Bock auf Zukunft

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Rafael Laguna de la Vera Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND
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„Die letzte bahnbrechende Erfindung aus Deutschland war vor 120 Jahren das Auto“, schreibt Rafael Laguna de la Vera. Sein Appell: Es ist höchste Zeit für eine Wiederbelebung des deutschen Unternehmertums.

Es geht uns gut in Deutschland, keine Frage: Hohe Erwerbsquote, kaum Arbeitslose, trotz Corona. Gute Einkommen, niedrige Preise. Industrieller Kern, Exportnation. Dennoch denke ich, dass wir gerade ein Stück Zukunft für unsere Kinder und Kindeskinder verschlafen.

Denn ein Gutteil unseres wirtschaftlichen Wohlstandes fußt auf Erfindungen aus den Anfängen des vorigen Jahrhunderts. Seitdem haben wir uns damit begnügt, das Bestehende durch inkrementelle Verbesserungen zu perfektionieren. Darin sind wir meisterhaft. Denken Sie dabei nur an tragende Branchen unserer Wirtschaft wie Automobilbau, Maschinenbau und Chemie. Zukunft wurde zuletzt allerdings andernorts gemacht; in den zurückliegenden drei Jahrzehnten vor allem im Silicon Valley und in China. So kosten Amazon und Microsoft an der Börse mehr als alle 763 börsennotierten deutschen Unternehmen zusammen, Tesla ist wertvoller als die 10 größten Automobilkonzerne der Welt.

Dessen ungeachtet denke ich, dass auch wir immer noch sehr viele kluge und gut ausgebildete Köpfe in Deutschland haben, was auch die Nobelpreisverleihungen der letzten Jahre zeigt. Was in Deutschland derzeit wirklich fehlt, ist die Überführung von Forschungsergebnissen, bahnbrechenden Ideen und Erfindungen in erfolgreiche Unternehmen oder gar neue Industrien. Gern zitiertes Beispiel hierfür ist das Audio-Dateiformat mp3, das am Fraunhofer-Institut in Erlangen entwickelt wurde. Die milliardenschweren Geschäfte machten jedoch Unternehmen wie Apple und Spotify aus den USA beziehungsweise aus Schweden, die auf der Grundlage von mp3 die Musikindustrie umwälzten.

Vergleichbare volkswirtschaftliche Versäumnisse wollen wir mit der Bundesagentur für Sprunginnovationen möglichst verhindern. Im Auftrag der Regierung soll sie die Klugköpfe – im Jargon „High Potentials“ oder auch kurz „Hipos“ genannt – in Industrie, Forschungseinrichtungen und Universitäten ausfindig machen und in betriebswirtschaftliche Wohlfühloasen verpflanzen. Das Ziel ist klar: Der nächste Werner von Siemens soll aktiv dabei unterstützt werden, aus seiner Erfindung ein florierendes Unternehmen zu machen, das möglichst viele zukunftsfähige Arbeitsplätze schafft und damit den Wohlstand hierzulande sichert.

Kaum eine Brücke zwischen Forschung und Unternehmertum

Die Agentur will die Brücke bauen zwischen Forschergeist und Unternehmertum (bitte nicht verwechseln mit Unternehmen). Dass diese Brücke fehlt, lese ich immer wieder. Einen wesentlichen Grund dafür sehe ich darin, dass „Unternehmer sein“ und „Unternehmen gründen“ derzeit schlicht nicht angesagt sind. Die Zahlen sind ernüchternd: Laut des Statistik-Portals statista sank die Zahl der Gründerinnen und Gründer von 2001 bis 2018 um zwei Drittel auf rund eine halbe Million pro Jahr.

Das ist zweifelsohne auch Folge der hervorragenden Arbeitsmarktsituation. Es ist aber meiner Meinung nach auch Ausdruck für eine satte Gesellschaft, in der es kaum noch Motivation gibt, finanziell und sozial aufsteigen zu wollen. Wir sind eine alternde Gesellschaft, in der die gut ausgebildeten, potentiellen Gründer schon „oben“ sind. Warum sich als Unternehmer*in 60 und mehr Stunden aufarbeiten, wenn ein Nine-to-Five-Job auch die Karibikkreuzfahrt bezahlt? Warum die Lanze gegen die Windmühlenflügel aus Bürokratie, Kapital- und Fachkräftemangel heben, wenn Konzerne mit Dienstwagen und Karriereplänen locken? „Ich bin doch nicht blöd“ ist mehrheitsfähiges Lebensgefühl.

Dies ist jedoch nur ein Teil der Geschichte. Zur Wahrheit gehört auch, dass das Unternehmertum weitestgehend aus dem Alltag verschwunden ist. Wer kurz die Augen schließt und das letzte Jahrhundert Revue passieren lässt, sieht, wie sich ein Land von selbständigen Bauern, Handwerkern und Kleinunternehmern zu einer Nation von angestellten Pendlern transformierte.

Ich persönlich hatte das Glück, dass ich von meinen Großeltern und Eltern, Tanten und Cousins nur Unternehmertum kennengelernt habe. Überdies halte ich es mit dem Kabarettisten Karl Valentin, der gesagt haben soll: „Es hat keinen Sinn, Kinder zu erziehen, sie machen sowieso alles nach.“ Entsprechend gründete ich mein erstes Softwareunternehmen mit 16 – und erlitt meine erste (und einzige) Pleite als Kinobetreiber mit 22. Etwas anderes als Unternehmer zu sein, kam mir bislang nicht in den Sinn.

