Die Finanzkrise 2009 wurde in Deutschland vorbildlich gemeistert. Das Bruttosozialprodukt ging damals um 4,9% zurück, ohne dass im Unterschied zu fast allen anderen Ländern die Arbeitslosigkeit stieg. Dieses „Beschäftigungswunder“ wurde möglich, da die Unternehmen Stunden und nicht Beschäftigte entließen. Schon im Herbst 2008 wurden die Inanspruchnahme von Kurzarbeit erleichtert und ihre Dauer auf bis zu zwei Jahre verlängert. Die Sozialpartner hatten zudem in den Jahren zuvor – sozusagen auf Vorrat – ein breites Spektrum arbeitszeitpolitischer Krisenmaßnahmen vereinbart. Entlassungen konnten damals durch eine Kombination von Kurzarbeit mit betrieblichen Maßnahmen, wie der Auflösung von Guthaben auf Arbeitszeitkonten, Überstundenabbau oder auch der vorübergehenden Absenkung der Regelarbeitszeit, vermieden werden.
Erstmal nur Zeit gewonnen
Übersehen wird häufig, dass man einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen nicht allein durch die Vermeidung von Entlassungen verhindern kann. Wenn die Unternehmen nicht in ähnlicher Höhe wie in den Vorjahren einstellen, vermindert sich durch die Abgänge in den Ruhestand die Zahl der Beschäftigten. Außerdem steht dann die nachwachsende Generation vor der Tür und die Jugendarbeitslosigkeit explodiert, wie das vor allem in Süd-, Mittel- und Osteuropa zu beobachten war.
Dass 2009 – als noch mitten in der Krise – die Unternehmen 566 000 Auszubildende einstellten, ist der zweite arbeitsmarktpolitische Pfeiler des damaligen Krisenmanagements. Viele Unternehmen wollten nicht den schmerzvollen Fehler in den Krisen zuvor wiederholen, als sie die Ausbildung kürzten und damit den Fachkräftemangel im anschließenden Aufschwung selbst produzierten. Ohne politischen Druck, die vielen Ausbildungsbündnisse und die finanzielle Unterstützung der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher wäre diese Erfahrung aber in der zunehmend schnelllebigen Wirtschaft mit kurzfristigem Profitdenken in Vergessenheit geraten.
Mit den sofort wirkenden Arbeitszeitmaßnahmen und der Stabilisierung der Ausbildung wurde Zeit gewonnen. Der Zeitgewinn war notwendig, da die Konjunkturpakete aufgrund des Planungsvorlaufs immer erst mit Zeitverzögerung wirken.
Das „Beschäftigungswunder“ war kein Selbstläufer, sondern wurde über ein informelles Bündnis für Arbeit politisch organisiert. Man nannte es damals nur nicht „Bündnis für Arbeit“, da der Begriff schon verbraucht war und der Aufbau formeller Strukturen mit vielen Zeichnungsberechtigten viel zu viel Zeit gekostet hätte.
Die innovativen Krisenmaßnahmen wurden in der Politik und der betrieblichen Praxis entwickelt. Aus den Wirtschaftswissenschaften kamen wenig Impulse. In den Konjunkturpaketen sahen viele Ökonomen nur Strohfeuer und in der zeitlich verlängerten Kurzarbeit nur eine Bremse des notwendigen Strukturwandels. Dennis Snower, der damalige Präsident des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, schrieb etwa im Handelsblatt vom 12. November 2009, dass Kurzarbeit langfristig schade, weil sie Arbeitskräfte an nicht mehr rentablen Arbeitsplätzen festhalte.
Heute wissen wir, wie wirkungsvoll die Krisenbekämpfung war. Sie hatte nicht nur soziale, sondern auch positive wirtschaftspolitische Effekte. Als die Konjunktur wieder anzog, konnten die deutschen Unternehmen ihre Kapazitäten schnell wieder hochfahren, da sie die Fachkräfte an Bord gehalten hatten. Hatte man die Krise den Marktkräften überlassen, wäre das Wachstum nach 2009 deutlich geringer ausgefallen.
Die Erfahrungen in der Finanzkrise haben der Öffentlichkeit gezeigt, dass sich mit einem starken Sozialstaat und innovativen Sozialpartnern auch tiefe Krisen bewältigen lassen, ohne dass große Teile der Bevölkerung und vor allem die nachwachsende Generation ins Elend gestürzt werden, wie wir das in den USA oder in vielen europäischen Nachbarländern beobachten konnten. Befragungen zeigen, dass die Sozialpartner heute stolz auf ihren wichtigen Beitrag zum „Beschäftigungswunder“ sind.
Wir haben aus der letzten Krise gelernt
Der Einbruch der Corona-Krise ist mit einem Rückgang des Bruttosozialprodukts von 5,3% stärker als in der Finanzkrise ausgefallen. Vermutlich zieht sich die Krise auch länger hin als damals. Zusätzlich hat sich die Betroffenheit verändert. Diesmal trifft die Krise nicht nur meist gut bezahlte Industriearbeiter, sondern viele Beschäftigte aus Dienstleistungsunternehmen mit oft nur niedrigen Löhnen.
