Digitale und klimaneutrale Industrie: Investitionsallianz erforderlich

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Prof. Dr. Claudia Kemfert Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt am DIW Berlin
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Prof. Dr. Martin Gornig Forschungsdirektor für Industriepolitik am DIW Berlin
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Weltweit hat die Corona-Pandemie zu erheblichen Verlusten in der Wertschöpfung geführt. In Deutschland lag 2020 der Rückgang der realen Wirtschaftsleistung bei mehr als fünf Prozent. Auch der Start ins neue Jahr ist durch die besonderen Umstände der Pandemiebekämpfung gekennzeichnet. Geschäfte, Restaurants, Hotels sind geschlossen. Kultureinrichtungen haben ihren Spielbetrieb unterbrochen. Viele personenbezogene Dienstleistungen, vom Friseur bis zum Fitnesstrainer können nicht oder nur eingeschränkt erbracht werden.

Der Staat hält dagegen. Regierungen versuchen, mit Liquiditätshilfen unternehmerisches Überleben zu sichern und mit Lohnersatzleistungen die Einkommen zu stützen. Zentralbanken rund um den Globus haben zugleich expansive geldpolitische Maßnahmen ergriffen. Kreditfinanzierte Konjunkturprogramme nicht nur in Europa sollen die Wirtschaft stützen. Anders als noch in der Wirtschaftskrise 2008/2009 scheint die unmittelbar weniger betroffen und die Industrie profitiert besonders von den Stützungsmaßnahmen.

Ein Ausdruck dafür sind Meldungen über besonders hohe Unternehmensgewinne bei manchen Autoherstellern. Geht der Blick aber weiter nach vorne, sind die Aussichten weniger rosig. Es wird nicht reichen, nach dem Lockdown die alten Muster wiederzubeleben, sondern neue Wachstumschancen müssen generiert werden. Der Industriesektor in Deutschland ist seit Jahren dadurch gekennzeichnet, dass der Kapitalstock der hiesigen Standorte immer mehr überaltert und das Produktivitätswachstum kontinuierlich abnimmt. Der Grund dafür ist eine eklatante Investitionsschwäche. Diese betrifft nicht nur Gebäude und Maschinen, auch in Köpfe – also das Wissenskapital – investiert die deutsche Industrie im Vergleich zu anderen Ländern zu wenig. Investitionen sind jedoch insbesondere in Zeiten notwendiger Modernisierungen aufgrund der Digitalisierung und des Klimaschutzes unerlässlich.

Die generelle Investitionszurückhaltung und mangelnde Innovationen sind vor dem Hintergrund der Erreichung der Klimaziele besonders problematisch. Die deutsche Industrie muss zur Erreichung der Klimaziele in den kommenden zehn Jahren die Emissionen um etwa 24 % im Vergleich zu heutigen Emissionen senken. Dies gelingt nur, wenn Produktionsprozesse möglichst rasch auf Klimaneutralität ausgerichtet werden. Beispielsweise muss die Fahrzeugfertigung den benötigten Stahl aus CO2 freien Verfahren gewinnen. Dies kann gelingen beispielsweise durch die Umstellung des Betriebs von Hochöfen von Kohle auf aus erneuerbaren Energien hergestelltem Wasserstoff. Da in den kommenden Jahren ohnehin etwa 50 % aller Hochöfen altersbedingt ersetzt werden müssen, ist die Zeit günstig diese jetzt zukunftsfähig und klimaschonend auszurichten.

Grüner Wasserstoff ist ebenso für die Chemieindustrie oder aber als Antriebsstoff für Schwerlast-, Schiffs-, oder Flugverkehr in einer klimaneutralen Wirtschaft zentral. Auch die Automobilbranche muss die Produktionsprozesse umstellen. Im Individualfahrzeugbereich verstärkt auf Elektromobilität setzen, im Schwerlastbereich werden klimaschonende Antriebe benötigt. Umfangreiche Modernisierungen sind somit dringend erforderlich.

