25.03.2021Geopolitik

Europas Weg in die Wertschöpfung der Zukunft führt über digitale Brücken

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Dr. Marianne Janik Vorsitzende der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland
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In der vernetzten Ökonomie kommt es auf Verbindungen an. Für digitale Innovation und Wertschöpfung braucht Europa deshalb keine Abgrenzung, sondern digitale Brücken. Sie sind die technologische Chance, die Anbindung an den Wohlstand der Zukunft zu schaffen.

Brücken schaffen Wohlstand. Davon zeugen diverse Brücken in historischen Altstädten, die einst von Kaufleuten in Auftrag gegeben worden sind. Heute lässt sich der wirtschaftliche Aufstieg Chinas auch in Brücken-Statistiken ablesen: Acht der zehn längsten Brücken der Welt stehen in China, alle wurden in den zurückliegenden zwölf Jahren fertiggestellt. Brücken überwinden Flüsse, Schluchten, Meere – wo vorher ein Hindernis war, werden Handel, Reisen und Austausch viel leichter möglich. Wer Brücken baut, lässt die Welt näher zusammenrücken.

Diese Logik gilt auch in der digitalen Welt. Digitale Verbindungen überbrücken ganze Kontinente und Ozeane. Wie ihre steinernen Verwandten vereinfachen sie Austausch und Handel, fördern Innovation und Fortschritt, Wertschöpfung und Wachstum. Informationstechnologie wird aller Voraussicht nach auf Jahre der stärkste Wachstumstreiber bleiben. Mit Künstlicher Intelligenz, 5G und Quantencomputern sind die nächsten Technologiesprünge auf dem Weg in unseren Alltag.

Wie kann Europa zu einer führenden Rolle in dieser Welt finden? Der digitale Rückstand wird oft kritisiert, und wie er aufzuholen sein könnte, ist Gegenstand zahlreicher Vorschläge und Papiere. Doch allzu oft steht dabei, besonders unter dem Schlagwort der digitalen Souveränität, die Abgrenzung im Mittelpunkt. Dabei wäre genau das Gegenteil nötig: Digitale Brücken, um Anschluss an die Wertschöpfung der Zukunft zu finden. Diese Brücken zu bauen erfordert zugleich ein tieferes Verständnis der Plattformökonomie – und einen starken Fokus auf digitale Bildung und Kompetenzen.

Die neue Ökonomie der Verbindungen

In der Coronavirus-Pandemie hat sich besonders deutlich gezeigt, dass es für Unternehmen von Vorteil ist, digital gut aufgestellt zu sein. Wo die Verbindung zu Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden digital funktionierte, ließ sich der Geschäftsbetrieb viel besser aufrechterhalten. Und wo das nicht der Fall war, wurde im Eiltempo digitalisiert, was digitalisiert werden konnte. Doch die strategischen Auswirkungen der Digitalisierung reichen viel weiter. In den kommenden Jahren werden Unternehmensprozesse, Maschinen in der Produktion und Lieferketten noch weitaus stärker digitalisiert und vernetzt werden. Die „vierte industrielle Revolution“ durch künstliche Intelligenz (KI) gibt Daten eine ganz neue Bedeutung.

Allerdings: Kaum ein Unternehmen oder eine Behörde hat bislang Daten systematisch verbunden und nutzt sie konsequent. Nach Schätzungen des Speicher-Spezialisten Seagate werden 70 Prozent der Unternehmensdaten überhaupt nicht genutzt. Zudem sind bisher wenige Organisationen bereit, ihre Daten zu öffnen und mit anderen zu teilen, wie eine vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beim IW Köln in Auftrag gegebene Studie zeigt. Doch genau das wäre die Voraussetzung, um als Standort bei der KI-Entwicklung vorne mitzumischen. Und auch die digitale Steuerung von Unternehmensprozessen braucht zunehmend Offenheit. Schon Mittelständler kommen mit ihren Lieferketten leicht auf mehrere hundert Zulieferer aus unterschiedlichen Ländern – und sind selbst als Zulieferer in die Lieferketten anderer Unternehmen eingebunden. Unternehmen brauchen daher Datenbrücken, um Daten technisch und rechtlich sicher teilen zu können.

Die Infrastruktur ist eine notwendige Bedingung für einen erfolgreichen digitalen Wandel, jedoch keine hinreichende. In der Plattformökonomie kommt es noch auf etwas anderes an. Viele Menschen denken Plattformen zu technisch, zu sehr als Sammlung von Algorithmen, über die sich Produkte und Services verkaufen, Wohnungen untervermieten oder Chauffeure finden lassen. Dabei liegt der eigentliche Mehrwert einer Plattform nicht in der Technologie, die dahintersteckt, sondern im Netzwerk, das um sie entsteht. So, wie sich an vielen Brücken florierende Handelsstädte entwickelt haben, entstehen heute rund um digitale Plattformen lebendige Communities, die gemeinsam innovative Lösungen entwickeln.

