Der Wandel zu einer weitgehend CO2-neutralen Wirtschaft wird innerhalb der kommenden drei Jahrzehnte zweifellos vollzogen werden müssen. Auf dem Weg dahin stellt sich die Frage nach den Technologien, die genutzt und gefördert werden sollten.

Aus ökonomischer Sicht ist Technologieoffenheit zunächst einmal eine Tugend, denn es geht zwar auch, aber nicht nur um ingenieurswissenschaftliche Effizienz. Auch die aus Ingenieurssicht effizienteste Technologie nützt wenig, wenn sie in der Anwendung so umständlich ist, dass die Verbraucher Vorbehalte haben. Es ist also sinnvoll, den Verbrauchern verschiedene Angebote mit je eigenen Eigenschaften zu machen, in der Hoffnung, eine insgesamt breite Akzeptanz zu erreichen.

Technologieoffenheit ist gefragt

Außerdem ist die weitere technologische Entwicklung offen. Wer sich zu stark auf nur eine Technologie konzentriert, verschließt unnötig früh mögliche Entwicklungspfade in anderen Technologien, die noch zu Lösungen führen könnten, die sowohl technisch effizient, als auch für die Verbraucher akzeptabel sind.

Jüngst wurden nun insbesondere aus interessierten Lobbygruppen Stimmen laut, die das Prinzip der Technologieoffenheit infrage stellten. So solle beispielsweise bei der Individualmobilität ausschließlich auf batterieelektrische Antriebe gesetzt, der Wasserstoff aber außen vorgelassen werden, da letzterer aus Ingenieurssicht den Makel eines vergleichsweise geringeren Wirkungsgrades und damit höheren Gesamtenergieverbrauchs habe.

Auch im Bundesumweltministerium scheint eine gewisse Skepsis gegenüber dieser Anwendung von Wasserstoff zu herrschen. Der im Herbst veröffentlichte Entwurf zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie wurde u.a. vom Automobilverband VDA stark dafür kritisiert, dass er die Anwendung von Wasserstoff in der Individualmobilität zu gering gewichtet. Dies wiederum steht im Widerspruch zur ambitionierten Nationalen Wasserstoffstrategie aus dem Wirtschaftsministerium, zu deren Maßnahmen auch der Aufbau einer umfangreichen Infrastruktur von Wasserstofftankstellen gehört.

Nimmt man das Gesamtbild in den Blick, so spricht viel dafür, auch beim Individualverkehr nicht ausschließlich auf batterieelektrische Mobilität zu setzen. Neben der schon angesprochenen Verbraucherakzeptanz ist hier auch an die Infrastruktur zu denken. Ein Netz von Wasserstofftankstellen wird man nämlich wohl ohnehin aufbauen müssen, da der Lastverkehr mit schweren Lasten und über lange Distanzen nach Einschätzung von Experten nur mit Brennstoffzellen, aber nicht batterieelektrisch zu bewältigen sein wird. Die hierfür nötige Infrastruktur könnte aber von PKW mitgenutzt werden – und ein weiterer Ausbau dann erfolgen, wenn die Nachfrage wächst.

Eine Rolle wird Wasserstoff ebenfalls beim Antrieb von Zügen auf nicht elektrifizierten Strecken spielen. Im Flugverkehr strebt Airbus an, bis 2035 ein mit Wasserstoff angetriebenes Passagierflugzeug anbieten zu können. In der Wärmeversorgung wird die Beimischung von Wasserstoff in Erdgasnetzen angestrebt.

Ingenieure gehen auch davon aus, dass es nicht mehr lang dauert, bis neuere Gasturbinen auch Wasserstoff verfeuern können. Hat sich der Kostenvorteil von Erdgas mittelfristig erschöpft, weil die Wasserstoffproduktion schnell hochgefahren wird, können wir in den 2030er Jahren Wasserstoff-Gasturbinen als Teil unserer nationalen Stromproduktion begreifen. Angesichts des notwendigen Kohleausstiegs und der hierzulande herrschenden Ablehnung der klimaneutralen Atomenergie, des bereits jetzt steigenden Anteils von Gaskraftwerken in der Stromproduktion, und den Schwierigkeiten beim Ausbau der Erneuerbaren, ist diese Möglichkeit, Erdgas mittelfristig durch Wasserstoff zu ersetzen, eine zentrale Nachricht für die realen Chancen einer schnellen Energiewende.

Dezentralisierung des Energiemarktes

Für die schnelle Energiewende sollte das Bild der Brennstoffzelle als Antrieb für Fahrzeuge zudem einem Gesamtbild der Brennstoffzelle als Minikraftwerke weichen, die als stationäre Brennstoffzellen dezentral für Stromproduktion und als Heizgeräte eingesetzt werden können. Die Dezentralisierung des Energiemarktes ist die eigentliche Herausforderung und die eigentliche Trendwende, die mit den „Erneuerbaren Energien“ und mit Wasserstoff einhergeht. Schon vor gut 20 Jahren hat der Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Buch „Die H2-Revolution“ die Implikationen einer Wasserstoffwirtschaft für die internationale Geopolitik analysiert und eine „Reglobalisierung von unten“ in Aussicht gestellt, die zu einer „Demokratisierung der Energie“ führen könnte – aber eben auch die Player der Öl- und fossilen Energie-Wirtschaft vor Ängste und besondere Herausforderungen stellt.