Die Erfahrungen in der Finanzkrise haben in der jetzigen Corona-Krise sehr geholfen. Der schon einmal bewährte Instrumentenmix war den politischen Akteuren noch präsent und wurde den veränderten Umständen, der Dimension der Krise und auch neuen Kriterien der Nachhaltigkeit bei den Ausgabeprogrammen angepasst. In der Arbeitsmarktpolitik musste man auf die veränderte Zusammensetzung der Kurzarbeiter reagieren. Um den Absturz der vielen Geringverdiener*innen in Hartz-IV zu verhindern, wurden das Kurzarbeitergeldes bei längerem Bezug (ab dem 4. Monat) erhöht und die Anrechnung des Vermögens auf die Grundsicherung vorübergehend ausgesetzt. Außerdem wurden die Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialversicherungen übernommen, da Weiterbildungsmaßnahmen, an die diese Zahlung 2009 gebunden war, im shut-down kaum zu organisieren waren. Ähnlich wie 2009 wird man wahrscheinlich die Kurzarbeiterregelungen noch einmal über 2021 hinaus verlängern müssen.
Die Bedeutung der Arbeitsmarktpolitik ist in der jetzigen Corona-Krise noch größer als in der Finanzkrise. Damals waren zum Höhepunkt der Krise 1,443 Millionen Personen in Kurzarbeit. Diesmal lag der Höchstwert sogar bei 5,995 Millionen. Dahinter stehen große Ausgabenströme. Das Ausgabendefizit der Bundesagentur für Arbeit lag 2009 bei 16,7 Milliarden €, im Jahre 2020 waren es hingegen 27,3 Milliarden. Die in der Arbeitslosenversicherung eingebauten automatischen Stabilisatoren von Überschüssen im Aufschwung und Defiziten in der Krise ohne Kürzungsprogramme wirken zu lassen, gehört zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik.
Zwar konnte der Anstieg der Arbeitslosigkeit erheblich gebremst, aber mit einer Zunahme um rund 400 000 im Jahre 2020 nicht verhindert werden. Negativ ist auch, dass die Stabilisierung der Ausbildung nicht den gleichen Stellungwert hat, wie 2009, und die Zahl der Ausbildungsplätze erstmals unter 500 000 sank. Allerdings stieg auch diesmal die Jugendarbeitslosigkeit nur geringfügig.
Digitalisierung als neue Herausforderung
Eine neue Dimension in der Coronakrise ist sicherlich ihre Verknüpfung mit einem beschleunigten Strukturwandel infolge der Digitalisierung und der De-Karbonisierung der Wirtschaft. Anders als 2009 wird man nicht erwarten können, an alte Wachstumsmuster anknüpfen zu können. Der Arbeitsmarktpolitik fällt die Aufgabe zu, nicht nur diese Krise sondern gleichzeitig auch einen langgestreckten Strukturwandel abzufedern und ihn gleichzeitig aber durch eine aktive Qualifizierungspolitik zu ermöglichen.
Mit drei neuen Gesetzen aus dem Arbeitsministerium, dem Weiterbildungsstärkungs-, dem Qualifizierungschancen- und dem Arbeit-von-Morgen-Gesetz, wurden die Möglichkeiten einer investiven Arbeitsmarktpolitik erheblich verbessert. Ohne Unterstützung durch die Sozialpartner werden die Potentiale dieser Gesetze aber nicht ausreichend genutzt werden. Die Forderung der IG Metall in der aktuellen Tarifrunde nach Zukunftstarifverträgen geht daher in die richtige Richtung. Eine temporäre Absenkung der Arbeitszeit mit einem tariflichen Teillohnausgleich in Form einer Vier-Tage-Woche kann in den vom Strukturwandel besonders betroffenen Betrieben für eine Übergangsphase die Beschäftigung sichern. Das dies über geringere Lohnsteigerungen für alle auch finanziert werden muss, ist eine Form des Solidarausgleichs innerhalb der Beschäftigten.
Es ist ermutigend, dass sich auch für schwere Wirtschaftskrisen gute Drehbücher für die Krisenbewältigung entwickeln lassen. Sie setzen aber einen starken Sozialstaat, der Risiken ausgleicht, und Flächentarife mit innovativen Vereinbarungen voraus. Den Unterschied zu Ländern mit schwachem Sozialstaat und marginalisierten Gewerkschaft kann man an einem Vergleich der Arbeitslosenzahlen zwischen den USA und Deutschland in der Corona-Krise ablesen. In den USA explodierte die für den internationalen Vergleich harmonisierte Arbeitslosenquote im ersten shutdown von 3.5% im Februar 2020 auf 14,8% im April; bei den Jugendlichen verzeichnet man sogar eine Zunahme von 7,8% auf 27,4%. In Deutschland hingegen stieg die Arbeitslosenquote im gleichen Zeitraum hingegen nur von 3.6 auf 4% und für Jugendliche von 5,8 auf 6,0% (EC 2021).
Prof. Dr. Gerhard Bosch
Lesen Sie hier auch den Beitrag von Prof. Dr. Enzo Weber und den Beitrag von Detlef Scheele