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Energiewende? Globalisierung? Digitalisierung? Die eigentliche Herausforderung ist die Klimawende.

Eines hat der Energiemarkt mit Corona gemein. Er wächst exponentiell, er verändert sich rasant, wird vielschichtiger und umfassender. Und trotzdem: Im Vergleich zur Klimawende ist alles nur ein Klacks, was wir in den vergangenen 25 Jahren mit der Energieversorgung erlebt haben. Ich erinnere an die Liberalisierung des Marktes 1998, seine Re-Regulierung 2005 und die 2011 mit dem Atomausstieg eingeläutete Energiewende. Hinzu kommen die Megatrends Digitalisierung und Globalisierung.

Die Klimawende wird die deutsche und europäische Wirtschaft umwälzen. Sie verlangt eine Jahrhunderttransformation. Ganze Branchen verschwinden oder müssen sich neu erfinden. Neue Industrien bilden sich. Klimawende heißt „Raus aus der Kohle“ und – schließlich auch – „Raus aus dem Gas“. Beides ist bereits klar angelegt, auch rechtlich. Erneuerbare Energien sollen unser Land versorgen. Das Marktdesign des Klimaschutzes heißt CO2-Vermeidung, wenn nicht um jeden, so doch um einen hohen Preis.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, rief aus, dass Europa bis 2050 nahezu treibhausgasneutral sein soll. Bis 2030 soll bereits um mehr als die Hälfte weniger an Treibhaus-Gasen (THG) ausgestoßen werden, im Vergleich zu 1990. Das Europäische Parlament verlangt sogar minus 60 Prozent. Gleichzeitig regnet es Ideen, Pakete und Novellen, um dieses Ziel zu erreichen. Klimaschutz ist gesellschaftsfähig geworden.

Woher kommt der Klimaschutz?

Klimaschutz ist international, europäisch und deutsch. Wir bewegen uns auf allen drei Ebenen, auf unterschiedliche Weise.

International:

Im Protokoll von Kyoto, dem völkerrechtlichen Vertrag von 1997, verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten erstmals verbindlich, ihre Treibhausgase abzusenken. Damals ging es um 5,2 Prozent in den Jahren 2008 bis 2012, absolut 336 Millionen Tonnen CO2.

Lange Zeit bleibt unklar, ob nach der Kyoto-Periode ab 2013 der internationale Klimaschutz fortgesetzt würde. Doch 2015 verabredeten die Unterzeichner-Staaten bei der Klimakonferenz in Paris, dass die Erderwärmung nur um höchstens zwei Grad steigen dürfe, besser noch nur um 1,5 Grad. Und Deutschland sagte zu, die Treibhausgase um 38 Prozent bis 2030 zu mindern, verglichen mit 2005. Ein sportliches Ziel.

Nun ist es aber so: Völkerrecht bindet Staaten, nicht die Wirtschaft. Außerdem ist Völkerrecht zwar verbindlich, aber nicht vollstreckbar. Das erklärt, warum die USA gleich zweimal, zumindest rechtlich folgenlos, die internationalen Verträge verlassen konnte.

Dennoch ist das Pariser Abkommen eines der wichtigsten Treiber des Klimaschutzes. Sowohl Europa als auch Deutschland legen Wert auf ihr internationales Ansehen und setzen ihre Zusagen um.

Europäisch:

Noch bevor das Kyoto-Protokoll in Kraft tritt, hat Europa den europäischen Emissionshandel (ETS) als das herausragende Instrument für den Klimaschutz verabschiedet. Die Emissionshandels-Richtlinie (ETS) wendet sich zunächst an große CO2 emittierende Anlagen der Sektoren Energie und Industrie (vorwiegend ortsfeste Verbrenner). 2012 folgen der Flugverkehr, 2013 N2O (Lachgas) und perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW/PFC, genutzt in der Alu- und chemischen Industrie). Weiter reicht das ETS nicht.

Bei der Umsetzung der Pariser Zusagen ist Europa deutlich weniger zimperlich und gießt diese 2018 gleich in die europäische Klimaschutzverordnung.

Im Gegensatz zur Richtlinie erzeugt eine „Verordnung“ eine ganz andere Dynamik. Denn sie gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten. Eine Richtlinie jedoch muss erst von den Mitgliedstaaten rechtlich umgesetzt werden und lässt ihnen Spielraum.