Als notorischer „Glas-halbvoll-Seher“ sehe ich längst den Silberstreif am Horizont. Insbesondere in den deutschen Metropolen und Ballungsräumen herrscht Aufbruchsstimmung. Es entwickelt sich eine lebendige Start-up-Szene, die mittlerweile auch einen brauchbaren Zugang zu Wagnis-Kapital hat und damit erste Schritte finanzieren kann. Es wächst die Freude am Tüfteln, Erfinden und Machen, um Lösungen und Antworten für die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu finden: Umstieg auf klimaneutrale Energien, ressourcenschonendes Bauen und Wohnen, nachhaltiges und abfallfreies Produzieren von Konsumgütern.

Was also ist nötig, um in Deutschland das Unternehmertum wieder populär zu machen? Um die Tüftler, Bastler und Innovatoren auch zu Gründern zu machen? Und was kann das Bildungssystem dazu beitragen? Drei Vorschläge:

Erstens finden sich gerade unter den jüngeren Leuten der Generation Y und Z zunehmend Menschen, die sich über sinnvolle Arbeit definieren und entsprechend neue Wege beschreiten wollen – mit innovativen Produkten und Dienstleistungen, die in die Zeit passen. Mit der Bundesagentur für Sprunginnovationen wollen wir Unternehmertum auch wieder ein Stück weit „sexy“ machen. Wir wollen den Nerds aufzeigen, dass sich ihr Talent und ihre Kreativität im Team mit Andersdenkenden voll entfaltet; dass sie nur dann langfristig Erfolg haben, wenn aus ihren Ideen Lösungen werden, die sich rechnen und im kapitalistischen Wirtschaftssystem bestehen können.

Der Mythos vom einsamen Genie

Leonardo da Vinci, Albert Einstein, Stephen Hawking. Sicher, es gab und gibt sie, die Universalgenies, die allein in ihrem Kopf eine neue Perspektive auf die Welt erdenken können. Blickt man jedoch auf die erfolgreichen Erfinder und Unternehmensgründer der Neuzeit, so waren es häufig Duos oder Teams, die sich ergänzten und befruchteten: Siemens und Halke, Daimler und Maybach, Haber und Bosch, Hewlett und Packard, Gates und Allen, Jobs und Wozniak, Page und Brin.

Mein zweiter Vorschlag: Heute, da die naturwissenschaftlichen Disziplinen zunehmend größere Schnittmengen haben, ist das Zusammenbringen unterschiedlicher Talente in funktionierenden Teams wichtiger denn je, um echte Innovationen oder gar Sprunginnovationen hervorzubringen. Gemeinsam ist allen Arbeitsfeldern, dass die Digitalisierung in nahezu allen Arbeitsfeldern radikal neue Möglichkeiten eröffnet, die es vor zwanzig Jahren noch nicht gab. Als Beispiele seien nur die Bioinformatik genannt, welche die DNA-Sequenzierung revolutionierte, und Machine Learning / KI, welche uns erstmals zuverlässige Vorhersagen über die Oberflächenstruktur von Proteinen erlaubt. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass alle technischen Innovationen der nächsten Jahre die digitalen Möglichkeiten mitdenken müssen. Entsprechend sind Digitalversteher ein Muss für jedes Gründer- und Erfinderteam.

Jüngste Forschungen – beispielsweise von Nicola Breugst, die an der TU München die Professur für Entrepreneurial Behavior innehat – zeigten, dass sich Techniker und Tech-Gründer immer wieder gerne an der Technik selbst berauschen können; und darüber vergessen, welches gesellschaftlich relevante Problem sie mit ihrer Idee eigentlich lösen wollten. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen will genau diese Brücke bauen zwischen der ausgezeichneten Spitzenforschung in Deutschland und der wirtschaftlichen Verwertung, indem sie den Transfer in neue, erfolgreiche Unternehmen katalysiert. Denn dafür braucht es bekanntermaßen nicht nur die Techniker, sondern auch Buchhalter, Juristen, Marketing- und Vertriebsleute.

Und schließlich mein Vorschlag Nummer drei: Wissenschaftler in Gründungsteams müssen lernen, dass Pragmatismus wichtiger ist als Perfektionismus. Produkte oder Prototypen müssen früh der anvisierten Zielgruppe vorgestellt werden und können danach weiter verbessert werden. „Fail fast and early“ lautet einer der Glaubenssätze im Silicon Valley, den wir in der Agentur für Sprunginnovationen leben werden, und der meiner Meinung nach auch mancherorts der deutschen Forschungslandschaft gut zu Gesichte stehen würde. Denn im Gegensatz zu Startups und Unternehmen, die in Quartalen oder Jahren über Budgets entscheiden, können Forschungsprojekte meist mit 5-jährigen Finanzierungen rechnen. Das birgt die Versuchung, dass so mancher weitermacht, auch wenn vielleicht nach zwei Jahren bereits absehbar ist, dass ein Projekt scheitern wird.

Wenn wir diese drei Schritte schaffen – Lust auf Unternehmertum machen, unterschiedliche Talente zusammenbringen und die Wissenschaftler unter den Gründern zu Pragmatismus ermutigen –, dann sind wir auf einem guten Weg. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen will nicht weniger als das erfolgreichste Trüffelschwein in der deutschen Forschungslandschaft sein, das disruptive Ideen und neue Technologien aufspürt und ihnen zum Durchbruch verhilft. Denn diese Innovationen sind die Grundlage unseres künftigen Wohlstands.

 

Rafael Laguna de la Vera