Aufgrund der jetzigen Wirtschaftskrise drohen die Schwächen der Industrie sich zu verfestigen und so eine langanhaltende Wirtschaftskrise und Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der gesamten Wirtschaft zu verursachen. Die Risiken für Investoren nehmen durch Corona weiter zu. Haben schon in den letzten Jahren Unsicherheiten über künftige wettbewerbsfähige Technologien, ob digital oder konventionell, und über geopolitische Rahmenbedingungen unter Trump und Johnson die Investitionsneigung eingetrübt, dürfte mit den virusbedingten Gefahren die private Investitionslust weitgehend zum Erliegen kommen.

Die schon jahrelang bestehende Investitionsschwäche der deutschen Industrie kann nur überwunden werden, wenn neben der kurzfristigen finanziellen Unterstützung die existierenden mittelfristigen Marktrisiken durch die gezielte staatliche Beteiligung vermindert werden. Durch eine gezielte Förderung einerseits der Forschung und Entwicklung zur Stärkung des Wissenskapitals und andererseits der Investitionen in moderne und klimaschonende Produktionsanlagen kann die Industrie und die Wirtschaft dauerhaft gestärkt und zukunftsfähig gemacht werden. Die Einrichtung von Allianzen sind ein probates Mittel, mit denen gezielte Investitionsförderprogramme und Investitionspartnerschaften von Unternehmen und Staat entwickelt werden können.

Ein Beispiel für solche Investitionsallianzen unterschiedlicher Unternehmen und Staaten hat Europa mit deutscher Unterstützung richtigerweise eine Förderung der Batterieproduktion für Elektromobilität auf den Weg gebracht, um die Autobauer und ihre Zulieferer beim Aufbau entsprechender Wertschöpfungsketten zu unterstützen und so Wettbewerbsnachteile gegenüber asiatischen Herstellern zu vermindern.

Die Corona-Krise führt einmal mehr die Vorteile regionalgebundener Produktionskreisläufe vor Augen. Sie verringern nicht nur notwendige Transportwege, sondern schützen zumindest teilweise vor möglichen Lieferunterbrechungen oder willkürlichen Angebotsengpässen. Digitalisierung könnte gleichzeitig Kleinserien gegenüber Massenproduktionen wettbewerbsfähiger machen und damit mehr und mehr regionale Kreisläufe kostengünstig ermöglichen. Nach dem Muster der EU-Batterie-Verbundes sollten weitere Allianzen beispielweise zur Herstellung und Vertrieb von grünem Wasserstoff, grünem Stahl, Zement oder klimaschonende Chemie gebildet und finanziell unterstützt werden.

Solche Allianzen sind vom Maschinenbau bis zum Konsumgüterhersteller auch im Bereich additiver Fertigungstechnologien wie dem 3D-Druck anzustreben. Investitionszuschüsse sollten im Rahmen von direkten Investitionsallianzen gewährt werden, in denen der Staat gezielt am Umbau der Industrie hin zur digitalen klimaschonenden Kreislaufwirtschaft mitwirkt. Entsprechend ist der Staat aber nicht nur am Risiko, sondern auch an späteren Gewinnen zu beteiligen. Zudem muss der Staat dafür Sorge tragen, dass über Wissenstransfer langfristig hinreichend unternehmerischer Wettbewerb generiert wird. Gezielte zweckgebundene Investitionsmittel für die Umsetzung solcher Investitionsallianzen erscheinen hier in allen Fällen besonders zielführend.

In Zeiten der Krise sind vielerlei Innovationen erforderlich. Auch und gerade in der deutschen Industrie. Aber auch seitens der Politik, müssen neue Wege gegangen werden. Speziell zur Förderung der Industrie für mehr Wissenskapital für schnellere Digitalisierung und besseren Klimaschutz wären Investitionsallianzen besonders geeignet, die Industrie und somit die gesamte Volkswirtschaft dauerhaft zu stärken. Deutschland kann hier Vorreiter und Partner in Europa sein.

 

Prof. Dr. Claudia Kemfert

Prof. Dr. Martin Gornig