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Heute auf den Tag genau vor 70 Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das Montan-Mitbestimmungsgesetz. Was sperrig klingt, ist ganz praktisch auch heutzutage noch die Arbeitsgrundlage der Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie und wird auch in Zukunft das Miteinander von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen in Unternehmen wie beispielsweise thyssenkrupp prägen.

Es ist – auch daran ist zu erinnern – von besonderer Bedeutung, dass das Gesetz 1951 von den beiden Volksparteien der noch jungen Bundesrepublik erarbeitet und beschlossen wurde, nachdem mit Gewerkschaften und Arbeitgebern um den richtigen Weg gerungen wurde. Nicht eine Seite hat der anderen ihre Maximalposition aufgezwungen, sondern ein tragfähiger Kompromiss wurde erarbeitet. Es ging nicht um Sozialisierung – nach dem Krieg durchaus denkbar – sondern um Mitbestimmung.

Ich kenne die Praxis der Mitbestimmung von beiden Seiten und bin davon überzeugt, dass die besonderen Rahmenbedingungen der Montanmitbestimmung auf Dauer die besseren, weil nachhaltigeren und stabileren Ergebnisse für die Unternehmen und ihre Mitarbeitenden bringen. Dieser Grundkonsens ist in Zeiten zunehmender Fliehkräfte, wie wir sie heute wieder erleben, von großem Vorteil und war Bedingung für den Erfolg unseres deutschen Systems, das international seines Gleichen sucht.

Worum geht es bei der Montanmitbestimmung? Es geht um ein konstruktives Miteinander von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung in den Aufsichts- und Entscheidungsgremien der Unternehmen. Die Montanmitbestimmung garantiert die Bestellung der Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsrates durch Arbeitnehmervertreter aus den Unternehmen und aus den Gewerkschaften. Zudem ist – eine Besonderheit selbst in Deutschland – eine neutrale Person, „der elfte Mann“, bei einem Stimmenpatt für die Klärung und Entscheidung zwischen den beiden Bänken des Aufsichtsrats zuständig. Auch der Arbeitsdirektor kann in montanmitbestimmten Unternehmen nur mit den Arbeitnehmer*innen bestellt und abberufen werden – nie gegen sie.

Eine Besonderheit ereignete sich – wie so oft – 1970 bei Krupp: Berthold Beitz und der IG-Metall-Vorsitzende Otto Brenner schrieben damals Wirtschaftsgeschichte. Nach Umwandlung von Krupp in eine Kapitalgesellschaft mit dem Bankier Hermann Josef Abs als Aufsichtsratsvorsitzenden machte Beitz kurzerhand gemeinsame Sache mit der Mitbestimmung. Von Brenner – von Beitz zuvor als Arbeitgebervertreter im Aufsichtsrat durchgesetzt – ist gegenüber einem ausweichenden Abs das wenig diplomatische „Dann werden Sie gleich abgesetzt“ überliefert. Der neue Aufsichtsratsvorsitzende hieß fortan Berthold Beitz, der stilprägende Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung.

Die Regeln der Montanbestimmungen sind auch im deutschen Wirtschaftsleben Besonderheiten, die ihre Berechtigung im tatsächlichen Ergebnis beweisen müssen. Was bringen diese Regelungen?

Die Erfahrung zeigt, dass es, anders als man meinen könnte, in der Regel keine Totalblockade und „Nichts geht mehr“ in den montanmitbestimmten Unternehmen gibt. Klar, vieles ist auf den ersten Blick zäher, anstrengender und langwieriger durch die konstante Mitbestimmung in den zentralen Fragen der Unternehmensführung.

Aber dafür sind die getroffenen Entscheidungen und ausgehandelten Kompromisse von einer dauerhaften Tragfähigkeit, wie man sie in anderen Bereichen nicht findet. Ein Wort ist in der Regel ein Wort – und beide Seiten halten sich daran. Dies liegt aus meiner Sicht daran, dass natürlich auch die Vertreter der Arbeitnehmerseite schwierige Entscheidungen für das Unternehmen mittreffen müssen und sich in Verantwortung begeben für die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens. Nähe schafft Betroffenheit – oder anders gesagt: Wer mitentscheidet tut dies automatisch mit einer anderen Einstellung als wenn er oder sie Entscheidungen nur hinnehmen darf. Diese aktive Verantwortung kann gerade in Krisenzeiten von großem Vorteil sein, weil die schwierigen Entscheidungen durch diesen im System angelegten Kompromiss für eine höhere Legitimität und Verständnis bei allen vertretenen Mitarbeitenden sorgen.

Die Branchen der „Montanindustrie“ sind sicherlich keine Industriezweige, in denen Milch und Honig fließen – und das nicht erst seit gestern. Umso bemerkenswerter, dass es mit der und nicht gegen die Mitbestimmung gelungen ist, den Strukturwandel erfolgreich und auch sozial verantwortlich zu gestalten. Für den anstehenden Umbau – die Transformation – zu einer dekarbonisierten Industrie werden wir diese Kraft wieder brauchen, wenn es gelingen –  und vor allem wenn es nachhaltig – gelingen, soll. 70 Jahre Montanmitbestimmung – klar, manchmal durchaus anstrengend und beizeiten nervraubend, aber: Es lohnt sich. Auch heute noch.

 

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