Der Sozialdemokratie als Vertreterin der politischen Linken wird von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite gerne der polemische Vorwurf gemacht, sie würde sich zu sehr um die sozialpolitische und materielle Umverteilung statt um die Bedingungen von Wohlstand und wirtschaftlichem Erfolg kümmern.
Eine selbstbewusste und wirtschaftspolitisch progressive Sozialdemokratie sollte den konstruierten Widerspruch von Umverteilungspolitik und wirtschaftlichem Erfolg entlarven. Die SPD kann mit guten Argumenten für eine Politik eintreten, die durch eine aktive Gestaltung technologische Innovationen, ökonomische Wertschöpfung und klimaneutrales Wachstum fördert und eine gerechte sowie demokratische Verteilung von Einkommen und Vermögen sowohl als notwendige Bedingung als auch als Folge von Wohlstand begreift.
Eine zum Teil jahrzehntelange wirtschaftsliberale Hegemonie und ein sozial sowie ökonomisch fahrlässiges Shareholder-Value-Denken in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben viel zu lange dazu geführt, dass volkswirtschaftlich und ökologisch sinnvolle Investitionen ausgeblieben sind.
Jetzt muss investiert werden!
Dafür waren sowohl staatliches Handeln als auch relevante Bereiche der Privatwirtschaft verantwortlich. Auch die Ungleichheit in der Vermögensverteilung und die Auseinanderentwicklung der Einkommen nahmen in dieser Zeitspanne bedenklich zu.
Von den Folgen der zu niedrigen Investitionen und einer unterentwickelten Binnennachfrage für das ökonomische Gleichgewicht innerhalb Europas ganz zu schweigen. Beide Entwicklungen, die viel zu geringen öffentlichen Investitionen und die ökonomische Ungleichheit in der Gesellschaft, folgten aus dem Narrativ des schlanken Staates und der angebotsorientierten Deregulierung.
Dieses Narrativ wurde durch die Wirklichkeit widerlegt. Ich habe schon vor einiger Zeit dafür plädiert, dass wir statt einer völlig unreflektierten Schuldenbremse eine Verwahrlosungsbremse für die öffentliche Infrastruktur benötigen. Heute wollen selbst konservative Ökonomen nichts mehr vom Dogma der staatlichen Schuldenbremse wissen. Gut so.
Unsere internationalen sowie nationalen Klimaschutzziele haben das notwendige Umdenken befördert und mündeten bereits in vielen wichtigen und maßgeblich von der SPD in Parlament und Regierung initiierten Beschlüssen, die trotz mancher öffentlichen Kritik eine Würdigung verdient haben.
Die umfassenden Vorhaben beispielsweise aus dem Klimaschutzpaket der Koalition, zum Strukturwandel in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen und zur Nationalen Wasserstoffstrategie gilt es jetzt weiter und vor allem schnell mit Leben zu füllen. Mit der Energiewende steht unsere Gesellschaft vor einem der größten und umfassendsten Transformationsprozesse unserer Epoche.
Der Wandel ist unbedingt nötig, damit wir unsere Lebensgrundlage, unseren Planeten und sein Ökosystem erhalten können. Zugleich müssen wir aber auch aufzeigen, wie der Wandel gelingen kann, ohne, dass neue Ungerechtigkeiten entstehen.
Rote Energiewende
Die Sozialdemokratie kann und wird die Energiewende als gestaltende Kraft vorantreiben. Darin steckt auch die Chance, eine neue wirtschaftspolitische Hegemonie zu entwickeln. Wir müssen dabei konkret sein. Unter dem Stichwort der „Roten Energiewende“ werbe ich dafür, sich dem Umweltschutz, der Begrenzung der Erderwärmung, der Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie der Technologieförderung gleichermaßen verpflichtet zu fühlen. Wir spielen Umweltschutz nicht gegen soziale Interessen und Beschäftigung aus.
Die Idee der „Rote Energiewende“ ist ein Plädoyer dafür, die technologischen Potentiale in den Sektoren Wärme, Strom und Verkehr ökologisch, ökonomisch und sozial zusammenzudenken und sie miteinander zu vernetzen.
Sektorkopplung ist das Gebot der Stunde, vor allem mit intelligenten und flexiblen Speichertechnologien. So können wir zukünftig erneuerbare Energie mittels Power-to-X umwandeln und speichern, um beispielweise Wärmepumpen, emissionsfreie Wasserstofffahrzeuge oder die Stahlindustrie zu versorgen.
Im Rahmen der Sektorkopplung benötigen wir deshalb nun den konsequenten Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Wasserstoff löst das Speicherproblem, weil Strom aus Sonnen- und Windenergie durch Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt, gespeichert sowie problemlos transportiert werden kann. Erneuerbarer Wasserstoff kann dann in den Sektoren Wärme und Verkehr eingesetzt werden.
