Die Weichen für eine gute Zukunft Deutschlands und Europas werden jetzt gestellt. Über die bloße Bewältigung der Corona-Krise hinaus gilt es in den kommenden Monaten klare Entscheidungen für unser Land und Europa zu treffen. Nur mit Mut und Zukunftsorientierung kommen wir gestärkt aus der Krise und legen den Grundstein für nachhaltigen Wohlstand, technologische Wettbewerbsfähigkeit und gute Arbeitsplätze in den 2020er Jahren. Das europäische Wiederaufbauprogramm kann und muss dabei zum Ausgangspunkt für starke Zukunftsinvestitionen in Europa werden.
Deutschland braucht ein starkes Europa
Klar ist: Nachhaltiges Wachstum in allen Regionen Europas ist auch in Deutschlands Eigeninteresse. Unsere Wirtschaft ist eng mit den Wirtschaften der 26 weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbunden. 58% aller deutschen Exporte hatten 2019 einen EU-Mitgliedstaat als Ziel. Das ist das achtfache der deutschen Exporte nach China, das sechseinhalbfache der Exporte in die USA.
Doch es sind nicht nur die Exporte. Es ist vielmehr die Integration kompletter Lieferketten über den Binnenmarkt hinweg. Gerade in der aktuellen Krise, in der in Teilen Grenzkontrollen zur Eindämmung der Mutationen durchgeführt werden, wird nochmals deutlich, wie wichtig der ungehinderte Strom von Waren ist. Das Gleiche wird gerade in den Grenzregionen mit vielen Pendlern auch mit Blick auf die Arbeitnehmer- und die allgemeine Personenfreizügigkeit deutlich. Das alles zeigt einmal mehr, wie wichtig Investitionen in den europäischen Zusammenhalt und einen starken Binnenmarkt sind.
Europäischer Zusammenhalt in der Krise
Die Corona-Krise stellt eine beispiellose Herausforderung dar, für unser Land aber auch für die EU und den Zusammenhalt zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Zu Beginn der Pandemie drohten unkoordinierte und kontraproduktive nationale Reflexe zu dominieren. Exportverbote, auch zwischen EU-Mitgliedstaaten wurden erlassen und wieder zurückgenommen. Grenzen wurden ohne oder mit zu wenig Absprache geschlossen. Es drohte ein Auseinanderdriften Europas.
Es ist in besonderer Weise der Initiative von Bundesfinanzminister Olaf Scholz und seinem französischen Amtskollegen le Maire zu verdanken, dass diese Krise durch massive Rettungsprogramme in Höhe von 540 Milliarden Euro über den ESM, die europäische Investitionsbank EIB und das Kurzarbeitsprogramm SURE soweit kontrolliert werden konnte, dass ein Auseinanderbrechen vermieden wurde. Das hat den Raum und das Vertrauen geschaffen, um in einem weiteren Schritt dann auch eine gemeinsame, zukunftsgerichtete europäische Antwort für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise zu geben.
Das Wiederaufbauprogramm – Nukleus einer europäischen Fiskalunion
Diese gemeinsame Antwort – das 750 Milliarden schwere Corona-Wiederaufbauprogramm mit echten Investitionszuschüssen – ist ein Quantensprung für Deutschland und Europa. Es ist sowohl Zeichen europäischer Solidarität in der Krise, als auch ein starkes wirtschaftliches und technologisches Zukunftsprogramm für Europa. Es bietet die Chance, durch zielgerichtete Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit, in Zukunftstechnologien und gute Arbeitsplätze europaweit Wachstum und Wohlstand anzukurbeln.
Darüber hinaus bietet das Programm die Chance, die Wirtschafts- und Währungsunion künftig auch dauerhaft um eine echte fiskalische Komponente zu erweitern. Denn: Die EU wird jetzt erstmals gemeinsame Anleihen ausgeben und die aufgenommenen Schulden mithilfe neuer Einnahmen zurückzahlen – in Form der geplanten Plastikbesteuerung oder einer gerechteren Besteuerung von Digitalkonzernen in Europa. Das Wiederaufbauprogramm schafft auf diese Weise die Konturen für eine künftige Fiskalunion der EU, die für gemeinsame Stabilität und dauerhaftes Wachstum in Europa und im Euroraum sinnvoll und notwendig ist.
Zukunftsinvestitionen für Deutschland und Europa
Zugleich kommt es darauf an, dass wir die kommenden Jahre und die finanziellen Spielräume, die wir in Europa durch das Wiederaufbauprogramm hinzugewinnen, für gemeinsame ambitionierte und konkrete Zukunftsprojekte Europas nutzen. Der Wiederaufbau in Europa muss zugleich der Einstieg in eine gemeinsame und mutige Zukunftsgestaltung sein. Drei Schwerpunkte will ich dabei nennen, bei denen in besonderer Weise eine starke politisch gestaltende Wirtschafts- und Zukunftspolitik Deutschlands und Europas künftig ineinander greifen müssen: Investitionen in einen klimaneutralen Kontinent, Investitionen in unsere digitale Souveränität und Investitionen in die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger und eine gemeinsame europäische Strategie der Pandemiebekämpfung und -vorsorge.
Erstens: Nachhaltige Zukunftsinvestitionen: Das ambitionierte europäische Ziel, 2050 klimaneutral zu leben und zu wirtschaften, kann nur erreicht werden, wenn wir spätestens jetzt die Grundsteine dafür legen. Gleichzeitig schafft ein mutiger Wandel zum jetzigen Zeitpunkt die Chance auf Technologieführerschaft und somit die Sicherung der Arbeitsplätze der Zukunft.
