Die Vorsitzenden des Politischen Beirats des SPD-Wirtschaftsforums, Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, und Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger haben sich in einem Positionspapier dafür ausgesprochen, die Schuldenbremse durch die Einführung der Goldenen Regel zu modifizieren. Heute können Sie den Vorschlag auch im Blog nachlesen.

 

Nach fünf Jahren ohne Wachstum und mit der schwersten Reallohnkrise der Nachkriegszeit steht das Land vor enormen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Energiekrise von 2022 hat tiefe Spuren hinterlassen, und die Gesamtkosten der Krise könnten sich bis Ende 2024 auf 10% des jährlichen BIPs, etwa 390 Milliarden Euro, belaufen. Der private Konsum liegt derzeit unter dem Niveau der Vorkrisenzeit. Hinzu kommt, dass finanzielle Engpässe für erhebliche Investitionsrückstände gesorgt haben. Gerade auf kommunaler und Länderebene gingen öffentliche Investitionen zurück, und der Kapitalstock des Landes hat im internationalen Vergleich deutlich an Modernität eingebüßt. Dies führt zu einem maroden Infrastrukturnetz, einer schleppenden Digitalisierung und überlasteten öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Gesundheitssystemen.

Die deutsche Wirtschaft braucht ein Update, das sie fit macht für das 21. Jahrhundert. Dazu gehört auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Klimaneutralität 2045. Funktionierende Infrastrukturen und öffentliche Güter sind dabei das Rückgrat, ohne das die Transformation nicht bewältigt werden kann. Um diese Grundvoraussetzungen zu schaffen, muss investiert werden – und zwar massiv. Bei allem gebotenen Respekt vor der Höhe der Bedarfe und der Investitionssummen sollte auch nie vergessen werden, dass die Kosten der Klimaschäden die notwendigen Ausgaben um ein Vielfaches übersteigen, sollten wir untätig bleiben.

Die Goldene Regel als Lösung

In diesem Kontext schlagen wir als Vorsitzende des Politischen Beirats des Wirtschaftsforums der SPD vor, die Schuldenbremse durch die Einführung der Goldenen Regel zu modifizieren. Diese Regel würde öffentliche Nettoinvestitionen in wichtige Bereiche wie Infrastruktur und Bildung von der Schuldenbremse ausnehmen, während konsumtive Ausgaben weiterhin auf die laufenden Einnahmen begrenzt blieben.

Die klimaneutrale Transformation ist eine Generationenaufgabe, die jedoch nicht von dieser Generation alleine gestemmt werden kann. Mit der Modifizierung der Schuldenbremse, die uns Spielräume für sinnvolle Mehrausgaben gibt, schaffen wir den besten Ausgleich zwischen langfristigen Investitionen und nachhaltigen Schulden, da Investitionsausgaben in Infrastruktur, Bildung, Forschung und nachhaltige Technologien nicht nur der aktuellen Generation zugutekommen. Es ist an dieser Stelle essenziell zu betonen, dass Investitionen nicht nur Beton und Maschinen betreffen, sondern vor allem auch für die Entwicklung von Wissenskapital relevant sind. Da Deutschland kein Land ist, das einen Vorteil bei natürlichen Ressourcen besitzt und zudem mit erheblichen demografischen Problemen kämpft, bleiben das Humankapital und geistiges Eigentum ein entscheidender Faktor für Produktivität und Wohlstand – und damit die Grundlage dafür, dass in Zukunft weniger junge Menschen durch eine produktivere Wirtschaft mehr alte Menschen versorgen können. Investitionen, die heute getätigt werden, schaffen damit die Basis für zukünftiges Wachstum, Wohlstand und eine sozialökologische Nachhaltigkeit. Auf dieser Grundlage können auch künftige Generationen an der Finanzierung beteiligt werden, sodass die Goldene Regel nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch der Generationengerechtigkeit dienlich ist. Die Goldene Regel sollte sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene gelten, damit die finanziellen Spielräume ebenfalls bei Ländern und Kommunen verbessert werden, die das Gros der öffentlichen Investitionen tragen.