Der begonnene Einstieg in die CO2-Bepreisung wird jetzt anstehenden Investitionen in umweltfreundliche Wasserstoffanwendungen und Elektrolyseanlagen auch betriebswirtschaftlich harte Kostenvorteile gegenüber den alten Technologien verschaffen.
Dann können auch in den Ländern und Kommunen weitere Schritte eingeleitet werden. Der Ausbau von Wasserstofftankstellen, die Umstellung der öffentlichen Busflotten im Nahverkehr auf Brennstoffzellenbusse und Regularien für emissionsfreie Taxis und LKWs sind Beispiele für konkretes Handeln vor Ort, um Nachfrage nach Wasserstoff sowie nach Infrastruktur und innovativen Fahrzeugen zu generieren und neue Absatzmärkte zu fördern.
Mein Düsseldorfer Wahlkreis ist kürzlich gemeinsam mit den Städten Duisburg und Wuppertal sowie dem Rhein-Kreis-Neuss als NRW-Modellregion Wasserstoffmobilität ausgezeichnet worden.
Wasserstoff schafft Arbeitsplätze
Es bedarf ambitionierter Ziele für die heimische Wasserstoffproduktion. Die Lektüre der einschlägigen wissenschaftlichen Studien führt zu der begründeten Erkenntnis, dass bis 2050 auf Grund der politischen Implikationen der Energiewende 100 bis 350 Gigawatt an Elektrolyseleistung in Deutschland installiert sein müssen.
Daraus entstünde mit der richtigen wirtschaftspolitischen Strategie ab 2030 ein Absatzmarkt von 5 bis 17 Gigawatt jährlich mit einem Jahresumsatz von 6 bis 20 Milliarden Euro.
Allein für die Elektrolyseproduktion würden somit kurzfristig bis zu 90.000 Beschäftigte benötigt. Hinzu kommt das Personal für Betrieb, Service und Instandhaltung, so dass insgesamt bis zu 100.000 Arbeitsplätze im Bereich der heimischen Elektrolysefertigung entstehen können.
Ein ähnliches Potential wird für den Brennstoffzellen-Markt gesehen. Gesteigerter Bedarf entsteht beispielsweise für Fachkräfte aus dem Ingenieurswesen im Bereich Elektronik und Maschinenbau, aus der Mechatronik, der Servicetechnik, der Anlagenmechanik, dem Rohrleitungsbau sowie für Kaufleute und Verwaltungspersonal.
Hinzu kommt das Wertschöpfungspotential bei externen Dienstleistern sowie Zulieferern von Betriebsmitteln, Bauteilen und Rohstoffen. Berücksichtigt man die Exportpotentiale der gefertigten hochqualitativen Produkte im Rahmen des globalen Ausbaus der erneuerbaren Wasserstoffproduktion, ist das Arbeitsplatzpotential sogar noch größer.
Auch die vorhandenen Arbeitsplätze in Tankstellen können mitbetrachtet werden. Aktuell arbeiten dort weit über 70.000 Menschen in Deutschland. Diese Arbeitsplätze würden zum Beispiel bei einer reinen batterieelektrischen Mobilität entfallen.
Auch dies unterstreicht die Notwendigkeit der Technologieoffenheit bei der sektorübergreifenden Gestaltung der Energiewende. In der wichtigen Stahlindustrie bedarf es eines staatlich gestützten Transformationspfads, der den Wechsel von Kohle über Gas zu Wasserstoff ermöglicht. Mehr öffentliche und in der Folge auch privatwirtschaftliche Investitionen in innovative Technologien würden somit nicht nur den Klimazielen dienen, sondern ganz konkrete Perspektiven für etliche Berufsgruppen und Branchen schaffen und soziale Sicherheit im Wandel und tariflich bezahlte Arbeit befördern sowie einen relevanten Beitrag für öffentliche Fiskaleinnahmen leisten.
Aber ohne eine demokratische und zupackende politische Gestaltung werden der Hochlauf und die Marktdurchdringung dieser neuen Technologien und damit die klimagerechte Energiewende nicht gelingen.
Vorhandenes Marktversagen, das durch unzureichende Investitionen von Unternehmen in notwendige Infrastruktur und in die Anwendung von innovativen Technologien geprägt ist, muss durch sachgerechte sowie wirksame staatliche Förderungen und regulatorische Anreize behoben werden.
Durch eine demokratische Gestaltung kann der Staat neue Absatzmärkte und viele sichere, anständig bezahlte Arbeitsplätze schaffen, er muss es nur wollen und mitunter auch selbst wieder zum Investor werden, der die Mutlosigkeit und Zukunftsvergessenheit der Kurzfrist-Ökonomie mancher Unternehmens- und Konzernvorstände überwindet.
Der dringend notwendige Klimaschutz und der Technologiestandort Deutschland können dabei nur profitieren. Und die Sozialdemokratie kann zeigen, dass sie die Partei der sozialen Gerechtigkeit und der wirtschaftspolitischen Kompetenz in diesem Land ist.
Andreas Rimkus