Elektrolyseure machen den Energieträger Wasserstoff überall verfügbar, weil dieser transportiert werden kann – über Gasleitungen und über den Verkehr – und überall wieder per Brennstoffzelle in elektrische Energie zurückgewandelt werden kann. Kraftwerke werden so in der Tat kleiner, sie werden mehr, und sie sind nicht mehr so kapitalintensiv, sodass nicht mehr nur große Energiekonzerne die Marktmacht haben, sondern Stadtwerke, Verbraucher, und regionale Energieversorger die Möglichkeit bekommen, die Energiewende zu bestimmen – wenn sie denn wollen. Elektrolyseure haben in der Regel nur wenige Megawatt und sind nicht riesig. Brennstoffzellen sind auch nicht groß. Jedes Dorf könnte im Prinzip auf ein paar Äckern der Umgebung Anlagen errichten – was aber eher für Brennstoffzellen und weniger für Elektrolyseure gilt.

Damit sich die Wasserstofftechnologie aber schnell durchsetzt und damit auch dessen Kosten schnell sinken, sollten industrielle Anwendungen zügig verbreitet werden. Die Dekarbonisierung vor allem der energieintensiven Industrien wird ohnehin nur mit Wasserstoff funktionieren. Aber hier setzt die Umstellung in den kommenden Jahren noch umfangreiche Investitionen in Forschung und Entwicklung voraus, die teils auch bereits angestoßen sind, etwa in Form von neuen Forschungsinstituten. Insbesondere die Planung und Entwicklung von Elektrolyseuren von mehreren hundert Megawatt sollten hierbei Kern der Entwicklungs- und Forschungsarbeit werden. Nur mit Großanlagen können industrielle Großkonzerne Wasserstoff sinnvoll und effizient nutzen.

Wasserstoff-Forschung ist wichtig

Weitere universitäre und außeruniversitäre Wasserstoff-Forschungszentren in ganz Deutschland zu errichten, wäre angesichts der Dezentralisierung, die der Wasserstoff bedeutet, zudem ein zentraler Teil einer deutschen Forschungsstrategie. Das wird weitgehend den Bundesländern überantwortet werden müssen. Ein gesamtdeutsches Oberzentrum für Wasserstoffforschung, vergleichbar mit der Größe des Forschungszentrum Jülich, mit einem Jahresbudget von ungefähr einer Milliarde Euro, wäre zudem eine Vision für die deutsche Wissenschaft und Wirtschaft, über die zeitnah zu diskutieren wäre. Je schneller Wasserstoff als Basistechnologie der Dekarbonisierung in die Anwendung kommt, desto besser. Die „nationale Wasserstoffstrategie“ war ein Anfang, könnte aber in vielen Punkten noch ambitionierter ausfallen.

Es spricht alles dafür, dass Wasserstoff für dekarbonisierte Industriegesellschaften an vielen Stellen essentiell sein wird, und auch dafür, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch neue Anwendungsmöglichkeiten gefunden werden. Absehbar ist auch, dass die deutsche Industrie eine Chance hat, bei der Entwicklung entsprechender Technologien führend zu werden und neue Märkte zu erschließen.

Wasserstoff-Partnerschaften sind wichtig

Für den grünen Wasserstoff, der ausschließlich mit Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, wird Deutschland dagegen auf absehbare Zeit Nettoimporteur bleiben. Was auch die Notwendigkeit impliziert, sich mit der klimaneutralen Wasserstoff-Produktion aus Erdgas zu beschäftigen (sogenannter blauer Wasserstoff und türkiser Wasserstoff).

Die Abhängigkeit von sonnenreichen Regionen der Erde sollte man aber nicht als Problem auffassen, sondern als Chance. Der Übergang zur Wasserstoffwirtschaft bietet Chancen für Länder beispielsweise in Afrika, als Exporteure von grünem Wasserstoff stärker in die internationale Arbeitsteilung integriert zu werden und einen nachhaltigen Wachstumspfad einzuschlagen. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft könnte somit auch erhebliche positive Effekte auf die Entwicklungschancen solcher Länder haben.

Wasserstoff kann die Energieversorgung der Industrie, aber auch der Privathaushalte revolutionieren und wird die Dekarbonisierung in vielen Bereichen erst ermöglichen. Der schnelle Markthochlauf wird eine zentrale wirtschaftspolitische Aufgabe für die kommenden Jahre sein, auch um zu zeigen, dass wachsender Wohlstand und Klimaneutralität keine Widersprüche sind.

Deutschland hat die technischen Voraussetzungen und auch die politische Sensibilität für die Dringlichkeit der Aufgabe, dekarbonisierte Industrieproduktion zu ermöglichen, um in der Wasserstofftechnologie führend zu werden. Werden die forschungspolitischen Weichen entsprechend gestellt, kann man davon ausgehen, dass das Innovationspotential in den Unternehmen groß genug ist, um Anwendungen schnell voranzubringen.

Es besteht somit die Chance, mit einer schnellen Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft unproduktiven Diskussionen um eine vermeintlich klimapolitisch gebotene Schrumpfung des materiellen Wohlstands den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dafür wird es höchste Zeit.

 

Dr. Nils Heisterhagen und Prof. Dr. Jan Schnellenbach