Verbesserung der Anreizstrukturen

Zudem fördert die Goldene Regel eine effizientere Verwendung staatlicher Mittel. Indem sie Anreize für Investitionen schafft, durchbricht sie die schädliche Anreizstruktur des gegenwärtigen Modells: Fallen alle Formen von Staatsausgaben unter die Schuldenbremse, dann werden Investitionen, die den Bürgerinnen und Bürgern auf kurze Sicht Unannehmlichkeiten bereiten (bspw. durch Staus und Bauarbeiten) und erst auf lange Sicht ihre Wirkung entfalten aufgrund der kurzen Wahlzyklen naturgemäß weniger priorisiert. Konsumausgaben hingegen, deren Kürzungen sich sofort auf die Einnahmen der Haushalte und Unternehmen auswirken, bleiben unangetastet. Hinzu kommt, dass kurzfristige Ausgaben, wie etwa beim Sozialstaat, nicht von heute auf morgen verändert werden können, da sie gesetzlich gebunden sind. Investive Ausgaben hingegen lassen sich viel einfacher streichen oder auslaufen. Die derzeitigen Anreize unter der Schuldenbremse sind damit zukunftsfeindlich – und die Einführung der Goldenen Regel würde dies korrigieren. Die Schaffung eines guten Ausgleichs zwischen kurzfristiger Stabilisierung und langfristiger Entwicklung wiederum würde auch den Unternehmen und privaten Haushalten Planungssicherheit für die Zukunft geben, was privaten Investitionen einen Auftrieb geben dürfte.

Vorteile der Goldenen Regel

Selbstverständlich wären auch die sonstigen Reformvorschläge, die derzeit öffentlich diskutiert werden, eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo – seien es unter anderem eine Anpassung der Kreditgrenzen, neue Berechnungsmethoden der Konjunkturkomponente oder Einrichtung von Sondervermögen. Nichtsdestotrotz ist uns bewusst, dass es für die meisten dieser Vorschläge einer Zweidrittelmehrheit bedarf – und wenn diese ohnehin nötig ist, plädieren wir für die nachhaltigste Lösung, die wir in der Goldenen Regel sehen. Sie verspricht eine langfristige Planungssicherheit für den Privatsektor und eine stabile öffentliche Investitionspolitik, ohne dass man über die Konjunkturkomponente Transformationspolitik gestalten sollte oder, dass sich mit Abfluss der Mittel aus einem Sondervermögen wieder neue Streitigkeiten und Unsicherheiten ergeben. Die Goldene Regel schafft stabile Rahmenbedingungen und damit die Grundlage für die Erreichung der Klimaziele und der erfolgreichen Bewältigung der Transformation.

Die Notwendigkeit einer kühnen Vision

Es bleibt damit festzuhalten, dass die derzeitige Wirtschaftslage Deutschlands dringend eine Umstrukturierung der fiskalischen Rahmenbedingungen erfordert. Wie dargelegt, ist die Modifizierung der Schuldenbremse durch die Implementierung der Goldenen Regel nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch eine Frage der Generationengerechtigkeit.

Dies ist der Moment, in dem politische Weitsicht und mutige Entscheidungen gefragt sind. Die Umsetzung der Goldenen Regel würde nicht nur die wirtschaftlichen Aussichten verbessern, sondern auch ein starkes Signal an die Bevölkerung senden, dass langfristige Stabilität und Wohlstand wichtige Pfeiler der deutschen Wirtschaftspolitik sind. Es ist Zeit, entschlossen voranzuschreiten und die finanziellen Grundlagen zu schaffen, die es uns ermöglichen, sowohl heutige als auch zukünftige Herausforderungen erfolgreich zu meistern.