Politische Impulse für den Aufbruch in die Wasserstoffwirtschaft

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Die Bundesregierung hat in der laufenden Legislaturperiode, u.a. mit dem Dialogprozess Gas 2030 und der Nationalen Wasserstoffstrategie, wichtige Signale zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gesetzt. Diese Impulse werden vom Verband kommunaler Unternehmen e.V.(VKU) unterstützt, da gasförmige Energieträger in allen Sektoren für die erfolgreiche Transformation zur Erreichung der Klimaneutralität 2050 von zentraler Bedeutung sind. Die in diesen Strategiepapieren geäußerten Leitgedanken müssen nun allerdings in politische Maßnahmen überführt werden, welche einen Markhochlauf für Wasserstoff in der erforderlichen Geschwindigkeit ermöglichen. Die Zielsetzung dieser Maßnahmen sollte darin bestehen, ein passendes Marktdesign zu entwickeln, welches klare Investitionsanreize setzt und Planungssicherheit für kommunale Unternehmen schafft.

Politik setzt erste Anreize im EEG 2021 – weiterführende politische Beschlüsse notwendig

Kommunale Unternehmen sind u.a. in der Erzeugung bereits ein wesentlicher Akteur am Wasserstoffmarkt. Die Bundesregierung hat mit ihrem Ansatz, die Erzeugung von „grünen“ Wasserstoff vollständig von der EEG-Umlage zu befreien, im EEG 2021 einen wichtigen Baustein zum Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft gesetzt. Gleichzeitig ist sicherzustellen, dass ausreichende Mengen an erneuerbaren Strom zur lokalen Erzeugung von Wasserstoff zur Verfügung stehen. Der VKU hat daher den Entschließungsantrag der beiden Regierungsfraktionen zum EEG 2021, in dem u.a. die Anhebung der Ausbaupfade für Erneuerbare Stromkapazitäten sowie weiterführende Erleichterungen beim Repowering von Windenergieanlagen gefordert werden, begrüßt. Entscheidend ist, dass durch entschlossenes politisches Handeln parlamentarische Beschlüsse noch in dieser Legislaturperiode gefasst werden.

Transformation der Gasinfrastruktur als Grundvoraussetzung für eine effiziente Klimapolitik

Die bestehende Gasinfrastruktur ist für die kosteneffiziente Umsetzung der Energiewende von entscheidender Bedeutung, weil diese über ideale Voraussetzungen zur Einspeisung sowie zum Transport bzw. zur Verteilung klimaneutraler Gase verfügt. Synthetisches Methan und Biomethan können ohne jegliche technische Anpassung in die bestehenden Netze eingespeist werden und kommen in den gewohnten Anwendungen, z.B. im häuslichen Heizkessel, zum Einsatz. Für die Beimischungsquote von Wasserstoff liegt der gesetzlich zulässige Anteil derzeit bei maximal 10 Prozent. Erkenntnisse aus aktuellen Forschungsvorhaben deuten allerdings darauf hin, dass eine Einspeisekonzentration von 20 Prozent (lokal z.T. sogar bis zu 30 Prozent) ohne wesentliche technische Anpassungen möglich ist.

In seiner Strategie zur Transformation der Gasverteilnetze schlägt der VKU daher einen mehrstufigen Prozess vor, um die bestehende Gasinfrastruktur sukzessive auf klimaneutrale Gase umzustellen:

