“Ganz Germanien ist von Zukunftsangst, linearer Wirtschaft und niedrigen Renditen besetzt. Ganz Germanien? Nein! Ein von unbeugsamen Kreislaufwirtschaftern bevölkertes Dorf hört nicht auf, Widerstand zu leisten.”
Die Situation der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) Start-ups ähnelt in der Tat der Situation des gallischen Dorfs.
Zum einen ist die aktuelle Gesamtsituation nicht nur für etablierte Unternehmen schwierig, sondern auch für Start-ups: Das in den letzten Jahren in Deutschland investierte Risikokapital in Start-ups (Venture Capital) sinkt. Von 2021 auf 2022 ist ein leichter Rückgang zu beobachten, von 2022 auf 2023 sogar ein starker Rückgang um 40% (Quelle).
Zum anderen trotzt die Kreislaufwirtschaft diesem Trend: Seit 15 Jahren sehen wir im Bereich der Investitionen in Kreislaufwirtschafts-Start-ups einen weitgehend konstanten positiven Trend, der insbesondere in den letzten Jahren nochmal erheblich zugenommen hat. Das durchschnittliche jährliche Wachstum seit 2010 beträgt über 30%. Die Zahlen sind dabei in Deutschland und Europa konsistent mit dem weltweiten Trend (Grafik: CIRCULAR REPUBLIC, Circular Start-up Landscape Whitepaper)
Die Erkenntnis, dass Kreislaufwirtschaft ein profitables Wachstumsthema ist, klingt erstmal wenig überraschend. Sie passt in die Zeit. Produkte im Kreislauf zu führen ist aus 4 Gründen extrem sinnvoll:
- Resilienz: Die Kreislaufführung wertvoller Materialien und Rohstoffe senkt unsere Importabhängigkeit von China oder Russland. Deutschland ist aktuell in seiner wirtschaftlichen Prosperität vollständig abhängig von autoritär geführten Drittstaaten außerhalb Europas. Die schrittweise Entkopplung davon ist ein zentraler Baustein, um den Erfolg unserer Wirtschaft in den kommenden 30er-Jahren zu garantieren.
- Nachhaltigkeit: Verantwortliches Wirtschaften wird zunehmend zur “conditio si ne qua non” – kaum ein Unternehmer, kaum eine Entscheiderin, die neben wirtschaftlichen Kennzahlen für das Zielsystem des eigenen Unternehmens nicht darüber nachdenken, wie man die negativen Auswirkungen auf dem Planeten so gering wie möglich halten kann. Kreislaufwirtschaft ist neben der Nutzung grüner Energie die wichtigste Antwort auf diese Frage.
- Regulatorik: Getrieben durch die ersten beiden Perspektiven setzt Europa inzwischen auf ein gesetzliches Regelwerk, das in immer mehr Branchen das Recht auf Reparatur einführt, den Einsatz recycelter Materialien vorschreibt und die Vernichtung gebrauchsfähiger Produkte verbietet.
- Innovation: Die Technologien, die helfen, Produkte und Materialien im Kreislauf zu halten, sprudeln nur so aus den Universitäten. Biobasierte Kunststoffe für Verpackungen oder Textilien, digitale Sharing-Plattformen, KI-basierte Entscheidungshilfen oder neuartige Recyclingtechnologien. An der TU München ist der Forschungsverbund CirculaTUM mit über 100 Forschenden allein in diesem Bereich inzwischen einer der erfolgreichsten.