Durch Partnerschaften zu Innovationen: Plattformen als Communities

Tatsächlich sind offene Plattformen zentrale Elemente, damit Wirtschaft und Gesellschaft von den Möglichkeiten des digitalen Zeitalters profitieren können. Das Hightech-Forum, ein zentrales Beratungsgremium der Bundesregierung, schreibt in seinem Impulspapier ‚Zukunft der Wertschöpfung‘: „Die digitale Transformation braucht einen Kulturwandel, durch den die Öffnung des Innovationsprozesses und das Teilen von Wissen nicht als Gefahr, sondern als Chance gesehen wird.“ Christoph Schlünken, Vorstandsmitglied des Chemieunternehmens Altana, bringt es so auf den Punkt: Plattformökonomie „ist das Gegenteil von Abschottung, sie lebt von Offenheit und Austausch.“

Über Länder- und Branchengrenzen hinweg suchen immer mehr Unternehmen den Schulterschluss, forschen und entwickeln zusammen, vervielfachen damit ihre Schlagkraft bei der Entwicklung neuer Produkte, Services und Geschäftsmodelle. An der „Open Manufacturing Platform“ zum Beispiel arbeiten neben Unternehmen aus der Automobilbranche wie BMW, Bosch oder ZF auch die Brauerei Anheuser-Busch InBev und der Gesundheitskonzern Siemens Healthineers. Auch das europäische Cloud-Netzwerk Gaia-X folgt dieser Idee, Unternehmen zusammenzubringen und gemeinsam Innovationen zu entwickeln. Aus diesem Grund unterstützt Microsoft Gaia-X.

Die Digitalisierung der Wirtschaft braucht Regeln – und Kompetenzen

Parallel zur Entwicklung von Angeboten wie Gaia-X müssen auch regulatorische Brücken gebaut werden. Europäische Unternehmen brauchen verlässliche Regelungen für den interkontinentalen Datenaustausch, wenn sie ihre Produkte und Services weltweit vertreiben wollen oder aus Europa heraus in die Welt wachsen möchten. Das gilt gleichermaßen für europäische Startups, für mittelständische Weltmarktführer und für globale Champions etwa in der Automobilindustrie. Diese Perspektive wird zu oft vergessen, wenn es um Regeln für den Datenaustausch geht, wie zuletzt in der Diskussion um das Ende des „Privacy Shield“-Abkommens zwischen EU und USA. Gute Regulierung macht Verbindungen möglich – und legt die Regeln fest, nach denen sie funktionieren.

Unverzichtbar ist jedoch auch, digitale Bildung auf allen Ebenen zu stärken und Kompetenzen massiv auszubauen. Das gilt nicht nur für Schulen und Hochschulen, sondern vor allem auch für die Qualifizierung von Beschäftigten in Unternehmen. Eine solche Bildungsoffensive ist die notwendige Basis, um die anstehenden Herausforderungen meistern zu können. Für Beschäftigte, um die Kompetenzen zu haben, die ihnen in Zukunft eine Beschäftigung sichern. Für Unternehmen, um die Mitarbeiter zu haben, die ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit sichern. Und für Staaten, um die Expertise in Behörden und Verwaltungen zu haben, die ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit in der digitalen Welt sichern.

Europa kann seine Brückentradition zur Stärke machen

Europa hat eine Jahrtausende alte Tradition des Brückenbauens. Antike griechische und römische Brücken stehen noch heute. Und auch im übertragenen Sinne ist die europäische Brücken-Expertise beeindruckend. Mit dem europäischen Binnenmarkt haben die Europäer trotz aller Unterschiede in Sprache, Rechtsordnung, Kultur und Politik einen einzigartigen Wirtschaftsraum mit 450 Millionen Menschen geschaffen.

Die EU hat Menschen zusammengebracht, den Austausch und die Zusammenarbeit gefördert, mit Partnerschaft eine beispiellose Erfolgsgeschichte möglich gemacht. Daran zu erinnern lohnt sich gerade in Zeiten zunehmender Spannungen innerhalb der EU. Ob beim Teilen von Daten, dem Teilen von Wissen, der Zusammenarbeit für Innovation oder der Offenheit für Handel und Austausch: Für ein digitales Erfolgsmodell Europa brauchen wir die klassischen Tugenden in digitaler Übersetzung. Die Tradition des Brückenbauens ist dafür die beste Grundlage.

 

Dr. Marianne Janik