschaft angesehen werden. Im Vertrauen auf die Stärke des europäischen Binnenmarktes darf nationaler Regulierungsehrgeiz a priori nicht zur Verschärfung europäischer Vorgaben führen.

4) Entscheidungskultur stärken

Die theoretische Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren können nur dann wirksam werden, wenn die zuständigen Behörden diese praktisch umsetzen. Neben der bekannten Notwendigkeit, Behörden technisch und personell angemessen auszustatten, braucht es die Leitlinie: Verfahren müssen effizient, partnerschaftlich und zielgerichtet durchgeführt werden. In Genehmigungsverfahren, in denen mehrere Behörden beteiligt sind, sollte die federführende Behörde gestärkt werden. Zudem sollten Verfahren durch die Abschichtung mittels Teilentscheidungen attraktiver gestaltet werden.

5) Reallabore großzügig ermöglichen

Reallabore und Experimentierräume können wichtige Testräume für Technologien und Innovation sein und den Transfer zwischen Forschung und Innovation einerseits und der (unternehmerischen) Praxis andererseits fördern. Jedoch gibt es trotz anhaltender Diskussion hierfür keine übergreifenden Standards und rechtlichen Möglichkeiten. Im Zuge des geplanten Reallabor-Gesetzes sollte offensive Chance zur deutschlandweiten Einführung von entbürokratisierten „Sonderwirtschaftszonen“ genutzt werden. Ziel muss sein, unseren Rechtsrahmen fit für Innovationen zu machen.

6) Prüf- und Kontrollintervalle dynamisieren

Unternehmerische Eigenverantwortung und Sorgfalt muss stärker belohnt werden: Diejenigen Unternehmen, die in regelmäßigen Sicherheitsprüfungen, Schutzkontrollen etc. allen Auflagen entsprechen und keine Beanstandungen vorweisen, sollten durch ein größeres Prüfintervall entlasten werden – umgekehrt werden diejenigen Unternehmen häufiger kontrolliert, die regelmäßig gegen Standards und Normen verstoßen. Ein solches System der dynamischen Prüfintervalle stellt einen praktischen Anreiz dar, eigenverantwortlich der unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachzukommen und somit den Aufwand für Sicherheitsüberprüfungen und ähnliche Kontrollen zu verringern.

7) Genehmigungsfiktionen einsetzen

Im Interesse der gemeinsamen Sache für Klimaschutz, wirtschaftliche Prosperität und digitalen Fortschritt: Das Zusammenspiel von Unternehmen und Behörden muss von der grundsätzlichen Idee geleitet sein, praktische Herausforderungen lösen zu wollen. Wo erforderlich, muss der Dienstleistungscharakter gegenüber dem Kontrollcharakter gestärkt werden. Beispielsweise sollten gute Instrumente wie die Einführung von Genehmigungsfiktionen lösungsorientiert gelebt werden und nicht durch formale Prozessschritte konterkariert werden.

 

Prof. Dr. Susanne Knorre

Michael Wiener