  • Bis zum Jahr 2030 wird vermehrt Wasserstoff ins Gasnetz eingespeist. Der Anteil von Wasserstoff liegt dann – bezogen auf Gesamtdeutschland – voraussichtlich zwischen 10 und 20 Prozent. Ausgewählte Transport- und Verteilnetzleitungen werden im Rahmen von Pilotprojekten vollständig auf Wasserstoff umgestellt. Gleichzeitig beginnt ein paralleler Ausbau von Wasserstoffnetzen. In den Verteilnetzen liegt ein Mix aus reinen Wasserstoffnetzen und Gasnetzen mit einer Wasserstoff-Beimischungsquote von bis zu 30 Prozent – in Abhängigkeit der Möglichkeiten bei den Kunden – zur Dekarbonisierung des Wärmemarkts vor.
  • Bis zum Jahr 2040 steigt die Einspeisung von Wasserstoff sukzessive auf 50 Prozent – bezogen auf Gesamtdeutschland – an. Es entwickeln sich einzelne Wasserstoffnetze. Ebenso erfolgt die vollständige Umstellung weiterer Transportleitungen auf Wasserstoff und der Neubau einzelner Wasserstoffleitungen. Die Wasserstoff-Beimischung liegt in bestehenden Verteilnetzen (in Abhängigkeit der Möglichkeiten der angeschlossenen Endkunden) bei maximal 30 Prozent. Die vollständige Umstellung auf Wasserstoff erfolgt überall dort, wo ausreichend Wasserstoff zur Verfügung steht.
  • Bis zum Jahr 2050 erfolgt die vollständige Dekarbonisierung der Gasnetze durch klimaneutrale Gase. In Europa liegt ein flächendeckendes Wasserstoff-Transportnetz vor; der Ausbau von Wasserstoffnetzen und die Umwidmung bestehender Gasnetze laufen parallel. Verteilnetze werden daher je nach Verfügbarkeit und örtlicher Situation mit Wasserstoff, Biomethan, synthetischem Methan oder einem Gemisch von klimaneutralen Gasen betrieben.

Gas- und Wasserstoffinfrastruktur als Einheit sehen

Um die Gasverteilnetzbetreiber zur Umsetzung der zuvor skizzierten Schritte zu befähigen, bedarf es einer Weiterentwicklung des geltenden Regulierungsrahmens. Dieser sollte Anreize schaffen, dass sich die Wasserstoffinfrastruktur „aus der Gasinfrastruktur heraus“ entwickeln kann. Dazu ist eine einheitliche Regulierung der Gas- und Wasserstoffinfrastruktur erforderlich. Der große Vorteil einer einheitlichen Regulierung besteht darin, dass die Kosten für die Weiterentwicklung der Gasinfrastruktur solidarisch von den Erdgas- und Wasserstoffkunden getragen werden. Die breite Kostenträgerschaft führt dazu, dass Wasserstoff bezahlbar bleibt und sich am Markt etablieren kann.

Daher greift der Regierungsbeschluss zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und zur Regelung reiner Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsrecht (Energiewirtschaftsänderungsgesetz) vom 10. Februar 2021 deutlich zu kurz. Die im Entwurf aufgeführte optionale Regulierung von reinen Wasserstoffnetzen basiert auf der Annahme der strikten Trennung von Gas- und Wasserstoffinfrastruktur. Bereits heute existieren einzelne reine Wasserstoffnetze als industrielle Inselnetze. Die Abnehmerstruktur ist geprägt durch wenige, dafür aber sehr große Abnehmer. Damit unterschiedet sich diese grundsätzlich von der hohen Anzahl an Haushalten sowie gewerblichen und industriellen Abnehmern in den Gasverteilnetzen. Aufgrund der hohen Netzkosten pro Leitungslänge und pro transportierter Energiemenge ist ein räumlicher Parallelbetrieb von Gas- und Wasserstoffnetzen nur in seltenen Ausnahmefällen wirtschaftlich darstellbar. Außerdem würde der Aufbau von parallelen Wasserstoffnetzen dazu führen, dass Entgelte für Wasserstoff (insbesondere bei einer zu Beginn geringen Anzahl an Endkunden) derart hoch wären, dass die Nutzung in der Endanwendung für gewerbliche Kunden oder Haushalte wenig attraktiv wäre.

Nicht zuletzt bietet für den Bereich des Mittelstandes, also den mittelgroßen bis großen Gewerbe- und Industrieunternehmen, die Versorgung mit dekarbonisierten Gasen die entscheidende Voraussetzung, die zum Teil von diesen Unternehmen selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. Die technische Möglichkeit und Verfügbarkeit von Wasserstoff oder anderen dekarbonisierten Gasen wird somit ein wichtiger Standortfaktor für die mittelständische Wirtschaft und damit ein zentraler Faktor für Kommunen und ihre Stadtwerke bei der regionalen Standortpolitik. Das lokale Dekarbonisierungspotential wird damit zum Standortfaktor für den Mittelstand. Auch zeigt sich hier die zentrale Rolle der (Gas-)Verteilnetze für eine erfolgreiche Energiewende: Der absolute Löwenanteil der Energieabnahme von 468 TWh geht an die dort angeschlossenen rund 1.600.000 Industrie- und Gewerbekunden. Zum Vergleich: die Jahresabnahme der an die Ferngasnetze angeschlossenen 530 Marktlokationen betrug 187 TWh im Jahr 2019 (siehe dazu: Monitoringbericht der Bundesnetzagentur (BNetzA))