All das übersetzt sich auch in eine große Zuversicht der Investoren in die Kreislaufwirtschaft, so dass trotz allgemein gedämpfter wirtschaftlicher Erwartungen dem Thema eine große Zukunft zugerechnet wird. Dabei wachsen nicht nur Software-basierte Lösungen, auch Hardware-lastige Ansätze wie neuartige Recycling-Technologien bekommen zusehends mehr Geld, über 100 Millionen im letzten Jahr. Im Jahr 2021 machten Software-Start-ups 46% aller Kreislaufwirtschafts-Start-ups aus. Im vergangenen Jahr basierten dagegen 67% der Start-ups der Kreislaufwirtschaft auf einer Hardwarekomponente. Dies deutet darauf hin, dass der Markt gelernt zu haben scheint: Eine zirkuläre Wirtschaft, bei der es um das effektive Management von Materialien und Produkten geht, benötigt Hardware-Innovationen. Denn Software und digitale Lösungen sind oft von physischen Technologien abhängig.
Bei allem Enthusiasmus lohnt sich aber auch ein kritischer Blick. So fällt bei der systematischen Analyse der Kreislaufwirtschafts-Start-ups auf, dass zwar das investierte Geld zunimmt, aber nicht die Anzahl der Gründungen. Ein klares Zeichen, dass Investoren zwar zahlungswillig sind, Geschäftsmodelle und Teams aber dennoch kritisch unter die Lupe nehmen und nicht jedes Thema durchwinken. Nur wirklich innovative Ansätze bekommen viel Geld. Und hier geht noch mehr: Erst 8% der deutschen Kreislaufwirtschafts-Start-ups nutzen zum Beispiel künstliche Intelligenz. Eindeutig zu wenig, findet auch Lin Gong-Deutschmann, eine vielfach ausgezeichnete Investorin in diesem Gebiet. Denn die Kombination von KI und Kreislaufwirtschaft stellt eine leistungsstarke Allianz mit erheblichem Potenzial dar. KI-Technolo-gien wie maschinelles Lernen und prädiktive Analytik können die Ressourcennutzung optimieren, Abfallmanagementprozesse verbessern und die Effizienz der Lieferkette steigern – dieses Potenzial ist noch nicht im Ansatz ausgeschöpft.
Start-ups, die KI und Kreislaufwirtschaft bereits kombinieren sind zum Beispiel “Delicious Data”, die mithilfe ihrer Modelle Überproduktion im Lebensmittelbereich reduzieren, oder “ExoMatter”, die neue kreislauffähige Materialien entwickeln. Anstatt in endlosen Versuchsreihen in Laboren Materialeigenschaften zu testen, simuliert und analysiert das Modell von ExoMatter Materialeigenschaften am Rechner und kann so die Entwicklung von Materialien auf Basis natürlicher und nachwachsender Rohstoffe unterstützen. Ein anderes Beispiel ist “WeSort.Ai”, die mit ihrer Technologie beispielsweise Lithium-Ionen-Akkus aus dem Abfallstrom sortieren können.
Wir bei CIRCULAR REPUBLIC, angesiedelt an Europas größtem Gründerzentrum UnternehmerTUM, erwarten, dass diese Entwicklung anhält. Immer mehr Gründerinnen und Gründer entdecken das Potenzial von Kreislaufwirtschaft. Und immer mehr etablierte Unternehmen investieren in Partnerschaften mit den jungen Unternehmen, um ihre eigene Wertschöpfung unabhängiger und nachhaltiger aufzustellen. Zwar mag die lineare Wirtschaft ganz Germanien aktuell noch fest im Griff haben. Aber der Siegeszug der Kreislaufwirtschafts-Unternehmer:innen hat bereits begonnen und wird sich nicht aufhalten lassen. Oder um es mit Obelix’ Worten auszudrücken:
Dr. Susanne Kadner und Dr. Matthias Ballweg sind MitgründerInnen von CIRCULAR REPUBLIC bei UnternehmerTUM.
Der Beitrag ist der 7. Teil unserer Reihe zur Kreislaufwirtschaft.
Teil 1: Dr. Florian Kammerer und Heiko Kretschmer: Kreislaufwirtschaft ist Resilienz
Teil 4: Michael Wiener: Kreislaufwirtschaft und die strategische Bedeutung für die Transformation
Teil 6: Andreas Rade und Michael Püschner: Zirkuläre Prozesse und Wirtschaftlichkeit zusammendenken