Neu ist, dass der Adressatenkreis der Klimaschutzverordnung um den Nicht-ETS-Bereich erweitert wurde. Es gilt das Quellenprinzip für alle Emissionen aus Energiewirtschaft, Industrie, Landwirtschaft, Abfall, Haushalten und Verkehr – und es adressiert klare Strafzahlungen. Diese wurden schon auf 30-60 Mrd. € bis 2030 geschätzt.

Europa will es bei der Klimaschutzverordnung nicht belassen. Der Green Deal mit dem ausgerufenen Ziel „Null“ für 2050 und den 55 Prozent für 2030 sollen rechtlich verbindlich festgeschrieben werden. Die EU schmiedet zurzeit konkrete Pläne und überlegt, den EU-Emissionshandel auszuweiten.

Sie will die neuen Ziele, die Anfang Dezember vom Rat beschlossen werden sollen (55 statt 40 Prozent) in das jetzige System übertragen. Für die heutigen Adressaten des ETS bedeutet dies eine Minderungsleistung von mindestens 1,8 Milliarden Tonnen CO2. Allein das entspricht etwa dem dreifachen Ausstoß von Großbritannien und ließe sich durch eine erneute Anpassung des linearen Kürzungsfaktors erreichen. Außerdem will die EU ihren Emissionshandel auf Verkehr und Gebäude ausweiten. Und sie erwägt, neben dem bestehenden ein zweites System zu stellen – eine Art europäisches Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG), das bei allen Treibhausgas-Ausstößen angewendet wird. Und damit kommen wir zur dritten Ebene des Klimaschutzes.

National/deutsch:

Auch der deutsche Gesetzgeber lässt sich nicht lumpen. Den Kurswandel in der Politik markiert das Klimaschutzpaket der Bundesregierung vom September 2019. Dieses definiert 66 Maßnahmen und wiegt geschätzte 50 Milliarden Euro.

Vieles aus dem Klimapaket ist bereits auf dem Weg. Wie die Maßnahme 1, die Einführung einer CO2-Bepreisung: Das BEHG setzt einen nationalen Emissionshandel auf und gilt schon ab dem 1. Januar 2021. Es wendet sich an die etwa 4.000 Akteure, die Brennstoffe in den Verkehr bringen. Das BEHG tritt neben den ETS, denn es soll Unternehmen nicht doppelt belasten. Aber keiner sollte sich allzu sehr in das BEHG verlieben. Wenn die EU wie angekündigt den europäischen Emissionshandel um Gebäude und Verkehr erweitert, dürfte sich auch das BEHG bald wieder erledigt haben. Experten rechnen damit um 2025.

Was haben wir noch?

Schon im vorigen Jahr hat das Bundesumweltministerium das Klimaschutzgesetz erlassen. Mit klaren Minderungszielen, sektorenbezogen und einer Budgetverantwortung der jeweiligen Ministerien.

Die Maßnahme 47, der Kohleausstieg, ist bereits rechtlich verankert. Maßnahme 49 – der Ausbau der erneuerbaren Energien – ist in Arbeit, der PV-Deckel ist Vergangenheit, so dass Photovoltaik weiterhin förderungsfähig ist, und das 65-Prozent-Ziel des Koalitionsvertrages ist etabliert.

Die als Maßnahme 59 angesprochene Wasserstoffstrategie liegt ebenfalls vor. Wobei hier die Verteilfrage, wer den neuen „Goldstaub“ denn nun bekommen soll, nicht beantwortet ist. Und Experten erwarten frühestens ab 2030 echte Effekte. Unklar ist auch noch, wie die bisherige Gasinfrastruktur helfen kann. Schließlich arbeitet die Bundesregierung daran, die Sektorenkopplung zu verbessern und den Hochlauf der e-Mobility zu starten. Auch diese Maßnahmen sind hoch relevant für das Marktdesign.

Aktuell liegt der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der THG-Quote auf dem Tisch. Und die Bundesumweltministerin verlangt für den Verkehrssektor 20 Prozent erneuerbare Energien bis 2030. Was dies zum Beispiel für das Design der Energieerzeugung und Netze bedeutet, ist bekannt.

Zurück zu meinem Ausgangsbefund: Wir stehen vor der bisher größten klima- und energiepolitischen Aufgabe. Sie zu bewältigen, ist alternativlos. Auf dem Weg dahin niemanden zu verlieren, unsere Industrie zu halten, das Wirtschaftswachstum anzureizen, soziale Verwerfungen zu vermeiden – das sind die Herausforderungen unserer Zeit. Und 2030, das ist praktisch schon morgen.

 

Ines Zenke