Der im Gesetzentwurf skizzierte Regulierungsrahmen würde die Nutzung von Wasserstoff in Sektoren außerhalb der Industrie verhindern. Zugleich besteht durch die regulatorische Trennung beider Infrastrukturen die Gefahr, dass kommunale Assets entwertet und die – klimapolitisch dringend erforderliche – Investitionsfähigkeit von Stadtwerken eingeschränkt wird. Obgleich der aktuelle BMWi-Vorschlag nur als Übergangsregulierung angedacht ist, würde (bei politischer Beschlussfassung) die Umsetzung der Energiewende verzögert: Weil aus dem Gesetzentwurf nicht hervorgeht, wie lange die Übergangsregelungen gelten und wie die Überführung in ein dauerhaftes Regulierungssystem später aussehen sollen, fehlt den Gasnetzbetreibern jegliche Planungssicherheit.

Dieser Umstand gefährdet die im Bundes-Klimaschutzgesetz aufgeführten Emissionsminderungsziele. So gehen die beiden, durch die Bundesregierung beauftragten Gutachten zur Evaluierung der im Klimaschutzprogramm 2030 aufgeführten Maßnahmen davon aus, dass diese im Gebäudesektor nicht ausreichen, um die Zielsetzung von 70 Mio. t. im Jahr 2030 zu erreichen. Wasserstoff kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass die prognostizierten Emissionslücken von 17 Mio. t (Öko-Institut) bzw. 8 Mio. t (Prognos AG) CO2 erfolgreich geschlossen werden. Der im Gesetzentwurf skizzierte Regulierungsrahmen verhindert dies allerdings und verschenkt damit das große Potenzial der Gasinfrastruktur zur effizienten Umsetzung der Energiewende.

Die Erweiterung des Gasbegriffs im EnWG um Wasserstoff wäre hingegen ein einfacher Schritt mit großer Folgewirkung, um einen Markthochlauf von Wasserstoff in allen Sektoren zu fördern. Die Erweiterung würde zu einer Anwendung der für Gasnetzbetreiber geltenden Regulierungsvorgaben führen. Bei diesen handelt es sich um bekannte und bewährte Prozesse, sodass hierdurch die Komplexität der betroffenen Akteure niedrig gehalten werden würde.

Wasserstoff als Schlüsseltechnologie der Wärmewende ermöglichen

Auf Basis passender Rahmenbedingungen in den vorgelagerten beiden Wertschöpfungsstufen müssen Anwendungsbereiche für Wasserstoff in allen Sektoren geschaffen werden. Wasserstoff kann eine Schlüsseltechnologie sein, um die Emissionen im Gebäudesektor, welche seit Jahren auf einem hohen Niveau stagnieren, entsprechend den im Bundes-Klimaschutzgesetz benannten Minderungszielen zu reduzieren. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, Wasserstoff als Erfüllungsoption für den gesetzlich vorgeschriebenen Mindesteinsatz erneuerbarer Energien im Gebäudeenergiegesetz anzuerkennen.

Fazit

Ohne die umfassende Anwendung von Wasserstoff in allen Sektoren ist das Erreichen der Klimaziele nicht möglich. Aufgrund der ambitionierten Zielsetzung, in den kommenden 29 Jahren die Transformation in Richtung Klimaneutralität vollständig umzusetzen, müssen die anstehenden politischen Entscheidungen nunmehr konsequent auf den Hochlauf von Wasserstoff unter Nutzung auch bestehender Netzinfrastrukturen ausgerichtet werden. Mit der Beschlussfassung zum Energiewirtschaftsänderungsgesetz besteht die große Chance, einen zielführenden Regulierungsrahmen für die Weiterentwicklung der Gasinfrastruktur zu errichten. Dafür bedarf der aktuell vorliegende Gesetzentwurf allerdings einer grundlegenden Überarbeitung, da Gas- und Wasserstoffinfrastruktur als Einheit zu sehen sind. Nur dann kann das große Potenzial der Gasinfrastruktur im Rahmen einer effizienten Klima- und Energiepolitik gehoben werden.

 

Michael Wübbels

 

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