Das gilt zum Beispiel für die Batteriezellenfertigung und das Recycling gebrauchter Batterien genauso wie für die Produktion erneuerbarer Energien. Da Deutschland den Ausstieg aus Kohle und Atomkraft beschlossen hat, führt der Weg zur Klimaneutralität über erneuerbare Energien, deren Potential in anderen Gegenden Europas oft höher ist als hierzulande – sei es Photovoltaik in Südeuropa oder Windkraft in Skandinavien. Unsere Energiewende muss deshalb eine europäische Energiewende sein. Auch der notwendige Wandel hin zu einer innovativen Wasserstoffwirtschaft muss mit mutigen Investitionen europaweit befördert werden. Die Industriesubstanz in Deutschland und Europa muss dabei erhalten werden, statt dem Abwandern von CO2-intensiven Betrieben brauchen wir Investitionen in die Transformation ganzer Branchen hin zur Nutzung von Wasserstoff. Auch hier kann die innereuropäische Produktion von sogenanntem grünem, durch erneuerbare Energien produziertem Wasserstoff die Transformation unserer Wirtschaft ermöglichen und gleichzeitig ein Mehr an europäischer Energiesouveränität schaffen.
Zweitens: Stärkung der digitalen Souveränität: Die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft wird entscheidend vom digitalen Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft abhängen. Umso weniger können es sich Deutschland und Europa leisten, im Bereich der Digitalisierung weiter teils deutlich hinter anderen Regionen der Welt zurückzuliegen. Doch es gibt auch positive Anknüpfungspunkte: So ist die deutsche Industrie im Bereich der Automatisierung und der Verwendung von Robotern führend. Im weltweiten Vergleich der Anzahl der Roboter pro Arbeitnehmer ist Deutschland nach Singapur, Südkorea und Japan das vierte Land weltweit. Diese gute Position gilt es nun zu nutzen, um auch die europäische Entwicklung von Software-basierten Lösungen weiter zu etablieren. Die Entwicklung von Cloud-basierten Lösungen und von Anwendungen, die sich auf künstliche Intelligenz stützen, kann Deutschland nur im europäischen Verbund schaffen. Technologische Innovation und digitale Souveränität sollten dabei mit zugleich stärkerer Daten-Souveränität und einem robusten europäischen Regime des Datenschutzes einhergehen.
Drittens: Gemeinsamer Gesundheits- und Pandemieschutz: Mit Blick auf den gemeinsamen europäischen Kauf von Corona-Impfstoffen stand die Führung der Europäischen Kommission in den letzten Monaten und Wochen stark in der Kritik, vielfach zurecht. Inzwischen scheint klar, dass bei der Beschaffung zu langsam und nicht mutig und innovativ genug vorgegangen wurde. Dennoch bleibt es offensichtlich, dass die gemeinsame europäische Impfung der richtige Weg ist. Es würde Deutschland nur sehr wenig nützen, eine Insel der Geimpften mit geschlossenen Grenzen innerhalb Europas zu sein. Zudem: Selbst der vorhandene Impfstoff wird hierzulande bisher nicht schnell genug verimpft, ein eklatantes Versagen, für das nicht die EU-Kommission die Verantwortung trägt, sondern vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.
Die bisherigen Erfahrungen mit der Corona-Krise zeigen bereits klar: Der gesamte Gesundheitssektor, gerade auch die preparedeness für zukünftige Pandemien ist eine weitere Zukunftsaufgabe, die wir gemeinsam in Europa angehen müssen. Wie bei der Bekämpfung von Corona müssen wir in Deutschland und Europa entschieden unsere Innovationskraft einsetzen, um Krankheiten zu bekämpfen.
Innovationen und neue Methoden sind Risikoinvestitionen, die sich aber im Erfolgsfall massiv lohnen. Die Gesundheitswirtschaft ist kein reiner Markt, eine aktive Rolle des Staates ist unabdingbar. Auch brauchen wir eine gemeinsame Strategie zur Sicherung medizinisch essentieller Ressourcen und Lieferwege sowie koordinierte Investitionen zur Stärkung des Gesundheitssektors in Europa. Neben diesen strukturellen Investitionen muss eine weitere Lehre sein, die akute gemeinsame Krisenreaktionskraft Europas zu stärken. Auch wenn es schmerzt: Hier können und müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten von guten Beispielen lernen, auch wenn ein gutes Beispiel aus Großbritannien kommt, wo die UK Vaccine Taskforce mit ihren 200 Vollzeit-Mitarbeitern aus zuständigen Behörden, Beratern, der Wirtschaft und dem Militär agil handelt und einer der Erfolgsfaktoren nicht nur der Beschaffung, sondern auch des Rollouts der Impfungen in Großbritannien ist. Dynamisches und effizientes Handeln in der Krise müssen wir sowohl in Europa als auch in allen Ebenen staatlichen Handelns in Deutschland sicherstellen.
Zusammengefasst: Die Europäische Union ist und bleibt in Deutschlands Kerninteresse, politisch wie ökonomisch. Viele Herausforderungen – die Transformation der Wirtschaft, das Schaffen nachhaltigen Wachstums, die Gestaltung von Digitalisierung und Automatisierung – können wir am besten als Gemeinschaft angehen.
Auch wenn die EU nicht perfekt ist und ihre Schwachstellen auch in dieser Krise deutlich geworden sind: Sie ist unser bestes Instrument, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes bei den großen Herausforderungen unserer Zeit sicherzustellen. Deshalb sollten wir jetzt auch die Dynamik der Krise nutzen, um aufbauend auf dem Wiederaufbauprogramm den nächsten Integrationsfortschritt zu wagen. Investitionen in Europa sind Deutschlands bestes Zukunftsprogramm.
Lesen Sie hier auch die Beiträge zur EU von Laszlo Andor und Reiner Hoffmann:
Achim Post